Bad Tölz-Wolfratshausen:Aus der Not eine Tugend machen

Lesezeit: 2 min

Nicht die Anzahl sei das Problem, sondern die Geschwindigkeit, mit der Flüchtlinge zu uns kommen, sagt Sozialamtsleiter Thomas Bigl. 2015 war deshalb für ihn und seine Mitarbeiter ein anstrengendes Jahr. Erstmals bekam auch das Gros der Bürger das Thema Asyl unmittelbar zu spüren

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz-Wolfratshausen

Als Landrat Josef Niedermaier Ende August verkündete, dass von 21. September an auch gemeindliche Turnhallen als Unterkünfte für Asylbewerber herangezogen werden müssen, war es soweit: Das Thema Asyl erreichte zum ersten Mal unmittelbar das Gros der Bürger. Bedeutete doch die Unterbringung in Turnhallen, dass der Sportunterricht an Schulen ausfallen und dass der Vereinssport in den Kommunen massiv eingeschränkt wird. Für Thomas Bigl, Sozialamtsleiter im Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen, war dies die "erste Kapitulation". Eine Kapitulation deshalb, weil "wir unseren eigenen Anspruch der dezentralen Unterbringung nicht mehr erfüllen konnten". Aber andererseits sei auch deutlich geworden, dass die Kreisbehörde in den drei Jahren zuvor das Thema Asyl wohl sehr diskret abgearbeitet habe.

Etwa 1600 Asylsuchende leben im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Die Flüchtlinge sind auf 20 Städte und Gemeinden verteilt. Wöchentlich werden dem Kreis 57 weitere Asylbewerber zugewiesen, die es unterzubringen gilt. Die Flüchtlinge stammen aus 29 Nationen, den größten Anteil machen Menschen aus, die aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland flohen, gefolgt von Asylsuchenden aus Eritrea. Das Landratsamt rechnet einer eigenen Prognose nach mit einer Verdoppelung bis zum Ende des Jahres 2016.

Es sei ein anstrengendes Jahr gewesen, sagt Bigl. Allein aufgrund der Vervierfachung der Asylbewerberzahl von 437 auf fast 1600 mit allen Begleiterscheinungen. Und dazu kommen noch drei Mal das Inkrafttreten des Notfallplans. "Teilweise sind wir selbst schockiert, was uns schon gar nicht mehr aufregt", erzählt Bigl. Früher, als 20 Flüchtlinge auf einen Schlag im Landkreis ankamen, habe es noch geheißen, da helfe man zusammen, das kriege man schon hin. Jetzt erledige dies ein Sachbearbeiter, ohne groß darüber zu reden.

Auch die Verwaltung der Unterkünfte ist mehr geworden: Waren es anfangs 54 Liegenschaften, in denen Flüchtlinge unterkamen, sind es jetzt etwa 150. Für die Mitarbeiter im Landratsamt bedeutet dies, geeignete Wohnungen zu suchen, Mietverträge zu schließen, die Müllentsorgung zu gewährleisten, die Möblierung zu beschaffen und vieles mehr. Schon lange fordern Kommunalpolitiker wie CSU-Kreisvorsitzender Martin Bachhuber, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr ohne Weiteres Flüchtlinge aufnehmen solle. Eine Begrenzung müsse her. Auch Bigl ist skeptisch, ob der Landkreis die Integrationsleistung erbringen könne. "Ich denke nicht, dass die Anzahl das Problem ist, sondern die Geschwindigkeit, mit der Flüchtlinge zu uns kommen." Und ihn ärgert, dass es von Bund und Land keine zuverlässigen Prognosen gibt. "Wenn wir wüssten, so und so viele Menschen müssen wir im kommenden Jahr noch aufnehmen, könnten wir uns personell darauf einstellen." Wenn es bei den wöchentlich 57 neuen Flüchtlingen bliebe, müsste das Landratsamt alle eineinhalb Wochen einen neuen Sachbearbeiter allein für diesen Bereich einstellen.

In fast allen 21 Kommunen stand Bigl bei Infoveranstaltungen Rede und Antwort, musste sich Vorwürfe anhören, konnte aber auch Sorgen entkräften. "Diese zusätzliche Arbeit war es wert, denn nur so konnten wir so viele Bürger erreichen." Und selbst wenn es hier und da anfangs hakte, vieles habe sich in Wohlgefallen aufgelöst. "In Icking gibt es mehr ehrenamtliche Helfer als Schutzsuchende in der Turnhalle", sagt Bigl.

Eines habe die Turnhallen-Belegung und die Asyl-Quote, die Landrat Josef Niedermaier forcierte, um die Anzahl der Flüchtlinge gerecht auf die 21 Städte und Gemeinden zu verteilen, in Bewegung gebracht: Um diese Unterbringung zu vermeiden, hätten etliche Kommunen Dinge möglich gemacht, die vorher kaum vorstellbar gewesen seien, betont Bigl. Lange hätte sich so manche Gemeinde geziert, Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Doch es seien gerade diese, die jetzt durchstarten würden.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: