Bad Tölz:Mal wütend, mal lyrisch

Poetry Slam heißt heutzutage der öffentlich ausgetragene Dichterwettstreit, der nun auch in der Kreisstadt angekommen ist. In der Alten Madlschule kürte das Publikum die Sieger.

Von Petra Schneider

In der Alten Madlschule herrschen am Freitag Temperaturen wie in einer Boxhalle. Noch ehe es losgeht, stehen Christoph Hebenstreit Schweißperlen auf der Stirn. Er und sein Kollege Mic Mehler moderieren an diesem Abend einen besonderen Wettkampf: einen Poetry Slam, bei dem acht Worte-Ringer um die Gunst des Publikums kämpfen.

Die Regeln sind streng: Nur eigene, unveröffentlichte Texte, die nicht länger als sechs Minuten dauern, dürfen vorgetragen werden. Requisiten oder Kostüme sind nicht erlaubt, auch keine Instrumente oder Gesang. Die Reihenfolge wird ausgelost. In formaler Hinsicht gibt es keine Einschränkung: Gereimtes oder Gerapptes, Kurzprosa oder Mundart zu allen erdenklichen Themen. Wer als Sieger aus dem Ring steigt, entscheidet das Publikum. Der Reiz eines Poetry Slam liegt in dieser unmittelbaren Interaktion. Denn anders als bei den üblichen Tisch- und Wasserglas-Lesungen ist das Publikum nicht einfach nur passiver Kulturkonsument.

Die etwa 60 Zuschauer, darunter viele junge, hören konzentriert zu und machen begeistert mit. Die sechsköpfige Jury, die der Moderator aus dem Publikum gewählt hat, vergibt Wertungsnoten auf einer zehnstufigen Skala und bestimmt so die drei Finalisten. Den Sieger kürt das gesamte Publikum über die Stärke des Applauses. "Wie würden Sie klatschen, wenn Sie eine 8,5 vergeben wollen?", fragt Hebenstreit zuvor zu Übungszwecken. Das klappt gut, offensichtlich bringen einige bereits Erfahrung mit. Seit Mitte der 90er-Jahre sind Poetry Slams im deutschsprachigen Raum bekannt. Zwanzig Jahre später ist der öffentlich ausgetragene Dichterwettstreit auch in der Kurstadt angekommen. Hebenstreit und Mehler organisieren seit Längerem Slams in Ebersberg, Erding und Wasserburg. Nun auch in ihrer Heimatstadt Bad Tölz - und das hoffentlich nicht zum letzten Mal.

Angemeldet haben sich nur Männer, was ungewöhnlich sei, wie Hebenstreit sagt. Sie kommen aus München, Wasserburg, Augsburg und Lenggries. Wer bei einem Poetry Slam verschwurbelte Poeten erwartet, irrt. Ans Mikro treten Herren mittleren Alters, denen man dichterische Ambitionen nicht sofort ansehen würde, und junge Männer um die 20. Ihre Themen sind vielfältig: Lyrisches über die Zeit und die Nachtigall, Kabarettistisches über Japaner beim Mountain-Erlebnis-Event, Schlüpfriges von der Autobahnraststätte oder Kritisches über die verblödende Macht des Fernsehens. Die Texte der jungen Slammer kreisen um Fragen der Selbstfindung, um Rollen und das Leben als Spiel. Was sie wollen, ist Authentizität und nicht Fassade. So fordert der 19-jährige Dominik Erhard, "einfach mal die Rollen fallen zu lassen, einfach den Standpunkt zu ändern. Ich will keine Figuren mehr, ich will Menschen". Der 22-jährige Kaleb Erdmann singt ein hohes Lied auf die Hässlichkeit. "Ich scheiß auf die Schönheit, ich scheiß auf die Kreativität. Mich interessiert nicht, was du darstellen willst. Ich will wissen, wer du bist." Um echte Gefühle geht es auch bei Tom Schöttl. Der 17-jährige Sohn des stellvertretenden Lenggrieser Bürgermeisters erzählt über eine Begegnung in der Münchner U-Bahn, über die zwiespältigen Gefühle und Vorurteile einem verwahrlosten Penner gegenüber.

Die Sprache der Slammer ist präzise, oft rhythmisiert, manchmal wütend. Sie unterstreichen ihre Texte mit Gesten, setzen gekonnt Pausen und beeindrucken durch ihre leidenschaftliche Performance. Das sieht auch das Publikum so und verleiht den drei Jung-Dichtern die Siegerkränze.

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