Bad Tölz:"Keine Schule, keine Arbeit"

Junge Flüchtlinge erzählen beim Tölzer Jugend-Asylgipfel von Krieg und Tod und ihren traumatischen Erlebnissen auf ihrem Weg nach Deutschland

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Emran hält das Mikrofon in der Hand, aber er braucht eine Weile, ehe er sprechen kann. Jugendarbeiterin Veronika Dräxl streichelt ihm leicht über die Schulter. Dann fasst der 17-Jährige aus Afghanistan doch Mut und erzählt seine Geschichte in aller Kürze. In seinem Land herrscht Krieg seit fast 40 Jahren. "Keine Schule, keine Ausbildung, keine Arbeit", sagt Emran. Das Gesprächsthema am Morgen sei, welcher Angehöriger gerade gestorben, welche Schule zerstört worden sei. Weil der Vater zeitweise für die US-Armee gearbeitet hatte und die Familie verfolgt wurde, flüchtete Emran zu Fuß in den Iran. Es war ein fürchterlicher Marsch, immer wieder starben unterwegs Leute, darunter Kinder. Die Toten wurden am Wegesrand schnell beerdigt.

Sieben Tage lang blieb Emran ohne Essen, trank nur schmutziges Regenwasser. Über die Türkei gelangte er nach Griechenland, wo ihn die Polizei für einen Monat ins Gefängnis steckte. Wäre er zwei Tage früher gekommen, hätte er ein Schiff bestiegen, das im Mittelmeer unterging. So brachte ihn ein kleines Boot, auf dem sich 37 Menschen drängten, nach Italien. Von dort führte ihn der Weg nach Deutschland. Als der 17-Jährige das Mikrofon senkt, spenden die mehr als 100 Jugendlichen im Tölzer Jugendcafé verhalten Beifall. Allen anderen Rednern beim Tölzer "Jugend-Asylgipfel" hatten sie frenetisch applaudiert, sie hatten gegrölt und gepfiffen. Jetzt sind sie eher still. Emrans Geschichte hat sie mitgenommen.

Das Thema Asyl und Migration habe in den vergangenen Wochen eine "ganz komische Blüte erlebt", sagt Armin Ebersberger, der deshalb zu dem Asylgipfel eingeladen hatte. Der Sozialplaner der Stadt meint damit die Demonstrationen von Pegida und ihren Ablegern. "Diese Sachen können nur leben, weil es nicht genug gute Informationen gibt." Die Jugendlichen, die gekommen waren, sieht er als Multiplikatoren in der Aufklärungsarbeit. "Euch brauchen wir", ruft er ihnen zu.

Bad Tölz: Veronika Dräxl (links), Mitarbeiterin des Tölzer Jugendcafés, im Gespräch mit Emran aus Afghanistan und Casper aus Polen.

Veronika Dräxl (links), Mitarbeiterin des Tölzer Jugendcafés, im Gespräch mit Emran aus Afghanistan und Casper aus Polen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch Amena aus Syrien hat Schlimmes durchgemacht. Seit zwei Jahren sei sie nicht mehr in die Schule gegangen, die im Bürgerkrieg zerstört wurde, berichtet die 13-Jährige. "Alles kaputt." Mit ihrem Bruder flüchtete sie alleine in die Türkei, wo sie in einer Fabrik arbeiten musste. Ihre Odyssee führte sie weiter nach Bulgarien, wo Amena und ihr Bruder glücklicherweise die Eltern wieder trafen. Kaum anders erging es Saron aus Eritrea. Die 15-Jährige floh mit Mutter und Schwester aus ihrer Heimat, wo christliche Minderheiten verfolgt werden. Fünf Monate blieben sie im Sudan, dann ging es weiter nach Libyen. Auf dem Schiff übers Mittelmeer seien 168 Menschen gewesen, erzählt Saron. Drei Tage dauerte die Seereise in dichtem Gedränge. "Wir hatten alle Angst, weil das Benzin aus war", sagt Saron. Der 15-jährige Abdulrahman aus Palästina flüchtete über Abu Dhabi und Jordanien nach Deutschland. Viel sagen mag er darüber nicht. Nur Kaspar muss nichts Schmerzhaftes berichten, Weil sein Vater hierzulande einen Job fand, kam er mit seiner Familie aus Polen. Dort gebe es zu wenig Arbeit, sagt der Zwölfjährige. "Kein Geld."

Veronika Dräxl fragt die jungen Flüchtlinge nach ihren Wünschen für die Zukunft. Kaspar und Abduhlrahman wollen auf die Realschule, Amena sogar aufs Gymnasium. Emran schweben die Berufsschule und ein Praktikum vor. Er muss noch besser Deutsch lernen, das weiß er. Aber das kann er mit dem computergestützten Sprachunterricht von Waltraud Haase, die ganz hinten im Saal sitzt. "Meine Oma Haase", sagt Emran und winkt ihr zu.

Von ihren Erfahrungen dürfen beim Tölzer Asylgipfel auch einheimische Jugendliche erzählen, die sich ehrenamtlich für Asylbewerber in ihrem Alter engagieren. Jasmin, Heidi und Elena gehören zu der Gruppe "Mädchen für Migranten" vom Gymnasium Hohenburg in Lenggries, Luise, Sophia, Luisa und Leon besuchen das Tölzer Gymnasium. Sie helfen den jungen Flüchtlingen bei den Hausaufgaben oder organisieren Freizeitaktionen. Sie alle wünschen sich, dass Asylsuchenden mehr Verständnis entgegengebracht wird und ihre deutschen Altersgenossen sich mehr über sie informieren. "Es macht Spaß mit ihnen, sie sind super aufgeschlossen, und man freut sich schon darauf, sie wiederzusehen", sagt Leon.

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