Inklusion:Hohe Kanten, leise Durchsagen

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So beschwerlich ist die Fahrt mit dem Bus für Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte - unterwegs mit Betroffenen.

Von Lisa Fey, Bad Tölz

Es ist kurz vor zehn Uhr am Vormittag. Ralph Seifert wartet an der Haltestelle am Bahnhof in Tölz. Der 47-Jährige möchte mit dem Bus um 10.02 Uhr zum Isarkai fahren. Der Bus kommt pünktlich, Fahrgäste steigen über die Treppe an der hinteren Tür ein. Seifert kann nicht einsteigen. Der Bus muss ohne ihn fahren. Seifert sitzt im Rollstuhl, er hatte vor 16 Jahren einen Autounfall. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Seifert ist der Behindertenbeauftragte in Bad Tölz-Wolfratshausen und setzt sich für die Barrierefreiheit im Landkreis ein, um Körper-, Seh- und Hörbehinderten ein ungezwungenes Bewegen im Alltag zu ermöglichen.

Spontan den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, sei für ihn ein Risiko: "Ich muss immer vorher anrufen", bedauert Seifert. Dann könne er mit einem "Rollibus" fahren. Gemeint ist damit ein Niederflurbus, welcher sich zum Bordsteinrand absenken kann. Der diensthabende Fahrer klappt dann nach Anfahren der Haltestelle die Rampe am hinteren Einstieg aus. Durch den ungefähr zwanzig Zentimeter hohen Bordstein ergibt sich jedoch ein steiler Winkel zwischen Bus und Bordstein. Beim Einstieg schaffe er es nicht aus eigener Kraft über die Rampe hinauf in den Bus zu fahren, sagt Seifert. Beim Ausstieg bestehe durch das starke Gefälle die Gefahr, zu schnell zu werden und zu stürzen, erklärt er. Ein selbständiges Nutzen des öffentlichen Nahverkehrs ist für den Rollstuhlfahrer trotz der neuen Niederflurbusse nicht möglich. Der zuständige Busfahrer Peter Müller schiebt ihn über die Rampe in den Bus.

Busfahrer Peter Müller muss Ralph Seifert beim Einstieg helfen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Müller ist seit über 30 Jahren als Busfahrer in Bad Tölz tätig. Die Fahrer "müssen da schon helfen", sagt der 61-Jährige. Die Präsenz von Körperbehinderten wie Seifert oder Senioren mit Gehhilfen im öffentlichen Nahverkehr habe zugenommen, berichtet Müller.

Endlich sollen auch sie leichter mit Bus und Bahn fahren können: Laut Personenbeförderungsgesetz muss der Nahverkehr in Bayern bis 2023 vollständig barrierefrei sein. Bisher werden nur zum Teil Niederflurbusse eingesetzt, es sind immer noch einige Busse mit Stufen unterwegs. Der Umbau von Haltestellen beginnt 2017. Davon betroffen sind besonders die frequentierten Haltestellen am Bahnhof in Wolfratshausen, am Isarkai in Bad Tölz und am Schulzentrum in Geretsried. Der Kreis will nun alle Haltestellen samt Umbaubedarf auflisten.

Die Situation muss sich nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Sehbehinderte verbessern. Norbert Pollmann bereitet der Einstieg in den Bus zwar keine Probleme, diesen meistert er mithilfe seines Blindenstocks und mit einem großen Schritt. Er ist seit elf Jahren blind. Den 57-Jährigen ärgert aber die fehlende Markierung der Haltestelle für Blinde: "Ich will nicht ständig fragen müssen: "Ist hier die Bushaltestelle?" Er wünscht sich taktile Leitstreifen. Diese könne er mit seinem Blindenstock erfühlen, erklärt Pollmann. Das nächste Hindernis seien die Fahrpläne. Das große Ziel seien Pläne in großer und leicht verständlicher Schrift für Menschen mit einem eingeschränkten Sehvermögen, sagt Seifert.

Für Betroffene mit Handicap sind Bushaltestellen kein leichtes Pflaster - besonders der ZOB in Bad Tölz. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Blinden müssen die Pläne vorgelesen werden, das soll in Zukunft ein Knopf ermöglichen, erklärt er. Nach dem Einsteigen erwarten Blinde wie Pollmann weitere Schwierigkeiten. Die Haltestellen werden zwar angesagt, jedoch könne man die Durchsage nicht verstehen, wenn man sich im Bus unterhalte, erklärt er. Sie seien einfach zu leise.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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