Momo:Eine wunderbare Zeitverschwendung

Lesezeit: 2 min

Das Tanztheater des Tölzer Gabriel-von-Seidl-Gymnasiums bringt "Momo" auf die Bühne. Die Produktion verlangt den Darstellern einiges ab - und begeistert 500 Zuschauer.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Mit der Zeit ist es eine komplizierte Sache: Um mehr zu haben, will man sie sparen. Aber Zeit lässt sich nicht vermehren wie Geld. Im Gegenteil: Zeit sparen kostet Lebensfreude. "Zeit ist Leben, und das Leben wohnt im Herzen", heißt es in Michael Endes wunderbarem Jugendbuch "Momo", das wohl eher für Erwachsene geschrieben wurde. Für uns Zeitoptimierer und Effizienzsteigerer, die durchs Leben hasten, als hätten wir ein Zeitsparkonto bei den Grauen Herren. Nach deren Geschäftsmodell würde ein Abend mit dem Tanztheater des Gabriel-von-Seidl-Gymnasiums wohl unter die Rubrik "vermeidbare Zeitverschwendung" fallen. Drei Stunden Tanz, Akrobatik, Theater, Licht und Farben?

Eine wunderbare Zeitverschwendung, das zeigt sich bei der Premiere der Produktion "Momo" am Donnerstagabend in der Dreifachturnhalle. Und es ist eine gute Gelegenheit, sich zurückzulehnen, zu staunen, und sich auch nicht vom Halbfinalspiel unter Zeitdruck setzen zu lassen - was im Übrigen kaum jemand der fast 500 Zuschauer tut. Der Abend führt nicht auf dem kürzesten Weg durch die Geschichte von Momo und den Zeitdieben - da mögen sie noch so beharrlich die Szenen überwachen in ihren grauen Jacketts und Hüten, umgeben von kühlem blauen Licht und begleitet vom erbarmungslosen Ticken einer Uhr. An diesem Abend gibt es Umwege und Abweichungen. Viele Tänzer und Turner wollen zeigen, was sie können, sind mit Freude und Disziplin dabei - auch wenn das ein Wort ist, das Momo eher nicht gefallen würde. Das Mädchen Momo der literarischen Vorlage ist im Tanzprojekt ein Junge (Linus Braun): Lockenkopf, zu großes Herrenhemd, der wie der Bruder der Schauspielerin Radost Bokel aus dem Momo-Film von 1986 aussieht.

Seine Freundin, die Schildkröte Kassiopeia und manchmal gleich ein ganzes Schildkrötenballett der Bad Heilbrunner Grundschule, begleiten ihn: Liegend auf Rollbrettern, in grünen Ganzkörperanzügen und Kissenpanzern. 24 Tanzszenen haben die Choreografinnen Susanne Molendo und Verena Gabler in den vergangenen eineinhalb Jahren einstudiert - poetische Bilder, wie jene schwarz-weißen Wesen, die sich geschmeidig und zu Live-Musik von Kontrabass, E-Piano und Gesang bewegen. Partnertänze, Modern Dance, mal mit Inlineskates, mal mit Bällen, zu Musik, die von Haindling über Pop bis zu gechillten Lounge-Klängen reicht.

Den Anfang macht ein gemeinsamer Kreistanz von Kindern der Lebenshilfe und Gymnasiasten eines P-Seminars. Ihr Sternentanz wird nur bei der Premiere gezeigt, "weil das für die Lebenshilfe-Kinder sonst zu anstrengend wäre", sagt Molendo. Vor fast 20 Jahren hat sie die Tanzgruppe am Tölzer Gymnasium gegründet, seitdem Hunderten Mädchen und Buben die Möglichkeit gegeben, sich über den Tanz auszudrücken und abendfüllende Programme zu gestalten. Ganz abgesehen von den vielen Preisen, die die Sport- und Mathelehrerin mit ihren Gruppen gewonnen hat. Im Sinne der Grauen Herren dürfte das nicht gewesen sein, denn viel Zeit war dafür nötig: Die letzten Wochenenden haben die Schüler in der Turnhalle verbracht, und man ahnt, wie schwierig es ist, 150 junge Menschen bei der Stange und im Zaum zu halten.

Es hat sich gelohnt: Die Schüler meistern die rhythmischen Übergänge problemlos, beherrschen komplizierte Schrittfolgen, tanzen synchron und ausdrucksstark. Zum Beispiel bei den eindringlichen Szenen, in denen die Grauen Herren sich immer mehr in das Leben der Erwachsenen stehlen. Alle Farbe verschwindet, das Grau gewinnt die Oberhand. Als Requisit dient eine Zeitung: "Die Zeit", die sie falten, auslegen, umtanzen. Viel Applaus bekommen die Akrobatiknummern unter Leitung von Christian Penzholz. Die Schüler wirbeln über die Bühne, in Salti und Sprüngen, bilden Pyramiden, Hebefiguren. Großartig auch die Nummer an den beiden Vertikaltüchern: Gekonnt wickeln vier Mädchen das Band um die Beine, lassen sich in die komplizierten Wickelungen fallen, ziehen sich geschmeidig wieder hoch. Den Text von Michael Ende haben Gabler und Molendo tanztheatertauglich angepasst und kleine Modernisierungen eingefügt. So lautet etwa die Anweisung des Oberzeitdiebes (Julius Steinbach): Zeitraubende Unterhaltungen, Lesen oder Sport weglassen. "Und das Denken lieber Ihren Apps überlassen."

Vorstellung am Samstag, 9. Juli, 20 Uhr, Dreifachturnhalle an der Jahnstraße, Bad Tölz

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: