Bad Tölz:Ein Viertel entfaltet sich

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Galeristin Patrizia Zewe (Mitte) hat die lange Nacht initiiert. Beim Publikum kommt die Idee gut an. (Foto: Manfred Neubauer)

Die erste "Lange Nacht am Jungmayrplatz" in Tölz gibt Einblick in Ateliers und Werkstätten

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Am Abend leert sich die Tölzer Marktstraße, noch stiller ist es ein paar Seitenstraßen weiter am Jungmayrplatz. Dunkel und still - auch wenn an diesem Dienstagabend einige Läden erleuchtet sind und an kleinen Tischen Kerzen brennen. Es ist die erste "Lange Nacht am Jungmayrplatz", die jeden zweiten Dienstag im Monat stattfinden soll. Die Idee stammt von Galeristin Patrizia Zewe: Die Galerien und Werkstätten zu öffnen, die sich angesiedelt haben, um dort "buntes Leben" zu ermöglichen. Bei der Premiere tobt auf dem Platz noch nicht das Leben, dafür ist es zu kalt. In den Werkstätten und Ateliers ist mehr los. Etwa in der kleinen Galerie von Zewe. "Show you are not afraid", steht an der Tür. Furchtlos flüchtet man sich also in den Laden und wird empfangen von Fünfzigerjahre-Schnulzen, Wärme, Farben. Einige Frauen probieren Klamotten und trinken Likör. Sie sei heute "ganz gezielt" zur langen Nacht gekommen, sagt Christine Berger. "Eine super Idee", findet sie. Eine Besucherin aus dem Badeteil freut sich, dass man in Tölz mal "Szeneleute trifft"

Im Mittelalter war das Gries, der älteste Tölzer Stadtteil, Heimat der Handwerker. Im Sommer strahlt der Platz mit dem Brunnen mediterranes Flair aus, ist aber im Gegensatz zur quirligen Marktstraße nur wenig frequentiert. Die lange Nacht sei ein Experiment, man müsse schauen, wie sich das entwickelt, sagen die Künstler und Kunsthandwerker. Saba al Day freut sich, dass schon einige Leute in seine Werkstatt gekommen sind und ihm Fragen zu seiner Arbeit gestellt haben. Der Silber- und Goldschmied aus Syrien, der seit 1989 in Deutschland lebt, verlötet feinen Silberdraht zu kleinen Kunstwerken - Schmuck und Ketten, Hochzeitskutschen, Motorrädern, Pferden. Das sei das Schöne am Konzept der langen Nacht, findet Nachbarin Barbara Hintermaier: Dass mal was los sei und man in Werkstätten gehe, "wo man sich sonst nicht reintraut". Sie ist mit ihren Kindern im Werkstattladen von Lilly Mayer. Elisabeth, Simon und Antonia interessieren sich für die großen farbstarken Acrylbilder von Mayer. Wie lange sie an einem Bild male, wollen sie wissen. Und warum der Stier auf einem Bild blau-grün sei.

Unbedingt sollte man bei Rosemarie Auer vorbeischauen. Denn man erfährt von der gelernten Schreinerin nicht nur viel über ihre Arbeit als Holzrestauratorin, sondern bekommt noch eine Führung durch das um 1740 gebaute Haus, das Auer vor vier Jahren gekauft und nach Plänen aus dem Jahr 1900 renovieren will. Auer ist überrascht, wie viele Leute zu ihr kommen. Sie dürfen die monströse Hochzeitstruhe aus dem Jahr 1829 bestaunen, in der Auer am Anfang geschlafen hat. "Die hat genau meine Größe und war der einzig saubere Ort im Haus." Viele Geschichten kann sie erzählen, die man sonst vermutlich nicht gehört hätte. Und vermutlich hätte man auch nicht mit Schmuckdesignerin Stephanie Kieslinger über die Abgrenzung zwischen Kunst und Handwerk gesprochen oder sich im Kunstraum öHa von Fotograf Michael Fackelmann die Bilder seiner Ausstellung "Die Welle" erklären lassen.

Kurz vor Schluss schaut Stadträtin Margot Kirste noch bei Zewe vorbei. Auch sie findet die Idee toll. Die Stadt müsse das unterstützen, über eine auto- und bürgersteigfreie Zone am Jungmayrplatz nachdenken, sagt sie, damit im Sommer auch mal Stühle aufgestellt werden könnten. Denn zu einer liebenswerten Stadt gehörten Kunst und "schrille Köpfe" einfach dazu.

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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