Bad Tölz:Dragqueen will die Welt des Bullen von Tölz weiterdrehen

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Vom einst schrill-schrägen Kiezmädchen zur seriösen Dame, die Bad Tölz aufmischt mit ihrer Begeisterung für den Bullen von Tölz: Nessy Karolinger (Foto: Manfred Neubauer)

Nessy Karolinger initiierte die "oanzig wahren Bullen-Tour", jetzt plant sie ein Großprojekt - aber nicht für das Fernsehen.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Erst Fan, dann Initiatorin der "oanzig wahren Bullen-Tour" zu den Drehorten der Krimiserie "Bulle von Tölz", und nun auch noch ein mögliches Großprojekt, die Realisierung der 70. Folge der Krimiserie fürs Kino: Nessy Karolinger stellt derzeit die Kurstadt genauso wie Fernseh-Deutschland auf den Kopf und dreht die Welt des Kommissars Benno Berghammer weiter. Doch wer ist die Dame mit den blonden Locken und glitzernden Outfits, vor allem aber mit ihren 1,94 Metern und Füßen in Pumps der Schuhgröße 47?

Die ungeschminkte Wahrheit verrät Nessy Karolinger gerne - aber nur über alles, was vor und hinter den Kulissen ihrer Lieblingsserie passierte. Steht sie selbst im Fokus, bleiben Lipgloss, Puder und Kajal jedoch drauf. Dass hinter jeder starken Frau ein Mann steht, ist in diesem Fall keine Phrase: Nessy Karolinger ist eine Bühnenfigur, die ein Hamburger Travestie-Künstler verkörpert.

Eine "Kulturmuse" und "Hamburger Deern", nach eigenen Angaben 37 Jahre alt, die es nun von der Reeperbahn in die oberbayerische Kleinstadt verschlagen hat, weil sie eine enge Liebe mit Kommissar Berghammer verbindet und nun die mit Anekdoten und Hintergründen gespickte "Bullen"-Touren organisiert.

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Der Mann zieht sich für die Öffentlichkeit komplett hinter die Figur zurück, er lässt sie für sich sprechen: "Man hat zwei Leben", erklärt sie die Travestie. "Nur ganz enge Mitarbeiter und Freunde erkennen mich ungeschminkt auf der Straße. Das bietet ein freies Leben." Ähnlich wie ein Bäcker am Ende des Tages seine Schürze abstreife, "so ist das auch bei mir: Schminke ab, dann ist Privatleben."

Bei Frauen hat man mehr Spielmöglichkeiten

Nur so viel sei verraten: Der Mann hinter Karolinger hat eine Ausbildung an der "stageart"-Musical-Schule in Hamburg absolviert. Er spielte unter anderem an zahlreichen Theatern, auch an der Hamburger Staatsoper. Das Interesse für die Bühne sei schon von frühester Kindheit an da gewesen: "Woher ich das habe, weiß ich nicht, aber ich bin dankbar dafür." Immer anders sein als andere war ein Antrieb, "das Beste rausholen und dann noch was draufsetzen! So denke, lebe und arbeite ich."

Vor etwa neun Jahren entstand Nessy Karolinger: "Ich hatte Ernie Reinhardt kennen gelernt, den Darsteller von Lilo Wanders." Im gemeinsamen Ideen-Spinnen, was man in der Kunst und auf der Bühne alles machen könne, habe es "Zack" gemacht, und die Figur war geboren. Karolinger sollte eine Figur werden, "die interessant ist", erklärt ihr Schöpfer. Bei den Männerrollen gebe es "entweder den Atze-Schröder-Typus, der zeigt, wo der Frosch die Locken hat, den Typ Hausmeister Krause oder den Actionhelden".

Bei Frauen habe man mehr Spielmöglichkeiten, mehr Facetten. Karolinger sei "eine Berufsfigur, die auffällt. Und in der heutigen Zeit muss man halt auffallen." Sie mache deshalb alles: singen, malen, moderieren und sich auch schon mal die Finger schmutzig. Doch im Laufe der Jahre habe sich die Figur verändert: vom schrill-schrägen Kiezmädchen zur seriösen Dame: "Man wird ja auch erwachsen mit der Zeit."

In Hamburg habe sie lange nach ihrer Nische gesucht. Karolinger übernahm unter anderem das berühmte Café Keese als Veranstaltungsort, organisierte "das große Wiedersehen" der Darsteller und Crew der Serie "Hinter Gittern", gründete die Band "die Halbsteifen" und brachte mit Partys das Reeperbahnflair nach Sylt. Doch die Reeperbahn sei nicht mehr das, was sie mal war. "Wenn man merkt, es ist Zeit, dann muss man gehen", sagt Karolinger.

Just in der Zeit der Neuorientierung las sie von Peter Syr, der Requisiten zum Bullen von Tölz für sein Museum suchte. "Durch meine Arbeit für ,Hinter Gittern' wusste ich, wie anstrengend und zeitaufwendig es ist, an Requisiten zu kommen. Also habe ich Syr eine Mail geschrieben, dass ich meine Hilfe anbiete." Requisiten hatte sie zwar da noch nicht, aber sie war Fan, quasi der ersten Stunde.

"Meine Oma hat den Bullen von Tölz immer mit mir geguckt, das ist meine schönste Erinnerung." Es sei "dieser Humor, dieses Langsame, Gemütliche", das sie bis heute begeistere. "Es geht nie um die Leiche oder den Mörder, es ist nie brutal. Es ist in meinen Augen eine Comedy-Serie, in der eben eine Leiche in der Ecke liegt", beschreibt Karolinger.

Generell liebe sie alles Bayerische und bayerische Sendungen: "Ich gucke auch Peter Steiners Theaterstadl gerne, mag Hubert und Staller und die Rosenheim-Cops. Dieses, ich will nicht sagen, Slapstickartige, aber das Bayerische, urgemütlich Komödiantische halt" fasziniere und unterhalte zugleich. Und die Landschaft verzaubere: "Selbst Walt Disney hat sich die Vorlagen aus Bayern genommen, das Schloss von Cinderella ist eigentlich Neuschwanstein." Weltweit sei der Deutsche immer Bayer, mit Dirndl, Lederhose, Gamsbart, Weißbier. "Es ist ein Märchenland, für die ganze Welt."

Zur Museumseröffnung fuhr Karolinger nach Tölz. "Es war wie ein Klassentreffen: Schauspieler haben sich umarmt, Crewmitglieder auch. Da ist die Idee entstanden, ein Buch über den Bullen, und was hinter der Kamera passiert ist, zu schreiben". Daran arbeitet sie derzeit. Doch schon nach dem ersten Besuch war auch klar, dass die Nachfrage nach einer Tour besteht: "Die Leute wollen wissen, wie und wo entsteht so etwas überhaupt." Ein berühmtes Vorbild sei die Harry-Potter-Tour in London.

Bulle und Potter, geht das zusammen? "Doch, es gibt Parallelen", sagt Karolinger. "Die grundsätzliche Aufmachung beim Film ist immer dieselbe, die Sets sind auch nur aus Styropor mit Farbe drüber und einer Kamera davor." Die Idee zur Bullentour war also geboren, Karolinger packte ihre sieben Sachen und zog im Januar ganz nach Bad Tölz.

An der Wand hängt seither eine Urkunde, von Ottfried Fischer unterschrieben: "Herzlich willkommen in der Stadt des Bullen. Freiwillig hergezogen, na dann viel Spaß", steht darauf. Und um den Hals trägt Karolinger eine Kette mit dem Schriftzug: "Ich bin ein Tölzi."

Seither versuche sie, die Kurstadt auf den Kopf zu stellen. "Was auch funktioniert", sagt sie und lacht. Und wenn es nach ihr geht, zieht sie noch weitere Kreise: So hat sie von der Stadt Wolfratshausen jüngst den Auftrag bekommen, auch eine Hubert und Staller-Tour zu organisieren. Diese, verrät Karolinger, könnte schon im Sommer starten.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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