Bad Tölz:Diffuse Ängste

Sozialamtsleiter Thomas Bigl kritisiert die Vorurteile gegenüber Asylsuchenden und fordert mehr Akzeptanz

Von klaus Schieder, Bad Tölz

Thomas Bigl ist ein Beamter von ruhiger Natur, besonnen statt besserwisserisch, erklärend statt zynisch. Vielleicht ist der Sozialamtsleiter, der im Landratsamt für Asylbewerber zuständig ist, wegen dieser Charakterzüge in den Sitzungen des Kreistags und seiner Ausschüsse bisher nicht als großer Rhetor aufgefallen. Beim Tölzer "Jugend-Asylgipfel" am Freitagabend im Jugendcafé hielt er allerdings eine Rede, die es in sich hatte. Es war eine Abrechnung mit all den Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen, die er in seinem Berufsalltag aus der Bevölkerung zu hören bekommt. Und zugleich ein eindringlicher Aufruf, die Asylsuchenden mit offenen Armen aufzunehmen.

Gleich zu Beginn ließ er die Zuhörer aufstehen, die auf den Stühlen in der rechten Hälfte des Saals saßen. 54 Leute zählte er. Genau so viele junge Flüchtlinge zwischen elf und 18 Jahren lebten derzeit im Landkreis, sagte er. Multipliziere man diese Zahl mit zehn, dann komme man auf eine augenblickliche Gesamtzahl aller Asylbewerber zwischen Wolfratshausen und Lenggries - circa 550. Im Landkreis lebten aber insgesamt 112 000 Menschen. "Und dann kommt die Frage, können wir uns so viele Flüchtlinge leisten, wie viele sollen wir noch aufnehmen", wunderte sich Bigl. 550 bei 112 000 - "das würde in einem Diagramm niemandem auffallen".

Eine diffuse Angst vor Fremden grassiert Bigl zufolge in manchen Gemeinden. Asylbewerber würden dort als eine Belastung empfunden, erzählte er. Das sei so, weil niemand mit den Neuankömmlingen rede. Wenn man dies aber tue und sich für sie interessiere, "dann bekommt der Fremde einen Namen, ein Gesicht, eine Geschichte, dann ist das ein Mensch, ein Nachbar, ein Mitschüler". Ob ein Flüchtling dazugehöre oder nicht, "das ist schon etwas, das wir in der Hand haben", sagte der Sozialamtsleiter.

Kreistag konstituierende Sitzung

112 000 Bürgern im Landkreis stehen etwa 550 Flüchtlingen gegenüber: Sozialamtsleiter Thomas Bigl sieht keinen Grund für die Sorgen der Bevölkerung.

(Foto: Man)

Diese Akzeptanz ist für ihn ein Punkt, der im Landkreis "nicht gut läuft". Mitunter bekommt er Vorurteile zu hören, etwa wenn er gefragt wird, ob Asylsuchende denn wüssten, wie ein Wasserhahn oder eine Toilette mit Wasserspülung funktioniere. Dabei sei beispielsweise Aleppo in Syrien hoch entwickelt, "wir dürfen doch nicht so tun, als wären das irgendwelche arme Steinzeitmenschen". Oder die beiden Schlägereien vor einiger Zeit in Bad Heilbrunn. Bei einer waren drei beteiligt, darunter ein Asylbewerber, bei der anderen mehr als 20 am Schönauer Weiher. Bei der kleineren Rauferei hätten alle sofort gewusst, wer schuld gewesen sei, sagte Bigl - natürlich der Flüchtling. Bei der größeren unter lauter Einheimischen habe "keiner was gewusst, keiner was gesagt, keiner wurde geschädigt".

Was für Bigl gut läuft, ist die Betreuung der Asylsuchenden durch Landkreis, Städte und ehrenamtliche Kräfte, "es wird sich intensiv gekümmert". Kritik übte er hingegen am Staat, der kein Geld für Deutschkurse ausgebe. "Er investiert nahezu nichts in die Sprachförderung, obwohl das doch das Wichtigste ist", sagte der Sozialamtsleiter. Und was ihm hierzulande ebenfalls fehlt, ist die "Zukunftsfreude" über Zuwanderer. "Es muss uns klar sein, dass das unsere Zukunft ist", betonte er. Sein Schlussappell: "Wir müssen sagen, jawohl, jetzt sind die Flüchtlinge da, jetzt machen wir was daraus anstatt sie wegzuignorieren."

Über den bürokratischen Weg, den die Asylbewerber nach ihrer Ankunft in Deutschland nehmen müssen, informierte Elena Schuschunowa. Die Asylsozialberaterin vom Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch" erläuterte den Jugendlichen das oftmals langwierige Asylverfahren, zählte auf, welche Leistungen die Flüchtlinge bekommen, was es mit Begriffen wie "Residenzpflicht" oder "subsidiären Schutz" auf sich hat. Von den 550 Flüchtlingen im Landkreis kämen 31 Prozent auf Afghanistan, 14 Prozent aus Syrien und zehn Prozent aus dem Irak, sagte sie. Mit ihrer Kollegin Anika Dollinger hilft sie ihnen bei Krisen, rechtlichen Problemen und im Asylverfahren. Dabei arbeiten beide mit Ämtern, Ärzten, Anwälten, Kindergärten und Schulen zusammen. Und mit ehrenamtlichen Kräften. "Sie machen eine große Arbeit, sie leisten sehr viel", lobte die Asylsozialberaterin.

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