Drohendes Aus der Tölzer Geburtenstation:So weit müssen Schwangere zur Klinik fahren

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In 20 Minuten sollen werdende Mütter im Krankenhaus sein. Das gilt nicht mehr, wenn die Entbindungsstation in Bad Tölz schließt. Hebammen warnen vor Auto-Geburten.

Von Ingrid Hügenell

Wenn es nach dem bayerischen Gesundheitsministerium geht, ist die Geburtshilfe landesweit gesichert. "Jede werdende Mutter kann bei uns eine Geburtshilfeabteilung in zumutbarer Entfernung erreichen", sagte Ministerin Melanie Huml (CSU) vergangene Woche. Die Bayerische Krankenhausgesellschaft sieht das ähnlich. Geschäftsführer Siegfried Hasenbein sagte: "In Bayern kann man in der Regel innerhalb von 20 Minuten eine Geburtshilfestation erreichen."

Für Schwangere in Bad Tölz und in vielen Gemeinden im Landkreis gilt das nicht mehr, wenn die Geburtenstation der Asklepios-Stadtklinik wirklich schließt. Von der Kurstadt braucht man bis zur nächsten Entbindungsstation in der Kreisklinik Wolfratshausen laut Routenplaner mindestens 24 Minuten, nach Agatharied im Landkreis Miesbach, wo es eine große Abteilung für Geburtshilfe gibt, rund 28 Minuten - bei normalen Straßenverhältnissen und ohne Stau. Wer in Lenggries lebt, mit 10 000 Einwohnern und 99 Neugeborenen im vergangenen Jahr die viertgrößte Kommune im Landkreis, fährt deutlich länger als eine halbe Stunde zu den beiden Krankenhäusern. Zum Weilheimer Krankenhaus dauert es fast 50 Minuten und nach Starnberg und Garmisch-Partenkirchen, wo die Kliniken ebenfalls Geburtshilfe anbieten, etwa eine Stunde. Und wer am Walchensee oder gar in der Jachenau wohnt, hat es noch erheblich weiter.

Das Universitätsklinikum Großhadern ist von Bad Tölz aus in 45 Minuten zu erreichen. Doch die Münchner Kliniken sind oft keine Alternative. "In München werden sogar Frauen mit starken Wehen an der Tür zum Kreißsaal abgewiesen", sagt die Hebamme Kristina Hasenknopf, die an der Tölzer Klinik Geburten begleitet. Auch die werdenden Mütter aus den abgelegeneren Gemeinden bräuchten einen kurzen Weg zum Entbinden. "Um die Frauen aus der Jachenau tut es mir richtig leid" sagt die Hebamme. "Das ist eine ganz traurige Entwicklung, die da passiert."

Das drohende Aus der Geburtshilfe in Bad Tölz ist kein Einzelfall: Auch die Abteilung in Wolfratshausen war vor wenigen Jahren von der Schließung bedroht, die in Penzberg wurde dichtgemacht. Bundesweit müssen Kreißsäle schließen, weil sie sich nicht rentieren oder weil sich nicht genügend Ärzte und Hebammen finden. Dabei kommen gerade in Bayern wieder mehr Kinder zur Welt. Meist spielten finanzielle Aspekte die Hauptrolle, teilte die Bayerische Krankenhausgesellschaft mit. Ein Grund seien auch die "deutlich gestiegenen Erwartungen und Qualitätsanforderungen, sowohl aus Sicht der Mütter als auch von wissenschaftlicher Seite". Der Deutsche Hebammenverband fordert die Bundesregierung zum Handeln auf. "Gab es 1991 bundesweit noch 1186 Krankenhäuser mit Geburtshilfe, waren es 2014 nur noch 725", sagte die Präsidentin des Verbandes Martina Klenk. Die Bedingungen für die Kliniken müssten sich verbessern.

Die Tölzer Hebamme Hasenknopf sorgt sich um die Sicherheit der Mütter und Kinder. "Wenn die Fahrt zum Krankenhaus zu lange dauert, kann das Baby im Auto auf die Welt kommen." Dann bestehe die Gefahr, dass es auskühle. Zudem sei eine Geburt unterwegs ein enormer emotionaler Stress für die Eltern, "wenn der Mann alleine ist mit seiner Frau". Wirklich dramatisch kann es werden, wenn Komplikationen auftreten. "Die können aus heiterem Himmel kommen", sagt Hasenknopf - etwa plötzliche Blutungen oder dass sich die Nabelschnur um den Hals des Babys legt. "Manchmal kann es dann zu spät sein für das Kind." In solchen Situationen gehörten die Gebärenden sofort in eine Klinik und in die Obhut erfahrener Geburtshelfer.

Immer mehr Geburten fänden inzwischen tatsächlich in Autos oder sonstwo während der Anfahrt statt, berichten die bayerischen Hebammen. Ein Problem sehen sie in fehlenden Konzepten für die Zentralisierung der Geburtshilfe. "Man muss vorher die Strukturen schaffen und nicht erst die kleinen Häuser vor die Wand fahren und dann die großen Häuser mit der Zentralisierung überraschen", sagt die Vorsitzende des Hebammen-Landesverbands, Astrid Giesen.

Die Mitglieder der Initiative, die sich für die Tölzer Geburtshilfe-Abteilung einsetzt, sehen indes nicht nur die Sicherheits-Aspekte. Vielen ist wichtig, dass sie in der relativ kleinen Tölzer Klinik in einer familiären Umgebung gebären können oder konnten. Dort, so zeigen die Einträge auf der Facebook-Seite "Rettet die Geburtshilfe Bad Tölz", fühlten sich die Frauen gut aufgehoben und umsorgt - eine positive Erfahrung, die Mütter auch künftigen Müttern und Vätern wünschen. Auch darum rufen sie am Freitag zum "Lichterzug" vor der Asklepios-Stadtklinik auf - Treffpunkt ist um 17 Uhr am Brunnen vor dem Krankenhaus.

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