Alles ist relativ, auch in Bad Heilbrunn: Weil sie an diesem schneereichen, eiskalten Abend "vom Ostwind hergeweht" worden seien, hätten er und die Wellbappn nur "relativ auf die Schnelle" etwas Ortsbezogenes zum Auftakt dichten können, entschuldigte sich Hans Well am Freitag eingangs. Ja, von wegen! Denn das auf Ort und die Region bezogene Gstanzl hatte es in sich, traf zielsicher und weckte vor allem die Lust auf mehr in dieser Richtung im vollbesetzten Heilbrunner Kurhaus. Kostprobe gefällig? Bitte schön: "Ja sogts amoi, wo samma da heut glandt/ im Bäderzentrum vom Oberland/ wo des Alpamare demnächst gschlossn werd/ und ma vom Trimini a nix guats heard/ und wo's Gsundheitsamt, als war des no ned gnua/ sperrt a no des Reindlschmiedner Freibad zua." Auch der Veranstaltungsort an sich bot Hans Well und seinen Kindern Jonas, Tabea und Sarah Steilvorlagen: Bad Heilbrunn, ein Ort, "wo man zum Einkaufen fahrn muss kilometerweit/ weil an Tengelmann as Geschäft nimma freit". Heute habe sie das Schicksal "do hin tragn/ wo's mittendrin eine Bauruine ham/ a Kurhaus mit Wandelhalle erbaut/ des wo vo außen wia a Kreuzgang ausschaugt/ wo scho lange keiner mehr drin wandelt/ und der Besitzer auch nicht drüber verhandelt". Endlich, endlich waren sie wieder da, der bayerische Hintersinn und die kritische Widerborstigkeit. Und mit Verve, Freud und musikalischer Virtuosität packten die vier auf der Bühne kokett und frech die Widersprüche und Seltsamkeiten der vermeintlichen ländlichen Idylle aus.
Im weiteren Programm diente allerdings nicht Heilbrunn, sondern "Hausen" als Dorf null der bayerischen Seele und ihrer Befindlichkeiten. Ein Dorf, in dem Gemeinderatssitzungen eher Eigentümerversammlungen gleichen ("stimmt zwar, sagt man aber nicht"), wo Pfarrer und Kirchenchor ein Loblied über Bürgermeister und Gemeinderat komponiert haben und wo zur Belebung der Dorfmitte der Friedhof erweitert wird. Von dort aus zogen die vier weitere Kreise, über die Leistungsschauen von Müttern mittels SUVs, stetig "süßelnden" Kindergärtnerinnen hin zu den Verwirbelungen zwischen G8 und G9 und der Erfolgsdruck in den Schulen: "Bringst du noch mal 'nen Dreier heim, dann schlachten wir Dein Hasilein. Hasilein auf Diddl-Teller, da lernt das Kind in Zukunft schneller." Bürgermeister, Heimatpfleger, Staatsregierung und katholische Kirche, auf sie alle machen sich die vier einen Reim. Genauso wie auf Schul- und Schneekanonenwahn ("Kennst Du das Tal im Alpengrün, wo rot vor Scham die Berge glühn"), bayerische Bescheidenheit oder Politik als Gesetz ("Lesung aus dem Buche Bayern").
Der Auftritt der vier, obwohl nicht immer reibungslos, was es aber umso charmanter und reeller machte, war immer dann am stärksten, wenn ihre aphoristischen Frechheiten richtig scharf waren. Wenn es plötzlich kratzte im bayerisch-gemütlichen Filz mit seiner tümeligen Nestwärme.
Dass Hans Well mit seinen Kindern auftritt, bringt tatsächlich frischen Wind und junge Themen hinein, wie in den Ankündigungen beschrieben. Allerdings dürfen die Kinder künftig noch stärker vom Leder ziehen. Themen gibt es genug: Schule, Studium, Social Communities. Noch aber sind sie neben ihrem Talent als lampenfieberfreie, hochbegabte Musiker überwiegend die netten, koketten Benenner von Kuriositäten und Stichwortgeber im Programm ("Gesucht: Verehrer, vorzugsweise mit Grundbesitz"). Das mag ausgleichend gedacht sein, aber: Zefix, das Lachen ist doch immer dann am befreiendsten, wenn man auch schlucken muss. Vielleicht war das aber auch einfach nur die Lust nach mehr, die vom sehr guten Programm mit vielen Höhepunkten übrig blieb. Das begeisterte Publikum jedenfalls wollte die vier so schnell nicht ziehen lassen und forderte lautstark Zugaben.