Stadtklinik:Warum trotz Babyboom die Geburtenstation in Bad Tölz schließen soll

Asklepios Stadtklinik Bad Tölz

Der Geburtshilfe in der Tölzer Klinik droht die Schließung, obwohl die Zahl der Neugeborenen im Landkreis seit Jahren wieder steigt. Das Problem: Es fehlt an Fachmedizinern.

(Foto: Manfred Neubauer)

Niemand will mehr Geburtshelfer in der Kurstadt sein. Dabei wächst die Geburtenrate in allen Städten und Gemeinden - eine Übersicht.

Von Klaus Schieder

Der Anruf muss Joachim Ramming fast schon wie Ironie vorgekommen sein. Auf seiner fruchtlosen Suche nach einem Belegarzt für die Geburtshilfe an der Tölzer Asklepios-Klinik meldete sich zwischendurch doch plötzlich ein Interessent. Am Telefon hatte der Geschäftsführer einen Gynäkologen aus Hamburg. Bereits mehr als 60 Jahre alt, konnte sich der Arzt vage vorstellen, in die Kurstadt zu ziehen und sein Berufsleben an der Klinik ausklingen zu lassen. Ramming lehnte ab. Ein schon auf Rente bedachter Mediziner ist für ihn "keine nachhaltige Lösung" für die Geburtshilfe-Abteilung, die mangels Fachmedizinern vor dem Aus steht. Und sonst? Absolute Fehlanzeige. Nicht ein einziger Bewerber meldete sich auf persönliche Anschreiben, Annoncen, Internet-Werbung und die Arbeit der beiden Personalagenturen, die der Geschäftsführer eingeschaltet hatte. Ramming zeigt sich frustriert: "Ich hätte nicht gedacht, dass es deutschlandweit für einen schönen Ort wie Bad Tölz keine einzige Rückmeldung gibt."

Der Geburtshilfe an der Asklepios-Klinik könnte deshalb in etwa einem halben Jahr Geschichte sein - und dies, obwohl die Zahl der Neugeborenen im Landkreis seit fünf Jahren kontinuierlich steigt. Die zwei Belegärzte Dr. Florina Rummel und Dr. Stephan Krone haben dem Krankenhaus signalisiert, dass sie den enormen Arbeitsaufwand unter den obwaltenden Umständen nicht auf Dauer stemmen können. Anders als die Ärzte in anderen Fachgebieten gehen sie nach dem Alltag in der eigenen Praxis oftmals nicht in den Feierabend oder ins Wochenende, sondern fangen ihre zweite Schicht im Krankenhaus an, das im Jahr mehr als 500 Geburten hat. An manchen Tagen, sagt Rummel, sehe sie ihre beiden kleinen Kinder vor lauter Arbeit nicht. Hinzu kommt, dass sie hohe Prämien - rund 54 000 Euro im Jahr - für die Haftpflichtversicherung zahlen muss. Bis vor kurzem trug die Klinik noch einen guten Teil dieser Kosten. Aber nach dem neuen Antikorruptionsgesetz geht das Ramming zufolge nicht mehr.

Stadtklinik: SZ-Grafik; Quelle: Landesamt für Statistik, Stadt Geretsried/Institut für Sozialplanung SAGS

SZ-Grafik; Quelle: Landesamt für Statistik, Stadt Geretsried/Institut für Sozialplanung SAGS

Die beiden Belegärzte stellen allerdings klar, dass sie durchaus gewillt sind, weiter in der Geburtshilfe zu arbeiten - "wenn uns die Klinik unterstützt", sagt Krone. Im April hatte das Tölzer Krankenhaus eine Oberärztin auch für Geburtshilfe eingestellt, die im September in Elternzeit ging, weshalb im November ein weiterer Oberarzt kam. Blieben beide, so wäre dies für Krone ausreichend. Was das Antikorruptionsgesetz anbelangt, muss seiner Ansicht nach erst eine juristische Prüfung zeigen, ob eine finanzielle Hilfe für Belegärzte fürderhin möglich ist. "Das muss man abwarten und nicht gleich die Flinte ins Korn werfen", so der Gynäkologe. Die Geburtshilfe bezeichnet er als "Visitenkarte fürs ganze Haus", weil sie einen positiven Erstkontakt schaffe: "Ein Krankenhaus für alle, von der Wiege bis zur Bahre." Allerdings sei die Geburtshilfe in Tölz klein und familienorientiert, was "in Zeiten der erlösträchtigen Medizin nicht so zeitgemäß" sei. Ganz allgemein sieht es Krone als "politischen Willen", unrentable Krankenhäuser oder Abteilungen darin aufzugeben. "Es wird zunehmend Zentralisierung gewünscht."

Ramming erwog auch andere Optionen als das praktizierte Belegarztsystem. Eine eigene Hauptabteilung etwa. Aber das scheiterte ebenfalls am fehlenden Fachpersonal. Man habe einen Chefarztposten und Stellen für Ober- und Fachärzte ausgeschrieben - worauf sich nur die Oberärztin meldete, die dann angestellt wurde. Verwunderlich ist dies für den Geschäftsführer nicht. Mehr als 80 Chefarzt-Stellen in der Gynäkologie seien bundesweit unbesetzt, sagt er. Dieses Problem sieht auch Hubertus Hollmann, Geschäftsführer der Kreisklinik Wolfratshausen, die gleichfalls Verträge mit zwei Belegärzten hat. Eine Hauptabteilung aufzubauen, sei "fast unmöglich". Ramming und Hollmann loteten eine Kooperation ihrer beiden Häuser in der Geburtshilfe aus. "Aber am Ende des Tages kam es zu keinem Konstrukt", erzählt Hollmann. Tritt ein Notfall ein, müsste ein Belegarzt womöglich von Wolfratshausen nach Tölz oder umgekehrt fahren. In den zehn Minuten, die gesetzlich vorgeschrieben sind, ist das unmöglich.

Stadtklinik: Die Belegärzte Dr. Stephan Krone und Dr. Florina Rummel würden weitermachen - "wenn uns die Klinik unterstützt".

Die Belegärzte Dr. Stephan Krone und Dr. Florina Rummel würden weitermachen - "wenn uns die Klinik unterstützt".

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Sollte die Geburtshilfe in Tölz schließen, rechnet Hollmann damit, dass mehr schwangere Frauen in die Kreisklinik kommen. Pro Jahr werden dort 270 Babys zur Welt gebracht. Eine Zunahme würde indes auch das Belegarztsystem in Wolfratshausen belasten. Das sieht Hollmann zurzeit nicht gefährdet. Mittel- und langfristig werde es aber schwer zu halten sein, räumt er ein. "Das Thema bewegt uns auch."

Wegen einer Kooperation streckte Ramming seine Fühler überdies zu den Krankenhäusern Garmisch und Agatharied aus - ebenfalls ohne Erfolg. Künftigen Müttern dürfte kaum hingegen etwas anderes übrig bleiben, als dorthin oder zu anderen Kliniken in der Region zu fahren, falls Tölz seine Geburtshilfe aufgibt. "Für die Bevölkerung entstünde eine Lücke, die umliegende Häuser nur zum Teil schließen können, weil sie ebenfalls überlastet sind", warnt Krone. Seine Kollegin befürchtet, dass sich Schwangere und die neun Beleg-Hebammen an der Asklepios-Klinik, denen Ramming eine Kompensation verspricht, schon jetzt umorientieren und nicht sechs Monate abwarten. Am Mittwoch erhielt sie bereits Anrufe von Patientinnen. "Wir müssen uns vor ihnen rechtfertigen, aber das war nicht allein unsere Entscheidung." Beide Belegärzte versichern jedoch, auch weiterhin Behandlungen an der Stadtklinik vorzunehmen. "Bei einer Fehlgeburt kann man ja niemanden woanders hinschicken", sagt Rummel.

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