Ausstellung von Winterbildern:Sehen statt wissen

Dierk Schwendner

Als Medizinprofessor beschäftigt sich Dierk Schwender mit Neurowissenschaften. Als Maler lässt er sich vom Isarwinkel inspirieren.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der Maler und Mediziner Dierk Schwender stellt im Kunstraum aus - und spricht zum Thema "Neurowissenschaft und Kunst"

Von Sabine Näher, Bad Tölz

Dass Mediziner ein zweites, künstlerisches Standbein hätten, komme gar nicht so selten vor, erklärt Prof. Dr. med. Dierk Schwender, wenn man ihn auf seine doppelte Profession anspricht. "Denken Sie nur einmal an prominente Schauspielerinnen wie Franka Potente, Maria Furtwängler oder Christiane Paul: Alle sind Ärztinnen", führt Schwender aus. Folgerichtig betrachtet er sich auch nicht als einen malenden Arzt, sondern eindeutig als Arzt und Maler. Das Medizinstudium begann er 1974 in Bonn; von 1975 an lief die künstlerische Ausbildung parallel. "Die Medizin ist ein wunderbarer Zugang zum Leben, aber auch einer, der einen ganz erfüllt und nicht viel Platz lässt für anderes", erklärt Schwender.

Aus diesem Grund stand der Arztberuf dann doch viele Jahre im Vordergrund mit Tätigkeiten im argentinischen Mendoza, in Hamburg, Lübeck, am Bodensee und in München. Dort wurde er 1996 zum Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität berufen. Schwenders wissenschaftlicher Schwerpunkt sind die Neurowissenschaften in der Anästhesie und der Intensivmedizin.

Zwischen der Neurowissenschaft und der Kunst sieht er "eine ganz enge Verbindung". Denn jede Form der Wahrnehmung sei eine Abstraktion, wie Schwender einem kleinen, aber höchst interessierten Kreis von Zuhörern im Tölzer Kunstraum, der gerade eine Ausstellung mit Winterbildern aus seiner Werkstatt zeigt, erläutert. "Unser Gehirn hat 100 Milliarden Nervenzellen. Jede davon hat wiederum 10 000 Verknüpfungen. Die Schaltkreise in unserem Gehirn haben eine unvorstellbar große Zahl. Kein Mensch wird je all seine Schaltkreise betätigen können." Die Vielfalt auf Weniges zu reduzieren sei darum unabdingbare Notwendigkeit. Das geschehe über die Bildung von Mustern, die unsere Wahrnehmung prägen. "Wir nehmen nicht wahr, was wir wirklich sehen, sondern was unsere Muster bestätigt", erklärt Schwender. "Ein neugeborenes Gehirn kann nur sehr wenig, ist aber unglaublich flexibel und kann sich auf alles einstellen." Wie unsere Wahrnehmung funktioniere, hänge also davon ab, welche Erfahrungen wir bisher gemacht hätten und welche Muster unser Gehirn daraus abgeleitet habe. Wenn ein Sinnesreiz eingehe, öffneten sich sofort unzählige Schubladen. Aber jeder mache eben andere Schubladen auf. "Das ist das Problem!", wirft ein Zuhörer ein. "Oder die Chance...", entgegnet ein anderer.

Um nun künstlerisch arbeiten zu können, müsse man versuchen, sich von seinen Mustern zu lösen und wahrzunehmen, was man tatsächlich sehe, sagt der Maler und Mediziner. Das angesammelte Wissen stehe der tatsächlichen Wahrnehmung nämlich im Wege. "Male, was du siehst, und nicht, was du weißt", sei der weise Ratschlag seines Kunstprofessors gewesen, erzählt Schwender. Seine Malerei beschreibt er als gegenständlich, mitunter seien auch surreale Einflüsse zu finden.

Auf den ausgestellten Winterbildern finden sich diese nicht: Man sieht stimmungsvolle Landschaften im Schnee, einfache Kompositionen, die durch ihre Reduktion überzeugen. Etwa die verschneite Wiese im unteren Bildteil vor einem dunklen Wald, getrennt durch einen Weidezaun mit einem Pfosten. "Der Draht hat zwei Segmente: Vor der dunklen Fläche scheint er hell, vor der hellen dunkel. Damit habe ich die Lichtstimmung eines typischen Wintertages eingefangen", erläutert Schwender. Um Stimmungen gehe es ihm generell: "Ich versuche, sie aufzugreifen und zu verdichten. Wenn mir das gelingt, bin ich sehr glücklich."

Mit seinen Winterbildern hat Schwender, der mit seiner Familie in München und Lenggries lebt, fraglos erreicht, was ihm vorschwebt: mit wenigen, dichten Wahrnehmungen eine Stimmung zu erzeugen, die sich dem Betrachter sofort vermittelt. Viele Motive entstammen seiner Wahlheimat Isarwinkel, wo der begeisterte Wanderer und Wintersportler seinen Hobbys gleich vor der Haustür nachgehen kann. Und wo er sich zum Malen inspirieren lässt. Im Kunstraum wird am Dienstagabend indes noch lange diskutiert, wie es sich denn nun mit unserer Wahrnehmung verhält. "Das Bewusstsein wird total überschätzt: 99 Prozent der neuronalen Aktivitäten erfolgen unbewusst." Diese Aussage des Fachmannes sorgt dann doch für Erstaunen.

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