Ausstellung in Wackersberg:Anatomie und Ästhetik

Im "KunstHausQuelle" von Sabrina Hohmann treten die Holzleim-Objekte von Anika Ising in einen stillen Dialog mit Skizzen von Leonardo da Vinci.

Von Petra Schneider, Wackersberg

Das Haus an der Quelle ist ein magischer Ort: abgelegen und entrückt steht es am Fuße des Blombergs, eingebettet in Wiesen. Still ist es, noch sind keine Besucher der Ausstellung da, die am Freitag dort eröffnet wird. Ihr Titel klingt wie eine Zauberformel: "Be-Ding-Drang: Anika Ising - 40 Skulpturen, Leonardo da Vinci - 40 graphische Blätter". In dem sehr langen und sehr hohen Flur hängen seltsame Objekte: bauchige, verschlungene, gestreckte Formen in verschiedenen Schattierungen von Weiß - eierschalenfarben, Elfenbein, gelblich. Wie Organe oder Körperteile wirken die Skulpturen: Herz, Lungenflügel, Niere, Phallus - als wäre man in ein anatomisches Laboratorium geraten.

Man möchte diese glatt polierten Formen mit ihren Rundungen und Kanten anfassen, sie wecken Neugierde und Entdeckerdrang. Und schon ist man beim lautmalerischen Titel der Ausstellung. Und bei Leonardo da Vinci, der Zeit seines Lebens mit unstillbarem Drang versuchte, Dinge zu ergründen - als Maler, Bildhauer, Architekt, Ingenieur und Anatom. Hunderte Blätter hat er über die Jahre gezeichnet; Skizzen von Organen, Knochen, Adern und Körperteilen, ergänzt durch Notizen und Erläuterungen. Feine Zeichnungen mit brauner Tusche, in denen er etwa Analogien zwischen dem menschlichen Knochengerüst und Fischgräten herstellte, oder Adern wie verzweigte Äste zeichnete.

KunstHausQuelle

Anika Ising (links) im Gespräch Sabrina Hohmann.

(Foto: Manfred Neubauer)

Zwischen 1510 und 1515 soll der Universalgelehrte aus Florenz mehr als 30 Leichen von Hingerichteten seziert haben - mit Erlaubnis der Obrigkeit. Kopien seiner Notizen sind in der faszinierenden Ausstellung unter den Skulpturen von Anika Ising angeordnet - nicht unter inhaltlichen, sondern unter ästhetischen Gesichtspunkten. "Wenn ich das Gefühl hatte, die sprechen miteinander, dann hat das für mich gepasst", sagt die Münchner Künstlerin. Sie zeigt ihre Objekte aus Holzleim auf Einladung von Sabrina Hohmann, die im Haus an der Quelle lebt und arbeitet.

KunstHausQuelle

Die "Anatomischen Studien" Leonardo da Vincis.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die beiden Künstlerinnen sind befreundet, Ising war Schülerin an der Akademie der bildenden Künste in München bei Professor Andreas von Weizsäcker, Hohmanns verstorbenem Mann. Die Idee zur Ausstellung sei "überfallartig" gekommen, erzählt Hohmann. "Überall in Anikas Wohnung hingen diese Objekte." Und da habe sich die Verbindung zu Leonardo da Vinci aufgedrängt. Seit Jahren bewahrt Hohmann in ihrem Bücherregal autorisierte Faksimile-Ausgaben der "Anatomischen Studien" auf. Die Originale sind im Besitz "Ihrer Majestät Queen Elisabeth II in Windsor Castle", wie es in den beiden monströsen Ausgaben heißt, die in der Ausstellung ausliegen. Auf Seite 704 kann man da etwa in deutscher Übersetzung lesen, was da Vinci über ein Organ schrieb, das er als Erster als Muskel erkannte: "Das Herz treibt das Blut beim Zusammenziehen hinaus, und je mehr es sich zusammenzieht, desto vollkommener schließen sich die Membranen."

KunstHausQuelle

"Wenn ich das Gefühl hatte, die sprechen miteinander, dann hat das für mich gepasst", sagt die Münchner Künstlerin Anika Ising.

(Foto: Manfred Neubauer)

Beim Studium der Notizen sei ihr aufgefallen, wie poetisch da Vinci seine Beobachtungen formuliert habe, sagt Ising. Und mit welcher Besessenheit und Genauigkeit er sie skizziert habe. Das sei das Verbindende jeder Kunst über Zeiten und Welten hinweg, findet Hohmann: "Diese Poesie und der unbedingte Drang, etwas zu tun." Auch Ising ist eine unermüdliche Künstlerin. Ursprünglich eine reine Zeichnerin, formt sie seit einigen Jahren fast "nonstop" ihre ungewöhnlichen Skulpturen. Auf den Holzleim als Material sei sie durch Zufall gestoßen. "Ich hatte einiges übrig und wollte etwas damit machen." So wie da Vinci seine Erkenntnisse aus sinnlicher Anschauung ableitete, so führt Ising ihre scheinbar naturwissenschaftlichen Objekte auf eine funktionslose, rein ästhetische Form zurück. Gar zu verkopft möchte die 42-Jährige ihre Kunst freilich nicht verstanden wissen. Ihrer allerersten Zeichnung habe sie den Titel gegeben: "Für Theorie interessiere ich mich desweiteren nicht".

Sie interessiert, was entsteht, wenn sich der Holzleim Schicht für Schicht übereinander oder um einen Kern legt, den sie meist im "Tierhandel oder im Müll" findet. Wie sich seine helle Farbe beim Trocknen verändert. Sie mag es, dass die Objekte trotz ihrer Festigkeit brüchig bleiben und sich durch Wasser oder extreme Hitze verändern können.

Fast immer würden die Skulpturen von den Betrachtern als Organe wahrgenommen - obwohl sie nicht weich, nicht warm, nicht blutrot sind. Ein Bruch, den Ising gut findet, "denn dadurch abstrahieren sie sich selbst".

Die Stille im "KunstHausQuelle" ist inzwischen einem lebhaften Hallo gewichen: Immer mehr Leute kommen, Einheimische und Münchner, Kinder flitzen durch den Gang, Hohmanns Hund wedelt zwischen den Besuchern umher. Ising freut es, wenn Kunst ganz unterschiedliche Leute zusammenbringt. Und sie mag es, dass viele Besucher ihre Skulpturen anfassen und sie so in leichte Schwingung versetzen. "Weil ihnen das eine Überhöhung als Kunst-Objekt nimmt."

Die Ausstellung im KunstHaus Quelle, Quelle 1, Wackersberg ist geöffnet am 13., 14., 20. und 21. Mai jeweils 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung unter mail@sabrinahohmann.de

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