Ausgrabungen in Schlehdorf:Kloster unter der Erde

Archäologen untersuchen das zweite Augustiner-Chorherrenstift. Entdeckt wurde es beim Abriss des Seniorenheims. Doch die Denkmalpfleger lassen den größten Teil der Sakralbauten unangetastet.

Von Ingrid Hügenell

Das Gebäude muss fast ständig feucht gewesen sein, das Leben darin beschwerlich, von ständigen Hochwässern beeinträchtigt. Und dennoch hielten die Augustiner-Chorherren ihr Kloster am Ufer des Kochelsees fast 700 Jahre an seinem Standort in Betrieb, von 1140 bis 1718. Archäologe Mario Hölzl erstaunt es, dass das zweite Schlehdorfer Klostergebäude nicht gleich auf dem Hügel erbaut wurde, auf dem der dritte und heute noch existierende Bau errichtet wurde. Der Kochelsee war bis etwa 1900 viel größer als heute, er reichte weit bis ins heutige Dorf hinein. Dann wurde sein Wasserspiegel abgesenkt.

Hölzl leitet die Grabung, die seine Firma "X-Cavate" seit Oktober dort unternimmt, wo im August das frühere Seniorenheim abgerissen wurde. Die Fläche mitten im Dorf, unterhalb des jetzigen Klosters im Winkel der Staatsstraße, wird nach der Grabung mit dem neuen Senioren- und Pflegeheim wieder bebaut. Dass die Grabung möglich wurde, ist laut dem Landesamt für Denkmalpflege der guten Zusammenarbeit mit der Gemeinde Schlehdorf zu verdanken. Es habe im Ort Fürsprecher gegeben, die nicht gewollt hätten, dass das alte Kloster überbaut werde, sagt Martin Pietsch, Vor- und Frühgeschichtler und Gebietsreferent des Landesamts für Denkmalpflege.

Der Großteil der zweiten Klosteranlage liegt unter der Wiese, die im Norden an die Ausgrabung angrenzt. Dort, unter dem Gras, werde sie auch bleiben, sagt Pietsch. "Jede Ausgrabung ist eine Zerstörung", erklärt der Denkmalschützer. Was nicht ausgegraben werden müsse, solle erhalten bleiben, bis in 50 oder 100 Jahren neue, mutmaßlich bessere wissenschaftliche Methoden verfügbar seien. "Man hebt es auf für die Zukunft." Während die Archäologen gerne alles ausgraben würden, wollten Denkmalpfleger "möglichst viele Denkmäler so belassen, wie sie gerade sind." Durch Geo-Radarmessungen weiß man aber ziemlich genau, wo in Schlehdorf Mauern und Stützpfeiler standen.

Ausgrabung Kloster Schlehdorf

Niels Determeyer von der Firma X-Cavate legt alte Mauersteine frei. Nicht alle Denkmalschützer sind darüber besonders glücklich.

(Foto: X-Cavate Archeology/oh)

Um das Jahr 1446 wurde die Anlage erneuert. Im Norden wurde eine gotische Kirche errichtet, deutlich sichtbar auf den Messungen. Sie war womöglich dreischiffig, das Langhaus nahm demnach eine Fläche von 13 auf 28 Meter ein. Darunter liegen womöglich eine Krypta oder ein Vorgängerbau. Nach der Verlagerung des Klosters auf den heutigen Standort wurde die Kirche als Pfarrkirche genutzt, bis sie 1784 abbrannte.

Entdeckt wurden auf den Radarbildern auch Reste des eigentlichen Klostergebäudes, des Gartens und eines Brunnens. Insgesamt zeigen die Messungen zu Pietschs Überraschung, dass die gefundenen Grundrisse sehr gut mit zwei historischen Stichen übereinstimmen.

Der ältere aus dem Jahr 1687 stammt von Anton Wilhelm Ertl, der jüngere wurde um 1700 von Michael Wening in Kupfer gestochen. Sie weichen vor allem darin voneinander ab, dass auf Ertls Stich im Süden der Anlage eine kleine Kirche oder Kapelle zu sehen ist, die auf Wenings Stich fehlt. Dass dies nicht auf einer Ungenauigkeit beruht, zeigt die Grabung: Die Archäologen haben Reste dieses Kirchleins entdeckt.

Die Fläche, auf der sie noch bis Frühling 2017 Überreste der Anlage freilegen, sei etwa 2500 Quadratmeter groß, sagt Hölzl. "Es ist eine ganze Menge, was wir hier zutage bringen."

Nicht nur die Reste des Kirchleins von Ertls Stich, sondern auch Mauern des Süd- und Ostflügels seien entdeckt worden. Wesentliche Fragen werden Hölzl zufolge dadurch aufgeworfen. Etwa die, wann das kleine Kirchlein erbaut wurde und in welcher Verbindung es zum Kloster stand. Abgerissen wurde es laut Hölzl schon 1694, also 24 Jahre, bevor man die Klosteranlage auf den Hügel verlagerte. Andererseits lässt sich durch die Ausgrabungen auch die Richtigkeit historischer Quellen belegen, etwa der Stiche.

Ausgrabung Kloster Schlehdorf

Weitere Reste des zweiten Klosters liegen unter die Wiese links des Grabungsfeldes.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Arbeit der Archäologen wird dadurch erschwert, dass im Jahr 1846 praktisch der gesamte Ort Schlehdorf bei einem verheerenden Feuer zerstört wurde. Den Schutt hätten die Bewohner damals im ehemaligen Klostergarten abgelagert, wenig später wurde darauf das jetzt abgerissene Seniorenheim errichtet, berichtet Hölzl. Es war zunächst ein Krankenhaus.

Um zur eigentlichen Klosteranlage vorzustoßen, müssen die Archäologen zunächst die Überreste der Häuser wegräumen, die dem Brand zum Opfer fielen. Durchschnittlich acht Leute der Firma X-Cavate sind dort tätig. Sie haben zum Beispiel schon herausgefunden, dass auch die Augustiner nur jeweils soweit bauten, wie das Geld reichte. An den freigelegten Mauern seien die "Nähte" der Bauabschnitte gut zu erkennen, sagt Hölzl.

Wo das erste Kloster lag, das 904 von den aus der ungarischen Tiefebene hereinbrechenden Awaren zerstört wurde, weiß bisher niemand genau. Es war eine Gründung der Benediktiner und soll von Bonifatius selbst geweiht worden sein. Vermutet wird sein Standort noch näher am See. Nach der Zerstörung wurde es erst 1140 von Bischof Otto I von Freising als Augustiner Chorherrenstift wieder gegründet. Deshalb ist Schlehdorf bis heute eine Freisinger Enklave im Bistum Augsburg.

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