Aus dem Amtsgericht:Clozapin statt Clonazepam

Eine Apothekerin soll einem Behinderten das falsche Medikament eingepackt haben - und damit für einen schweren Anfall verantwortlich sein

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Peter B. (Name geändert) ist mehrfach behindert. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in einer Betreuungseinrichtung im Landkreis. Ein- bis fünfmal im Monat hat er Krampfanfälle - so wie auch am 9. Dezember 2013 morgens. Dann klappt er zusammen, sein ganzer Körper zuckt. Er röchelt und schnauft. Gewöhnlich ist ein Anfall nach Medikamentengabe spätestens in drei Minuten vorbei. Vor zwei Jahren waren die Krämpfe des Hirngeschädigten nach rund 15 Minuten immer noch nicht unter Kontrolle. Das Heim verständigte den Notarzt. Peter B. wurde auf die Intensivstation des Kreiskrankenhauses Wolfratshausen gebracht. Nach wenigen Tagen kam er zurück ins Heim. Zusätzliche Schäden hat er nicht davon getragen.

Schuld an der dramatischen Eskalation soll eine Apothekerin aus dem Landkreis sein. Sie muss sich seit Montag wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Amtsgericht Wolfratshausen verantworten. Sie stellte damals die Medikamente für die Patienten der Einrichtung zusammen und lieferte sie aus. Dazu nutzte sie eine computergesteuerte Maschine, welche die Rationen für jeden Patienten wochenweise in Verpackungen verschweißt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, ein falsches Medikament für Peter B. verpackt zu haben. Statt dem krampflösenden Wirkstoff Clonazepam soll er so Clozapin eingenommen haben. Mit dem Arzneimittel aus der Gruppe der Neuroleptika werden unter anderem Psychosen behandelt. Nebenwirkungen sind beispielsweise Muskelzittern und -zuckungen oder Krampfanfälle.

Die Mutter von Peter B. hat die Apothekerin angezeigt. Sie sagte, dass eine Betreuerin sie am 9. Dezember vor zwei Jahren über den schweren Krampfanfall und die Einlieferung in die Intensivstation informiert habe. "Das war das erste Mal, wo ich geschluckt habe." Nachmittags sei sie ins Krankenhaus gefahren. Ihr Sohn sei reglos da gelegen und habe nicht reagiert. Später habe die Betreuerin aus dem Heim ihres Sohnes erneut angerufen. Sie habe gesagt, dass Peter B. wegen eines falschen Medikaments ins Krankenhaus gekommen sei. Sie fügte hinzu, dass sie eigentlich gar keinen Strafantrag habe stellen mögen. Schließlich wolle sie, das niemand in Schwierigkeiten komme. "Mir geht es bloß um Gerechtigkeit."

Der damalige Oberarzt für Kardiologie am Wolfratshauser Krankenhaus sagte, dass ihm der Patient vom Arzt der Nachtschicht übergeben worden sei. Er wisse nur, dass es sich um eine Medikamentenverwechslung gehandelt haben soll. Eine Neurologe habe die Medikation überprüft.

Für die Aufsicht von Einrichtungen der Behindertenhilfe ist das Landratsamt zuständig. Eine Mitarbeiterin der Behörde sagte, dass es für Einrichtungen zulässig sei, würden Apotheken die Medikamente für ihre Patienten zusammenstellen.

In den Heimen seien allerdings neben ausgebildeten Pflegern auch pädagogische Fachkräfte tätig. Da gebe es immer wieder kleinere Probleme bei der Medikamentenausgabe, weil die Fachkenntnis fehle. Wer im Heim von Peter B. welche Verantwortung trug, hätten sie nicht bestimmen können.

Im Dezember 2013 - zum Zeitpunkt des Vorfalls - war die Führungsfrage im Heim ungeklärt. Die heutige Leiterin wurde erst 2014 installiert. Die erste Amtshandlung sei nach eigenen Angaben gewesen, den Vertrag mit der Apotheke zu beenden. Sie legte dem Gericht einen Ordner vor, in dem Mitarbeiter Probleme bei der Medikamentenzusammenstellung dokumentiert haben. "Ich war ganz baff, wie ich den bekommen habe." In den Verpackungen seien etwa falsche Wirkstoffe gewesen, was aufmerksamen Kollegen aufgefallen sei.

Laut einer Pflegerin des Heimes überprüften sie, ob der auf der Verpackung angegebene Wirkstoff für den Patienten stimme. Sie müssten sich darauf verlassen, was hinten drauf stehe.

Die Apothekerin schwieg vor Gericht. Ihr Anwalt bekräftigte vor Gericht, dass ein technischer Fehler bei der Medikamentenverpackung auszuschließen sei. Der Computer-Automat scanne das Rezept für den jeweiligen Patienten. Danach verpacke es der Automat so wie angegeben. Der Prozess wird fortgesetzt.

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