Amtsgericht Wolfratshausen:Gutachter zu Geldstrafe verurteilt

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Richter sieht Falschaussage in Prozess um Verkehrsunfall in Kochel als erwiesen an. Der Verkehrsexperte hat Zeugenaussagen ignoriert.

Von Wolfgang Schäl, Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Wegen falscher uneindlicher Aussage ist ein Verkehrsexperte am Dienstag im Wolfratshauser Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 80 Euro verurteilt worden. Richter Urs Wäckerlin sah es als erwiesen an, dass der Sachverständige Andreas F. (Name geändert) in seinem mündlichen Gutachten bei einer Verhandlung im Februar 2015 wesentliche Zeugenaussagen ignoriert hatte - trotz eines Hinweises der Staatsanwältin. In der fast drei Jahre zurückliegenden Verhandlung war es um einen Unfall in Kochel am See gegangen, an der Einmüdung der Herrenkreuth- in die Alte Straße: Ein Radler hatte gebremst, um die Kollision mit einem links abbiegenden Autofahrer zu vermeiden. Er war gestürzt und hatte sich beide Arme gebrochen. F. hatte in seinem Gutachten erklärt, der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Radler einfach weitergefahren wäre.

Mehr technischer und juristischer Aufwand ging nicht, um einem fachlich anerkannten Gutachter nachzuweisen, dass er vor Gericht uneidlich falsch ausgesagt habe. Dafür beauftragte die Staatsanwaltschaft einen Sachverständigen, dem nun wiederum Steffen Dreher, ein vom Anwalt des Beklagten bestellter Experte, gegenüber trat. Drei Gutachter also im Saal I des Amtsgerichts. Sie hatten einen fast drei Jahre zurückliegenden Vorfall aufzurollen, zu dem wenig schriftliche Unterlagen, keine Unfallspuren und letztlich nur zwei verwendbare Zeugenaussagen vorlagen: die des Radfahrers selbst, der bei seinem Bremsmanöver über den Lenker stürzte, und die einer Anwohnerin, die mit ihrem Hund am Ort des Geschehens war. Sie machte am Dienstag eine sehr ausführliche Aussage. Der 85-jährige Autofahrer, der an dem Unfall beteiligt war, wurde damals vom Amtsgericht Wolfratshausen zunächst zu einer Geldstrafe und Führerscheinentzug verurteilt, in zweiter Instanz aber freigesprochen. Er ist inzwischen gestorben. Weil er die Hauptverhandlung geführt hatte, musste zwischenzeitlich auch Amtsrichter Helmut Berger in den Zeugenstand treten.

Am dritten und letzten Verhandlungstag des Prozesses hatte nun Gutachter Steffen Dreher das Wort, oder um es genauer zu formulieren: Er wurde vier Stunden lang von allen Seiten intensiv ins Gebet genommen. Sehr energisch fragte auch von Amtsrichter Wäckerlin nach. Da ging es um detaillierte Berechnungsmodelle, die sich auf jeweils verschiedene "Anknüpfungsinformationen", stützten. Denn die Aussagen des Unfallopfers und der Zeugin weichen in einem wichtigen Detail voneinander ab, und die daraus resultierenden Untersuchungsergebnisse mussten abgeklopft, auf ihre Plausibilität überprüft und mit den Resultaten abgeglichen werden, die der Angeklagte selbst gewonnen hatte.

Grundlage war jeweils die Frage, ob der Radler bei Einleitung seines Bremsmanövers von dem Jeep des betagten Autofahrers sechs bis sieben oder doch zehn Meter entfernt war. Daraus hätte sich eine genaue "Endlage" des Radlers nach dem Sturz ergeben müssen. Dass er aber vor der rechten Flanke des Autos zum Liegen gekommen war, hatten sowohl die Anwohnerin, als auch der Radler noch einmal bestätigt. Dreher und auch ein zweiter, von der Staatsanwaltschaft bestellter Gutachter, der am Nachmittag gehört wurde, kamen zu dem Ergebnis, dass der Radler das Bremsen aufgrund der Endlage nicht hätte vermeiden können.

Die Vorwürfe der Anklage seien haltlos, sagte Fs. Verteidiger Siegfried Spatzl dennoch in seinem Plädoyer: F. habe lediglich seine Aufgabe erfüllt und eine Vermeidbarkeitsstudie erstellt. Darin gehe es darum, eine Hypothese aufzustellen, wie der Unfall hätte verhindert werden können. Das bekräftigte F. in seinem Schlusswort: Er habe die von den Zeugen angegebenen Abstände als Grundlage für seine Berechnungen genutzt, sagte er. Eine absichtliche Falschaussage sei für ihn "ausgeschlossen", würde sie doch "meine Existenz in Frage stellen". Richter Wäckerlin aber folgte der Argumentation des Staatsanwalts und wies auf F.s besondere Rolle als Gutachter hin. Der für das Urteil nötige bedingte Vorsatz sei durch den Hinweis auf die Zeugenaussagen gegeben gewesen.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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