Am politischen Puls der Zeit :Gipfelsturm des Kabaretts

Am politischen Puls der Zeit : Urban Priol wagt es, am "Heiligenbild unserer nachhaltig formidablen Führungskraft zu kratzen" und damit Majestätsbeleidigung zu begehen.

Urban Priol wagt es, am "Heiligenbild unserer nachhaltig formidablen Führungskraft zu kratzen" und damit Majestätsbeleidigung zu begehen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Urban Priol setzt am Rande des G-7-Events scharfzüngig Pointe an Pointe

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Mit seiner Fernsehsendung "Neues aus der Anstalt" war Urban Priol eine Klasse für sich. Live ist er eine Wucht: Wortgewaltiges, scharfzüngiges, misanthropisches politisches Kabarett brachte er am Freitag mit seinem neuen Programm "Jetzt" nach Bad Tölz.

Die Zuschauer im nahezu ausverkauften Kurhaus kamen in den Genuss einer anspruchsvollen, partiell auch anstrengenden Schulung in Sachen Demokratie und Redefreiheit. Denn Priol macht Kabarett so, wie es sein sollte: unbequem und aufklärend. Er ist mit seiner Kunst immer am Puls der Zeit, denkt das Undenkbare laut und sagt das Denkbare laut. Natürlich sind seine Auftritte provokant und unkorrekt sowieso, aber sie sind nie geist- oder gehaltlos. Und das am Freitag unter erschwerten Bedingungen. Denn die Hitze draußen machte den Kursaal zum Dampfkessel, das Publikum japste hörbar nach Sauerstoff, doch Priol schien davon unberührt: Glatte eineinhalb Stunden spielte er voller Verve durch, ehe es eine kurze Verschnaufpause gab für die zweite Hälfte. Die äußeren Umstände also berührten Priol nicht. Dafür nutzte er die Steilvorlagen der Stunde, den Fifa-Skandal und den G-7-Gipfel in Elmau. "Entschuldigung für die paar Minuten Verspätung", sprach er das Publikum eingangs an. Er gucke immer noch in der Garderobe Tagesschau, man könne nie wissen. Er habe ja auch seine 2015er Tour geplant und sich dabei gedacht, och, so Ende Mai, Anfang Juni, da mache er "einen auf gemütlich" und suche sich "eine ruhige Gegend" aus: "Letzte Woche war ich in Basel und Zürich, gestern in München, heute in Tölz, übermorgen dann in Garmisch . . ."

In der Schweiz sind Fifa-Funktionäre also festgenommen worden, Sepp Blatter zurückgetreten: "Wohl, weil er sich selbst einen Umschlag überreicht hat - ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte", sagte Priol. Dass die Fifa ein gemeinnütziger Verein sei, das habe er sowieso nie verstanden: "Gemein, ja, aber nützig?" Ihn selbst zieht es nun weiter, nach Garmisch. Zum Wandern. "Was aber angesichts des Polizeiaufgebots wohl eher betreutes Wandern werden dürfte." 25 000 Polizisten müssten "diese sieben Hansel beschützen, damit die mal wissen, wie beliebt sie sind". Rund um Elmau sei alles umzäunt: "Da werden die Regierungslenker erstaunt sein, denn sie wussten gar nicht, dass Nordkorea so schöne Berge hat", ätzte Priol.

Weiter ging's von der GroKo ("Diese antiparlamentarische Schrankwand") über eine neue deutsche Streikkultur ("Dieser Weselsky: Nach 25 Jahren musste wieder einer aus dem Osten kommen und die Reisefreiheit einschränken") bis zu veritablen Politskandalen wie der Abhör-Affäre. Das eigentlich Skandalöse dabei aber: die Trägheit der Massen. "Wer regt sich denn noch auf? Wir haben offenbar einen Generationenvertrag der Gleichgültigkeit", sagte Priol. Die Generation Facebook werde höchstens sauer, wenn die Spione nach dem Spähen nicht den "Gefällt mir"-Button drückten.

Aber am "Heiligenbild unserer nachhaltig formidablen Führungskraft zu kratzen, das ist Majestätsbeleidigung unserer Marienerscheinung", wusste Priol. Allen gab er eins mit: Angela Merkel, die anders als Putin keine Oppositionellen ausschalten müsse, weil es gar keine Opposition mehr gebe. Alexander Dobrindt, dessen "Schaukel als Kind wohl zu nah an der Hauswand stand". Horst Seehofer - "der Quartalsirre aus Ingolstadt", Schäuble - "der ehemalige Schwarzgeldkoffer-Schlepper" und von der Leyen - "die letzte Blendgranate im Munitionsdepot".

Von dem Kabarettisten verlangt der Auftritt mit seinem Feuerwerk an Pointen höchste Konzentration und starke schauspielerische Fähigkeiten. Mit einem Tisch und einem Rednerpult ist er in seinem Monolog ganz auf die Zündkraft des Worts und seine Ausdruckskraft zurückgeworfen. Das Publikum wusste die Qualität dessen, was ihm an diesem unvergleichlichen Abend geboten wurde, zu schätzen. Immer wieder gab es Szenenapplaus für ein besonders scharfzüngiges Wort, eine besondere Pointe und am Ende rauschenden Beifall.

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