87-jährige Künstlerin:Die Übermalerin

Ruth Kohler ist eine Meisterin der Farbe. Ihre Bilder verströmen Energie und Lebenslust. In der "Galerie im Hollerhaus", die heuer 100 Jahre alt wird, zeigt sie ihre neuesten Arbeiten.

Von Stephanie Schwaderer, Icking

Man könnte an dieser Stelle übers Älterwerden und Jungbleiben sprechen. "Alt?!", in Ruth Kohlers Stimme schwingt ein alarmierender Rotton mit. "Ich bin nicht alt!" Das stimmt. Es ist die "Galerie im Hollerhaus" in Irschenhausen, die heuer 100 wird. Mit Kohlers Bildern wird an diesem Samstag das Festjahr eröffnet. "Gegenstand: Farbe" lautet der Titel der Schau.

Nun ist es bei Eisregen nicht einmal in Irschenhausen schön. Das Bauernhäuschen mit den grünen Fensterläden - weithin bekannt als "Pension Resi" aus der Fernsehserie "Der Bulle von Tölz" - lässt jegliche Behaglichkeit vermissen. Geduckt hockt es in der Nässe; alles trieft. Und dann tritt man durch die Flügeltür ins ungeheizte Rückgebäude - und steht im Sommer. Von drei großen Leinwänden leuchtet das Leben, pulsiert Energie. Da schwingt ein sattes Bananengelb durch kühles Türkis, lacht Pink Seite an Seite mit flammendem Orange, strudelt gleißendes Weißgrün. Jedes Werk ist ein Erlebnis. Man kann mit den Augen in die Bilder eintauchen, darin spazieren gehen. Zusammen ergeben sie einen Dreiklang aus Lebenslust.

Die versprüht auch die Künstlerin: rote Schuhe, lachende Augen, in den Händen den druckfrischen Katalog. Im Hollerhaus zeigt Kohler eine Essenz der Werke, die in den vergangenen zwei Jahren in ihrem Münsinger Atelier entstanden sind - neben den drei Großformaten eine Reihe kleinerer Arbeiten in Acryl und Mischtechnik, darunter eine faszinierend finstere Serie, die von gewaltigen schwarzen Pinselstrichen beherrscht wird. Das massive Schwarz gibt nur kleine Durchblicke in ein leuchtendes Dahinter frei. Im Hollerhaus korrespondieren diese Arbeiten mit den schwarzen Deckenbalken - ein Zufall, an dem sich die Künstlerin von Herzen erfreuen kann.

87-jährige Künstlerin: "An ein gutes abstraktes Bild kann man sich nicht erinnern": Die Münsinger Malerin Ruth Kohler mit neuen Werken im Hollerhaus.

"An ein gutes abstraktes Bild kann man sich nicht erinnern": Die Münsinger Malerin Ruth Kohler mit neuen Werken im Hollerhaus.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Routine, sagt sie, sei der Tod. "Routine kann ich nicht aushalten." Mit ihrem Mann, dem Dokumentarfilmer Werner Prym, ist sie durch die Welt gereist. Sie hat in Afrika gelebt und ist durch China geradelt, als Autos dort noch eine Sensation waren. London ist ihr in guter Erinnerung ("Da habe ich eine ganze Ausstellung en bloc verkauft") und Paris. Aber das Schwelgen in der Vergangenheit ist nicht ihre Sache. "Meine Sehnsucht ist die Zukunft." Und Abenteuer erlebt die 87-Jährige täglich in ihrem Atelier.

Dort nimmt sie "den Kampf mit der Farbe" auf, wie sie es nennt. "Farbe hat ihre Gesetzmäßigkeiten. Ihnen muss man sich unterwerfen, aber auch gezielt widersetzen, um Irritationen zu erzeugen." Dabei arbeitet sie mit ganzem Körpereinsatz, prüft, verwirft, übermalt. Ihre Bilder haben es nicht leicht mit ihr: Nur jene Arbeiten, die die Probezeit im Wohnzimmer überstehen, wandern nicht zurück ins Atelier.

Ihr erstes abstraktes Bild hat sie als junges Mädchen während des Krieges gemalt. "Meine Mutter sah darin ein aufgespanntes Hasenfell", erzählt sie. "Dabei war ich so stolz!" Ihre Mutter habe auch Klavier gespielt und Schubert-Lieder gesungen. "Schon als Kind habe ich mir gedacht: Was sollen diese blöden Texte? Die Töne sind doch völlig ausreichend." Ruth Kohler macht Musik mit Farben, sie bringt auf der Leinwand Orchester zum Klingen. Alles Gegenständliche empfindet sie dabei als störend, als einengend. An ein gutes abstraktes Bild, sagt sie, könne man sich nicht erinnern: "Weil man es jedesmal anders sieht."

87-jährige Künstlerin: Lia Schneider-Stöckl lädt zum Jubiläumsprogramm ins Hollerhaus ein.

Lia Schneider-Stöckl lädt zum Jubiläumsprogramm ins Hollerhaus ein.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Unglücklicherweise hat ein Betrachter in einem ihrer neuen Werke einen Yeti entdeckt. Jetzt ist er da, der Yeti. Und Kohler bekommt ihn nicht mehr aus dem Kopf.

Hausherrin Lia Schneider-Stöckl verspricht sich von der Ausstellung einen "wunderbaren Auftakt zum Jubiläumsjahr". Sie hat die Galerie im Hollerhaus 2004 von Ingrid Lepsius übernommen. "Ruth Kohler und das Hollerhaus - das passt hundertprozentig", sagt sie. Kohler sei als Mensch und Künstlerin großartig, sie verfüge über einen Schatz an Lebenserfahrung - "und zugleich ist da diese Aufgeschlossenheit, diese Weltoffenheit, ihre ganze junge Art".

Draußen regnet es noch immer. Der Fotograf ist gekommen. Ruth Kohler eilt zum Auto, "schnell den Lippenstift holen". Wie würde sie ihren hundertsten Geburtstag feiern? "Zuerst kommt mal der neunzigste", stellt sie klar. "Und sollte ich wirklich hundert werden, mache ich ein großes Fest - auch wenn ich im Rollstuhl sitze." Der Yeti wird diese Party nicht erleben. Bevor der letzte Schnee in Irschenhausen gefallen ist, wird Ruth Kohler ihn übermalt haben. Eiskalt und mit Feuereifer.

Hollerhaus, Neufahrner Weg 3, Irschenhausen, Vernissage am Samstag, 11. März, 17 Uhr, es spricht Elmar Zorn; bis 26. März, Samstag und Sonntag, 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung (08178/4408)

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