Wohnungssuche in München:Casting-Show für ein Zimmer in der WG

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Alles wie bei Dieter Bohlen: Wer als Student in München auf Zimmersuche geht, muss sich wie in einer Casting-Show im Fernsehen durchsetzen.

Angela Gruber

Das läuft ja ganz gut. Der Student uns gegenüber ist locker und macht Scherze. Fast so, als würde er uns schon lange kennen und sich nicht für das freie Zimmer in unserer WG vorstellen. Er erzählt von seinen Hobbys. Sportlich ist er, und geht gerne weg. Doch dann noch eine kleine Frage zum Abschluss: "Hast du auch ein paar schlechte Eigenschaften, von denen wir wissen sollten?" Er überlegt kurz: "Ja, ich bin Raucher." Lange Gesichter bei uns, einer Nichtraucher-WG. "Und ich spiele ein Percussion-Instrument." Das ist der Code für: "Ich trommle." Unsere Wände sind verdammt dünn. Der Nächste, bitte!

Der bezahlbare Wohnraum in München ist rar - vor allem zu Beginn des Wintersemesters. 13 Quadratmeter, hell, neues Laminat, Uni-Nähe, gute Verkehrsanbindung, Zimmermiete spottbillig. Diese Eckdaten unseres frei stehenden Zimmers in einer Vierer-WG lassen schon erahnen, dass auf uns eine wahre Bewerberflut zurollen wird. Über 40 Studenten haben sich auf unser Wohnungsgesuch gemeldet. 25 haben wir zum WG-Casting eingeladen.

Auch wenn der Name "Casting" vermuten lässt, dass der Bewerber sich erniedrigen muss, um zu gewinnen: Potentielle Mitbewohner müssen bei uns nicht wie in anderen WGs ein Wohnungs-Wettputzen untereinander veranstalten, um das Zimmer zu bekommen. Stattdessen schwingen wir bevor die ersten Interessenten vorbei schauen selbst das Putztuch und bringen die Wohnung auf Vordermann. War sowieso mal wieder nötig. Klamotten werden in den Schrank gestopft, zusammen mit dem anderen herumliegenden Krempel. Es zählt schließlich der Schein. Noch ein bisschen Zitrusreiniger ins Klo geschüttet, damit es frisch riecht, und da tönt auch schon die Klingel.

Wir zeigen den Interessenten unsere Wohnung, in der Küche führen wir ein kurzes Gespräch. Während wir selbst in einer sicheren Position sind und nichts zu verlieren haben, müssen die Bewerber versuchen, mit einem freundlichen Lächeln möglichst sympathisch zu wirken und mit einem flotten Spruch in Erinnerung zu bleiben.

Qual der Wahl

Trotzdem: So komfortabel sich unsere Position anhört - sie ist es nicht. Etliche Casting-Shows im Fernsehen - wie "Deutschland sucht den Superstar" mit Dieter Bohlen suggerieren: Die Jury ist toll, die Bewerber sind die Deppen. Wir wollen nett sein zu allen Bewerbern, die meisten kommen aber nicht infrage als neuer Mitbewohner. Die Angst vor einer Fehlentscheidung ist bei uns groß, einen Wolf im Schafspelz bei uns einziehen zu lassen. Uns plagt die Qual der Wahl.

Es sind viele Erstsemester gekommen: Eine 19-Jährige sucht dringend eine Wohnung, vorübergehend ist sie bei einer Bekannten der Familie im Rentenalter untergekommen. "Da werde ich immer bekocht", sagt sie. Eine andere Bewerberin, ebenfalls 19 Jahre alt und Studienanfängerin, formuliert das Problem, das fast jeder Student in München hat: "Zwei Drittel der Wohnungen fallen alleine schon wegen des Preises weg. Und beim Rest sind viele richtig schlechte Zimmer dabei."

Nicht jeder Bewerber ist freundlich. Ein Student merkt pikiert an, dass das freie Zimmer ja das einzige ohne Balkon sei. Nicht unsere Schuld, denken wir. So richtig warm werden wir mit niemandem. Auch nicht mit dem Spaßvogel, der sich vor unserer Toilette auf die Knie wirft und dem WC huldigt. Oder dem Studenten Mitte Zwanzig, der jetzt langsam mal von daheim ausziehen will.

Und schließlich steht nur noch ein Interessent auf der Liste. Wir haben die Hoffnung bereits aufgegeben. Dann klingelt es ein letztes Mal an der Tür und herein kommt Andi, 24 Jahre alt. Er ist sogleich mit uns auf einer Wellenlänge. Er sucht nicht verzweifelt irgendein Zimmer, sondern Mitbewohner, die nicht nur nebeneinanderher leben.

Als der WG-Rat tagt, herrscht Einigkeit: Andi soll es werden, die anderen Mitbewerber kommen nicht in Frage. Schnell rufen wir an und teilen Andi die freudige Botschaft mit. Doch der sagt: Er müsse sich eine so wichtige Entscheidung noch bis morgen überlegen.

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