Wohnungsnot:Keine Gefahr für die Boomtown

Bei Firmen überwiegen positive Standortfaktoren.

Martin Hammer

(SZ vom 12.6.2001) - Ein Horrorszenario für den Wirtschaftsstandort München: In den Hotelzimmern wohnen keine Gäste mehr, sondern Münchner, die in der Stadt ihre Arbeit haben und keine Wohnung finden. Fachkräfte gehen nach Greifswald, weil die Mieten zu teuer sind, BMW und Siemens wandern ab in den Bayerischen Wald. Ein Albtraum - und offenbar nicht mehr als das.

Wohnungsnot: Begehrt: Altbauten in München

Begehrt: Altbauten in München

(Foto: Foto: ath)

Denn trotz des akuten Mangels an Wohnraum scheinen die Unternehmen dem Standort München gewogen zu bleiben. "Der Engpass am Mietmarkt ist der einzig limitierende Faktor für das Wachstum", gibt Bernhard Kumpf, Geschäftsführer von Jones Lang LaSalle, zwar zu. "Doch die positiven Faktoren überwiegen eindeutig."

Die Firmen wollten weiterhin unbedingt nach München. Das beste Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit sei die Ansiedlung der spanischen Telefonica. Die Attraktivität scheint also ungebrochen.

Und das, obwohl erst in der vergangenen Woche die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern in einer Umfrage zu dem Ergebnis gekommen war, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen unter der Wohnungsnot zu leiden hätten.

Jens Wöhler von Trenkenwalder Personaldienste ist einer davon. Betroffen ist er in zweifacher Hinsicht: zum einen muss er Mitarbeiter für sein eigenes Unternehmen gewinnen, zum anderen vor allem für seine Kunden Personal rekrutieren.

Firmen mieten Wohnungen

Vor kurzem hätten wir vier Verträge abschließen können, die in letzter Minute gescheitert sind, weil keine Wohnung zu finden war." Vor allem Arbeitskräfte mit einem Einkommen bis zu 5000 Mark täten sich schwer.

Deshalb will man jetzt dazu übergehen, eigene Wohnungen anzumieten, die dann für die Übergangszeit den Bewerbern zur Verfügung gestellt werden. Denn bei Rekrutierungsgesprächen gehört die Frage nach dem Dach über dem Kopf zu den wichtigsten Punkten.

Sein Fazit: "Wir können nicht so viele Geschäfte machen, wie wir eigentlich wollen."

Azubis haben es schwer

Auch Reinhold Schulz, geschäftsführender Gesellschafter der Schulz Bürozentrum GmbH, klagt. "Für unsere Azubis ist es fast unmöglich, eine bezahlbare Unterkunft zu finden, ebenso wie für unsere Praktikanten."

Wenn er einen Produktionsbetrieb hätte, sagt er, würde er aus München weggehen. Als Dienstleister könne er das nicht, da sei er an die Stadt gebunden. So wie die meisten Firmen. Vor allem in den Zukunftsbranchen High-Tech oder Life Sciences profitiert man von den Vorteilen der Clusterblidung.

Die Schwierigkeiten bei der Personalsuche wird durch andere Faktoren wie Freizeitwert oder Universitäten locker kompensiert.

Oft habe die Entscheidung für München, wo man sich gegenseitig auf die Füße steige, aber nicht einmal rationale Gründe, glaubt Peter Frieß, Geschäftsführer von goto bavaria, der Standortmarketing-Agentur des Freistaats.

Jeder will in die Boomtown

Emotionalität spiele eine große Rolle, jeder will in der Boom-Town vertreten sein. Für die derzeitige Spitzenposition bedeute die Wohnungsnot also überhaupt keine Gefahr. "Die Leidtragenden sind weniger die Unternehmen, denen es in der Regel nicht am Geld mangelt, sondern die alteingesessenen Münchner, die der Stadt erst ihr Flair verleihen." Denn die müssten die Zeche - in Form hoher Mieten - bezahlen.

Ein Problem, das auch die Politik erkannt hat. "Das ist die Kehrseite unseres Erfolges", gibt Reinhard Wieczorek, Münchens Referent für Arbeit und Wirtschaft, zu.

Von einer Katastrophe könne man aber nicht reden. "Mir ist noch kein Fall begegnet, bei dem ein Unternehmen seine Standortentscheidung wegen der Situation auf dem Wohnungsmarkt revidiert hat."

Stillstand ist Rückschritt

Den Eindruck, dass die Landeshauptstadt an neuen Ansiedlungen kein Interesse mehr hat, will er auf jeden Fall vermeiden. "Das wäre ein völlig falsches Signal", mahnt er. Denn Stillstand bedeute hier Rückschritt.

Für die Entscheidungen der Unternehmen, wo sie sich niederlassen, sei dieses Problem noch keine relevante Größe, behauptet auch goto bavaria-Geschäftsführer Frieß. "Die Misere ist relativ neu, das hat sich im Ausland noch gar nicht in den Köpfen festgesetzt." Da dominiert das positive Bild der Boomregion. Über kurz oder lang werde man das Problem wieder in den Griff kriegen, glaubt er.

Falls dies jedoch nicht gelingt, droht dem Standort aber doch noch Gefahr. "Wenn es noch ein paar Jahre so weiter geht, dann werden sich die Schattenseiten auch in den USA oder in Indien herumgesprochen haben und die Verantwortlichen beeinflussen."

Das Horrorszenario, dass Siemens und BMW wegen der Wohnungsprobleme ihrer Mitarbeiter abwandern müssen, wird nicht eintreffen. Siemens hat nämlich, wie ein Pressesprecher sagt, trotz des Wohnungsmangels kein Problem, Mitarbeiter zu bekommen.

Und auch für BMW ist das, wie Pressesprecherin Christine Krepold sagt, kein Thema. "Wir haben noch nie Schwierigkeiten gehabt, Mitarbeiter zu finden. Da zieht die Marke BMW, und die überdeckt dann auch eventuelle Wohnungsprobleme. Und ausländische Mitarbeiter, die zu uns kommen, unterstützen wir bei der Suche sowieso."

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