Wohnungsnot:Keine Eingemeindung, aber ein Lastenausgleich tut not

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Stadtbaurätin Thalgott über die neue Wohnungsnot

Hans-Herbert Holzamer

(SZ vom 23.3.2001) - SZ: Frau Thalgott, nach dem Runden Tisch drängt sich die Frage auf: Ist die Stadt schuld an der Wohnungsnot?

Christiane Thalgott: Die Frage nach der"Schuld" ist falsch gestellt ist, denn "Schuld" setzt voraus, dass eine Situation willentlich herbeigeführt wird. Das kann man ja sicherlich von keinem der am Wohnungsmarkt beteiligten Akteure behaupten. Festzuhalten ist: Seit 1987 liegt die Anzahl der Baugenehmigungen im Durchschnitt über der Zahl der Baufertigstellungen.

Seit 1997 übertrifft die Zahl der genehmigten WE (Wohneinheiten, die Red.) von 23.496 die Zahl der fertig gestellten WE von 20.892 erheblich. Da die Stadt selbst nicht baut/bauen kann und nur die Voraussetzungen dafür schaffen kann, bleibt festzustellen, dass die Stadt ihre Aufgabe erfüllt hat.

Trotz Wohnungsnot?

Thalgott: Es ist richtig, dass es Engpässe gibt. Dies ist jedoch typisch für prosperierende Wirtschaftsräume. Diese Situation bewirkt nicht nur einen Nachfrageschub innerhalb des Binnenmarktes München, sondern auch einen zusätzlichen Nachfrageschub durch gut verdienende Zuzügler. Da das Angebot an Wohnungen immer erst mit Zeitverzögerungen reagieren kann, wird in kurzer Zeit trotz aller Anstrengungen keine Änderung der Situation eintreten.

Wäre es keine sinnvolle Anstrengung, mit den Grundstückspreisen runterzugehen?

Thalgott: In den letzten fünf Jahren sind jährlich im Schnitt etwa 6000 Wohnungen gebaut worden, nur knapp 15 Prozent davon auf städtischen Grundstücken und davon nochmals die Hälfte subventioniert. Also machen die von der Stadt verlangten Preise für den freien Wohnungsbau nur circa sieben Prozent Marktanteil aus, viel zu wenig, um den Preisanstieg zu verursachen.

Vielleicht will die Stadt nicht, dass die Umlandgemeinden Arbeitsplätze schaffen und an der Gewerbesteuer verdienen, die Stadt aber die Probleme der Unterbringung hat?

Thalgott: Die Landeshauptstadt hat keinen Einfluss auf Arbeitsplatzschaffungen im Umland, da die Ausweisung von Gewerbegebieten in die Planungshoheit der Gemeinde fällt. Unabhängig davon versucht München natürlich, bereits ansässige Betriebe zu halten und neue Betriebe anzusiedeln. Gelingt dies nicht, so ist München froh, wenn die Betriebe einen Standort im Münchner Umland wählen und innerhalb unseres Wirtschaftsraumes bleiben.

Froh? Wie tief geht die Kluft zwischen Stadt und Umland?

Thalgott: Zwischen München und dem Umland gibt es keine "Kluft", die über die normale Konkurrenz unter Nachbargemeinden hinausgeht. Selbstverständlich versucht jede Gemeinde, attraktive Unternehmen bei sich anzusiedeln oder zu halten, da es kein regionales Flächenmanagement gibt. Im Übrigen gibt es positive Beispiele der Zusammenarbeit zwischen München und dem Umland.

Aber einen Ansatz zum planerischen Dialog mit den Umlandgemeinden gibt es nicht?

Thalgott: Der Dialog mit den Umlandgemeinden findet statt, wenn auch zugegeben werden muss, dass dieser angesichts der folgenden Fakten verstärkt werden sollte: Stadt und Umland sind ein Wirtschaftsraum mit einem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie einem Verkehrs- und Lebensraum. Die Region muss für den internationalen Wettbewerb, der sich noch dramatisch verschärfen wird, gerüstet sein.

Dazu ist es nötig, dass sich die Akteure der Regionalentwicklung, nämlich Landeshauptstadt, die Umlandgemeinden und Landkreise, die Wirtschaft und die Wissenschaft und andere Institutionen auf ein abgestimmtes Vorgehen mit gemeinsam getragener Zielausrichtung verständigen.

Nötig wäre wohl auch ein Gremium, das entscheiden kann.

Thalgott: Es bleibt nur die Möglichkeit einer Konsensfindung. Über die regionalen Institutionen hinaus haben die ins Leben gerufenen Arbeitskreise - etwa der Arbeitskreis Regionalentwicklung München oder Arbeitskreise zu Verkehrsfragen - zu einem gemeinsamen Problembewusstsein beigetragen. Auch haben gemeinsame Projekte, zum Beispiel Projekt eNorm oder Dachauer-Moos-Verein im Münchner Norden, vertrauensbildende Maßnahmen im Verhältnis Stadt-Umland bewirkt.

Zur Umsetzung des Regionalplanes ist ein Regionalmanagement erforderlich, quasi als neue Qualität für das regionale Handeln. Dieses soll umsetzungsorientiert unter Einbeziehung aller regionalen Akteure geschehen. Konkrete Kooperationsbeispiele sind der Einzelhandel, Freizeitgroßprojekte, die Stadt-Umland-Bahn. Die Möglichkeiten der kommunalen Zusammenarbeit sowie der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen wie Zweckverbände, Gesellschaften, Arbeitsgemeinschaften und Vereinen sind noch nicht ausgeschöpft.

Was könnten die denn konkret tun?

Thalgott: Aufgabe solcher Einrichtungen könnte die Grundstücksbevorratung oder die Entwicklung von Siedlungseinheiten wie Gewerbeparks sein sowie eine Kooperation der öffentlichen und privaten Träger der regionalen Entwicklung zur Lösung von Problemen.

Konkret?

Thalgott: Zum Beispiel Siedlungsentwicklung, Verkehr, Abfallentsorgung, Schutz der natürlichen Ressourcen. Die Zusammenarbeit in einzelnen Fachbereichen, wie dies in verschiedenen Zweckverbänden geschieht, sollte verstärkt werden. Ein finanzieller Ausgleich zwischen den Gemeinden wäre für eine bessere Zusammenarbeit besonders bei der Ansiedlungspolitik, erforderlich.

Haben Sie schon einmal einen finanziellen Ausgleich aufgrund von Einsicht erlebt? Sollte man das Umland nicht eingemeinden?

Thalgott: Diese Frage ist mit einem eindeutigen Nein zu beantworten, da Eingemeindungen an den Stadt-Umland-Problemen vorbeigehen und diese nicht beseitigen. Eine Eingemeindung des Umlandes wäre sinnlos, da eine Megastadt München entstehen würde, die nicht mehr handlungsfähig wäre. Vielmehr ist die Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften in der Region und in den dort geschaffenen Institutionen erforderlich.

Die gibt es doch schon. Funktioniert sie nicht?

Thalgott: Doch. In erster Linie wären hier der Regionale Planungsverband München und der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München zu nennen, da künftig stärker als bisher neben den örtlichen Planungen die regionalplanerische Dimension beachtet werden muss, sowie regionalpolitische Ziele den Entscheidungen zu Grunde gelegt werden müssen.

Wie soll das aussehen?

Thalgott: Um als attraktiver Standort auch in Zukunft zu bestehen, ist eine Bündelung der regionalen Kräfte, das heißt eine Intensivierung der Zusammenarbeit in der Region München erforderlich. Die Regionalplanung wäre hierfür eine geeignete Ebene, wobei ihre Instrumente für den Entwurf und die Durchsetzung gemeinsamer Leitbilder und Zielvorgaben für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung besser zu nutzen und fortzuentwickeln sind.

Dies gilt insbesondere für das Regionalmanagement im Sinne einer umsetzungsorientierten Regionalplanung. Damit könnte die Zusammenarbeit der öffentlichen und privaten Institutionen bei der Realisierung der Entwicklungsziele vom Regionalen Planungsverband aktiv gefördert werden und unter anderem eine bedarfsgerechte regionalplanerisch ausgerichtete Standortberatung ausgebaut und ein regionales Flächenmanagement eingerichtet werden. Dafür braucht es keine Einheitsgemeinde, aber den finanziellen Ausgleich von Lasten und Nutzen.

Akzeptiert die Stadt die Argumentation der Bauunternehmer, dass der Bodenpreis der Grund ist, dass sie nicht auf die erforderliche Rendite kommen und sie sich deshalb aus dem Wohnungsbau zurückgezogen haben?

Thalgott: Der Bodenpreis macht bei derzeitigem Verkehrswert von zum Beispiel 1700 Mark pro Quadratmeter Geschossfläche wie in der Messestadt Riem nur knapp 40 Prozent der Gesamtkosten einer Wohnung aus. Der Rest sind Bau- und Baunebenkosten. Diese sind in München wesentlich höher als zum Beispiel in den nördlichen Bundesländern. Außerdem ist die erforderliche Rendite relativ.

Früher waren Investoren im Wohnungsbau mit fünf Prozent jährlicher Eigenkapitalverzinsung zufrieden. Das bietet der Soziale Wohnungsbau im 1. Förderweg und EOF (Einkommensorientierte Förderung) auch, und zwar seit Jahren. Heute wollen die Investoren viel mehr. Dazu müssten entweder die Mieten steigen oder die Grundstücks- und Baukosten im Gegensatz zu den Lebenshaltungskosten und den Einkommen ständig fallen.

Gibt es zur erforderlichen Rendite eigene Berechnungen der Stadt?

Thalgott: Die Stadt bietet Mietwohnungsmodelle im 1. Förderweg und in der einkommensorientierten Förderung mit Renditen von sechs Prozent jährlich und im Rahmen der sozialgerechten Bodennutzung (SoBon) auch darüber an.

Sehen Sie darin einen Ausweg?

Thalgott: Ja; wie am 23. Februar 2001 vom Bündnis für Wohnungsbau erarbeitet beziehungsweise als Thema für die vier Arbeitskreise die regionale Zusammenarbeit festgelegt wurde.

Sollte man nicht besser die Erteilung des Baurechts befristen, um das gegenwärtige übliche Horten zu beenden?

Thalgott: Nur Baurechte nach § 34 BauGB und Bebauungspläne sind im Grund noch unbefristet. Seit 1995 werden neue Baurechte im Rahmen der SoBon geschaffen und hier regelmäßig in den städtebaulichen Verträgen zumindest für den preiswerten Wohnungsbau Fertigstellungsfristen vereinbart.

Wie geht es weiter?

Thalgott: Als Ergebnis wurde die Einrichtung von vier Arbeitsgruppen empfohlen, um die Vielzahl der Vorschläge und Anregungen zu vertiefen und gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Es sind dies: Arbeitsgruppe Nachverdichtung (Federführung Planungsreferat) Arbeitsgruppe Stadt als Grundstücksverkäuferin (Federführung: Kommunalreferat mit Stadtkämmerei) Arbeitsgruppe Finanzierungsfragen und Ausgestaltung München Modell (Federführung: Planungsreferat und Stadtkämmerei) Arbeitsgruppe Mietwohnungsbau bei Freiwerden militärisch genutzter Areale (Federführung: Kommunalreferat). Zwischennutzungen: (Federführung: Planungsreferat - städtebauliche Planungen).

Darüber hinaus will sich die IHK um die bessere Zusammenarbeit in der Region bemühen mit dem Ziel, dass im Umland dort, wo wie in Unterföhring oder Hallbergmoos Tausende von Arbeitsplätzen gebaut werden, auch Wohnungen entstehen.

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