Wohnungsnot bei Flüchtlingen:Wer Asyl bekommt, muss sich um eine Wohnung kümmern

Wohnungsnot bei Flüchtlingen: Knapp zwei Monate wohnt Ahmad Abbas jetzt bei Birgit Grube in Trudering. Die beiden bilden eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft, von der sie beide profitieren, wie sie sagen.

Knapp zwei Monate wohnt Ahmad Abbas jetzt bei Birgit Grube in Trudering. Die beiden bilden eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft, von der sie beide profitieren, wie sie sagen.

(Foto: Robert Haas)
  • Bis zum Jahresende werden in Bayern etwa 70 000 anerkannte Flüchtlinge auf Wohnungssuche sein.
  • Mit dem positiven Asylbescheid müssen sie raus aus den staatlichen Unterkünften.
  • In und um München ist das besonders schwierig, weil Wohnungen Mangelware sind und die Mietpreise hoch.
  • Die Menschen und die Kommunen stehen vor einer gewaltigen Herausforderung.

Von Anna Hoben

Zwei Stunden hat Birgit Grube überlegt. Dann entschied sie, es zu wagen. Ahmad Abbas suchte dringend ein Zimmer, davon hatte sie in der SZ gelesen. Sie hatte eines, das nicht genutzt wurde. In der letzten Zeit war das Gästezimmer in ihrer Wohnung in Trudering die meiste Zeit frei gewesen, warum sollte sie es nicht vermieten? Sie rief Abbas an, der kam am selben Abend, um es sich anzuschauen. Bevor sie zu Hause eintraf, war er schon am Plaudern mit den Nachbarn.

Er ist so ein Typ, der mit allen sofort in Kontakt kommt. Am nächsten Tag zog Ahmad Abbas bei Birgit Grube ein. Seitdem leben der Auszubildende, 22 Jahre alt, und die Rentnerin, 71, in einer WG. Der Tag des Umzugs, der 31. März, war für Abbas zugleich der fünfte Jahrestag des Beginns seines neuen Lebens. Am 31. März 2012 war er mit seiner Schwester nach München gekommen, die beiden gehörten zu den ersten syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland. In ihr Elternhaus bei Homs hatte eine Granate eingeschlagen, ein Gaskocher explodierte. Mehr als die Hälfte von Abbas' Haut verbrannte. In München erhielten die Geschwister die notwendigen, lebensrettenden Hauttransplantationen.

Abbas hat Deutsch gelernt, er spricht es mittlerweile so gut, dass er bei Gesprächen mit anderen Syrern dolmetschen kann. Im Herbst begann er eine Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten in einer Arztpraxis in Laim. Zunächst wohnte er in einem städtischen Wohnheim für junge Flüchtlinge in Ausbildung. Doch der Vertrag war befristet, er musste raus. Dass er bei Birgit Grube einziehen konnte, war sein Glück.

Dass der Münchner Wohnungsmarkt völlig überlaufen ist, muss man niemandem erzählen. Für anerkannte Flüchtlinge aber scheint es fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, eine bezahlbare Wohnung, ja, überhaupt eine Wohnung oder ein Zimmer zu finden. Vermieter reagieren meist mit Skepsis, wenn sie hören, dass das Amt für die Miete aufkommt.

Auch Ayham Alsayed, Ahmad Alsayed und Mahmoud Albitar haben längst ihre positiven Asylbescheide. Eine Wohnung aber finden sie nicht - und sind mittlerweile ziemlich verzweifelt. Für eine Sozialwohnung habe er sich schon vor einem Jahr beworben, sagt Ayham Alysayed, außerdem etwa 100 Mails an private Vermieter geschrieben. "Es kam nie eine Antwort."

818 Euro Miete in einer Pension - pro Person

Die drei Syrer sind im August 2015 nach Deutschland gekommen, der 26-jährige Ayham und der 18-jährige Ahmad sind Cousins, Mahmoud, 22, haben sie auf der Flucht kennengelernt. Seitdem machen sie fast alles zu dritt. Über Erding, Eichstätt und Kinding gelangten sie nach München. Der Jüngste besucht eine Sprachschule und will eine Ausbildung zum Mechatroniker machen, der Mittlere macht einen Vorbereitungskurs für eine Lehre als Elektrotechniker, der Älteste hat in Syrien als Arabisch-Lehrer gearbeitet und will in Deutschland als pharmazeutisch-technischer Assistent neu anfangen.

Zurzeit leben sie in Pensionen von Betreibern, die ordentlich Kasse machen mit der Wohnungsnot. 818 Euro Miete zahlten sie in ihrer Pension beim Hauptbahnhof, sagen die beiden Cousins. In einem Viererzimmer, wohlgemerkt. Pro Person. Privatsphäre gibt es nicht, für den Deutschkurs zu lernen sei nahezu unmöglich, sagt Ayham Alsayed. Manche anderen Bewohner seien ständig betrunken oder rauchten Haschisch. Noch kommt das Jobcenter für die Mietkosten auf. Doch wie soll es werden, wenn sie ihre Ausbildungen beginnen? Sie brauchen dringend eine Wohnung.

Sofortprogramm der Stadt München

Die Kommunen im Umland gehen verschiedene Wege, um die enorme Herausforderung zu bewältigen. In der Stadt München soll vor allem das Sofortprogramm "Wohnen für alle" helfen, die Wohnungsnot zu lindern. Bis zum Jahr 2019 sollen in dem Programm 3000 neue Wohnungen für einkommensschwache Gruppen entstehen. Als Pilotprojekt überbaute die städtische Wohnungsgesellschaft Gewofag den Parkplatz am Dantebad in Moosach.

Von der Idee bis zur Eröffnung verging gerade einmal ein Jahr, im Februar zogen die ersten Bewohner ein. Eine Hälfte der Wohnungen vergab das Sozialreferat an Haushalte, die Anspruch auf öffentliche Förderung haben. Die andere Hälfte setzt sich aus anerkannten Flüchtlingen und Wohnungslosen zusammen, eine Kommission aus Sozialreferat und Gewofag wählte sie aus.

Die Initiativen der Stadt reichen nicht aus

Ja, die Stadt legt sich ins Zeug. Aber es reicht nicht aus. In die Lücke zielen Initiativen wie die des gemeinnützigen Vereins "Münchner Freiwillige - Wir helfen". Der Verein entstand im Herbst 2015 aus der Notversorgung der Flüchtlinge, die am Münchner Hauptbahnhof ankamen. Nun haben die Ehrenamtlichen ein Konzept entwickelt, das Geflüchteten und anderen bedürftigen Personen helfen soll, eine Bleibe zu finden.

Der Verein mietet sowohl von Privatleuten als auch von großen Wohnungsunternehmen Wohnungen an und vermietet sie an Bedürftige unter. So sei der sichere Mieteingang gewährleistet, heißt es, denn die Miete überweise der Verein. "Die Vermieter haben kein Risiko", sagt Vereinsvorstand Mischa Kunz. "Wir haften für den pünktlichen Mieteingang und zahlen die Kaution." Allerdings wird nur an Flüchtlinge weitervermietet, die in einem Patenprogramm begleitet werden. So soll gewährleistet sein, dass jemand die Mieter über alles informiert, was über Mieten und Wohnen zu wissen ist.

Wohnungsnot bei Flüchtlingen: Mahmoud Albitar, Ayham Alsayed und Ahmad Alsayed (v.l.) würden ihr Pensionszimmer am Hauptbahnhof liebend gern verlassen.

Mahmoud Albitar, Ayham Alsayed und Ahmad Alsayed (v.l.) würden ihr Pensionszimmer am Hauptbahnhof liebend gern verlassen.

(Foto: Robert Haas)

Dinge, die Ahmad Abbas mit seiner Vermieterin und Mitbewohnerin abends am Esstisch klären kann. Als er einzog, half Birgit Grube ihm, seine Sachen zu holen, ein paar Mal fuhren sie mit ihrem Auto hin und her: Kleider, Bücher "und jede Menge Geschirr", sagt sie mit leicht strengem Blick. Abbas winkt ab, so viel sei es doch gar nicht gewesen, er habe ja das meiste zum Wertstoffhof gebracht.

Es ist eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft: der junge Mann, der aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist, und die Münchner Rentnerin. Aber es ist eine Gemeinschaft, von der beide profitieren. Knapp zwei Monate ist der Einzug her. Zwei Monate, in denen sich Leben und Alltag der beiden ziemlich verändert haben. "Er ist eine Bereicherung", sagt Grube. Jeder hat sein eigenes Bad, Küche und Wohnzimmer teilen sie sich. Wenn Abbas sich morgens auf den Weg macht zur Berufsschule oder zur Arztpraxis, ist sie meist noch nicht auf den Beinen. Aber abends essen sie oft zusammen. Wenn er kocht, und er kocht gern, nimmt er Rücksicht auf sie und verwendet weniger Salz und Zucker, als er gerne würde.

Die beiden unternehmen auch viel zusammen. "Er ist an allem interessiert", sagt Grube. Abbas begleitet sie zum 60. Geburtstag einer Freundin oder zum Tennis, er hat ihre Hecken geschnitten und organisierte einen Freund, der sie zu ihrem kranken Bruder in den Schwarzwald brachte, weil sie nicht so lang Auto fahren wollte.

Eine Win-win-Situation

Im Gegenzug spielt sie in München auch mal Taxi für ihn, wenn er viel transportieren muss wegen seiner ehrenamtlichen Arbeit als Leiter des syrischen Friedenschores. "Er bringt Stimmung", sagt Grube. "Ich bin am liebsten immer beschäftigt", sagt Abbas. Er ist ungern allein, wenn er nur für sich in seinem Zimmer sitzt, "das ist Katastrophe." Nur beim Einkaufen sind sie sich nicht einig. Sie geht gern zum Biomarkt, er sagt: "Bei Lidl kostet es viel weniger."

Vor Kurzem hat sie ihn an seiner Ausbildungsstätte besucht, sein Chef, sagt sie, sei sehr zufrieden mit ihm. Einmal haben sie mit Abbas' Mutter im Libanon geskypt. Die Mutter winkte. Und Abbas sagte zu Birgit Grube: "Jetzt musst du auch winken."

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