Wohnungslosigkeit:Wo obdachlose Frauen Hilfe finden

Wohnungslosigkeit: Eines der wenigen Rituale der obdachlosen Frauen kann der Kaffee sein, den sie bei der Essensausgabe von Sankt Bonifaz bekommen und auf den Kirchenstufen trinken können.

Eines der wenigen Rituale der obdachlosen Frauen kann der Kaffee sein, den sie bei der Essensausgabe von Sankt Bonifaz bekommen und auf den Kirchenstufen trinken können.

(Foto: Stephan Rumpf, Illustration Jessy Asmus)
  • Immer mehr Menschen sind im reichen München obdachlos - unter ihnen viele Frauen.
  • Auch wenn es spezielle Obdachlosenhäuser für sie gibt, bleibt ein echter Neuanfang schwierig. Vor allem, weil es kaum bezahlbaren Wohnraum gibt.
  • Frauen, die auf der Straße leben, lassen sich ihre Situation lange Zeit nicht anmerken. Sie suchen oft erst dann Hilfe, wenn es ihnen gesundheitlich schlecht geht.

Von Sven Loerzer und Milena Hassenkamp

Manche Menschen haben einfach nur Hunger, andere suchen Hilfe, wissen nicht mehr weiter. In der Bahnhofsmission an Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs können sie bei den Helfern in den blauen Westen ein Margarinebrot und einen Becher Tee bekommen, dort finden sie ein offenes Ohr, 24 Stunden am Tag, auch am Wochenende.

Die Bahnhofsmission steht allen Menschen offen: dem bestohlenen Reisenden, der nicht weiß, wie er heimkommen soll, dem Flüchtling, dem die Orientierung fehlt, dem Obdachlosen, der keinen Schlafplatz hat, der Frau, die mit ihrem Kind vor dem gewalttätigen Ehemann geflüchtet ist.

Jungen Frauen, die auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben vom Land in die große Stadt kamen, Schutz vor Ausbeutung zu bieten, das war der Ursprung der Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten evangelischen und katholischen Bahnhofsmissionen. Zu den Schwerpunkten der 1897 gegründeten Münchner Bahnhofsmission, inzwischen in ökumenischer Trägerschaft, gehört auch, Frauen in schwieriger Lage Beistand zu geben.

So suchten in den vergangenen Jahren immer mehr obdachlose Frauen dort Hilfe. Viele dieser Frauen teilen Gewalterfahrungen und psychische Probleme, die es ihnen schwer machen, ein normales Leben zu führen. In vielen Fällen sei das Leben auf der Straße eine Trotzreaktion: "Nach einer Gewalterfahrung wollen die Frauen nicht mehr ausgeliefert sein", sagt Sozialpädagogin Barbara Thoma, die die Frauen betreut. Deshalb ziehen sie sich aus der Gesellschaft zurück.

Schlechte Schulabschlüsse, fehlende Ausbildung, Defizite in der persönlichen Entwicklung, Traumata und Missbrauch zählen zu den vielen Gründen, in deren Folge sich die Lage so zuspitzen kann, dass Menschen ihre Wohnung verlieren. Für Frauen, das zeigt auch eine Statistik der Frauenunterkunft Karla 51, spielt dabei häufig die Trennung vom Partner eine Rolle: Oft finden sie dann auf dem sowieso harten Münchner Wohnungsmarkt keine neue Wohnung.

Eine Trennung ist oft der Beginn des sozialen Abstiegs

Das heißt, ausgerechnet die Befreiung aus der Abhängigkeit vom Partner führt dazu, dass es immer mehr wohnungslose und obdachlose Frauen gibt. Isabel Schmidhuber, Leiterin des Frauenobdachs Karla 51, sagt: "Frauen werden häufiger wohnungslos, weil sie inzwischen viel selbständiger leben als vor 50 Jahren. Früher blieben sie bei ihren Männern, heute heiraten viele nicht mehr. Sie tragen ihr wirtschaftliches Risiko allein. Wenn dann Mietschulden dazu kommen, sie aus der Wohnung geklagt werden, ist da oft niemand, zu dem sie können." Bevor sie Hilfe suchen, übernachten etliche zwar noch bei Bekannten oder bei wechselnden Verwandten - solange, bis auch diese Situation unerträglich wird.

Sonst gibt es wenig, was sich am Schicksal der Frauen, die zu Karla 51 kommen, verallgemeinern ließe. Sie habe in der Karlstraße schon Frauen jeden Alters und jedes Berufsstandes getroffen, sagt Schmidhuber, auch Grafikdesignerinnen und Rechtsanwaltsgehilfinnen. Was die Situation für Frauen schwierig mache: Auf der Straße sind sie meist angreifbarer als obdachlose Männer, können sich vor Gewalt und Übergriffen noch viel weniger schützen. "Oft suchen die Frauen sich deshalb zu ihrem Schutz Rudelstrukturen", sagt die Leiterin der katholischen Bahnhofsmission, Bettina Spahn.

Frauen suchen erst Hilfe, wenn der Körper nicht mehr mitmacht

Frauenfreundschaften gebe es dagegen eher selten, meistens wollten sich die Frauen zurückziehen. Spahn sorgt sich besonders um die 18- bis 21-jährigen Frauen, die gerade in einer wichtigen Phase der Persönlichkeitsentwicklung nicht versorgt werden. "Von den jungen Frauen, die häufig Drogenerfahrungen hinter sich haben, wird zu viel Eigeninitiative erwartet", sagt Bettina Spahn. Sie wünscht sich eine intensivere Betreuung durch das Jugendamt und mehr Angebote in der Jugendhilfe, um den jungen Menschen mehr Chancen zu geben.

Frauen, die auf der Straße leben, lassen sich ihre Situation lange Zeit nicht anmerken. Wenn ihr Körper dann nicht mehr mitmacht, kommen sie zur Bahnhofsmission - mit kaputten Zähnen und Blasenerkrankungen. "Obdachlose altern oft früher und schneller", erzählt Spahn. "Es ist schon viel getan worden, aber es gibt Lücken im Angebot." Zunehmend werden sich Unterkünfte darauf einstellen müssen, sich um kranke, behinderte und pflegebedürftige Menschen zu kümmern, aber auch um Mütter mit Kindern und schwangere Frauen.

Bahnhofsmission München

Bettina Spahn (links) und Barbara Thoma leiten die Bahnhofsmission in München und kennen viele Frauenschicksale.

(Foto: Aleksandra Bakmaz/dpa)

Bei Karla 51 haben im Jahr 2016 insgesamt 2000 Frauen nach einer Unterkunft gefragt. 194 von ihnen konnten einen Schlafplatz erhalten, darunter war sogar eine obdachlose 93-Jährige. Eigentlich sollten die Frauen nicht länger als zwei Monate bleiben, die Situation soweit geklärt sein, dass sie in eine passende Einrichtung oder eine Wohnung ziehen können. "Innerhalb von zwei Monaten findet niemand eine Wohnung", sagt Leiterin Schmidhuber. Viele Frauen bleiben deshalb länger als nötig.

So muss sie viele Frauen, die dringend Hilfe bräuchten, abweisen. "Frauen mit Kindern haben eine Wartezeit von neun Monaten. Vor zehn Jahren konnten wir noch jede Frau unterbringen, keiner musste auf der Straße schlafen. Heute schaffen wir das nicht mehr." Ein wenig besser wird es 2018: Dann bekommt Karla 51 eine weitere Unterkunft in der Nachbarschaft mit 15 neuen Zimmern dazu.

Die Zahlen der Wohnungslosen in München steigen indes generell. Im Januar 2017 waren laut Sozialreferat rund 7000 Menschen akut wohnungslos, davon 360 alleinstehende Frauen und knapp 1600 minderjährige Kinder. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl somit von 3800 schon fast verdoppelt. 550 bis 600 Menschen, so schätzt die Stadtverwaltung, leben und schlafen dauerhaft auf der Straße. Mit einer Studie will die Stadt 2018 nicht nur ermitteln, wie viele Menschen auf der Straße leben, sondern auch die Gründe dafür und die Problemlagen ermitteln.

Die Studie, deren Konzept das Sozialreferat noch im Herbst dem Stadtrat vorlegen will, soll die Grundlage liefern, wie dem Personenkreis am besten zu helfen ist. Ein Notlager für Frauen und Kinder ohne Obdach bietet auch immer wieder die Bahnhofsmission, wenn in den elf Einrichtungen für Frauen kein Platz mehr frei ist: Fast 1000 Übernachtungen auf Iso-Matten im Aufenthaltsraum verzeichnete die Bahnhofsmission im vergangenen Jahr.

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