Wohngruppe für Demenzkranke:Hier wird gelacht, nicht geheult

Diagnose Demenz

Herzogs Schützlinge sind zwischen 62 und 91 Jahren alt und leiden an gerontopsychischen Erkrankungen wie Demenz.

(Foto: dpa)

Bei manchen Bewohnern muss er sich jeden Tag aufs Neue vorstellen: Der Sozialpädagoge Sebastian Herzog arbeitet in einer Wohngruppe für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen in Laim. Seine Schützlinge leiden an Krankheiten wie Demenz.

Von Anita Bauer

"Bis einer heult" - diese neongelbe Aufschrift ziert das schwarze T-Shirt von Sebastian Herzog, das er sich in seine Jeans gesteckt hat. Unter der Aufschrift sehen sich zwei Panzer, auch neongelb, in die Augen. Auf den ersten Blick ein ungewöhnliches T-Shirt für einen Sozialpädagogen, der mit Menschen mit gerontopsychischen Erkrankungen arbeitet.

Seit 15 Jahren ist Herzog schon in der gerontopsychiatrischen Wohngruppe II im Sozialzentrum der AWO München in Laim beschäftigt. Gerontopsychatrie ist ein Teilbereich der Psychatrie, der sich mit psychischen Erkrankungen bei älteren Menschen beschäftigt. Hierzu zählen vor allem: Demenz, Delir, Depressionen und Schizophrenie. Herzogs Schützlinge sind zwischen 62 und 91 Jahren alt.

Sie sind hier, weil sie zwar von altersbedingten, psychischen Erkrankungen betroffen, aber soweit selbstständig sind, dass sie keine komplette Pflege benötigen. Der Platz kostet 3000 Euro im Monat und wird mit bis zu 1200 Euro von der Pflegekasse unterstützt. Wer aufgenommen werden will, muss drei Kriterien erfüllen:

Die Person muss gerontopsychiatrisch erkrankt sein, beim Einzug noch selbst laufen können und einen gesetzlichen Betreuer haben. Fast alle Bewohner sind Frauen, bis auf zwei Männer. Das liegt nicht daran, dass mehr Frauen erkranken, sondern einfach daran, dass Frauen länger leben. Und Männer werden oft von den Ehefrauen zuhause gepflegt.

Die Menschen leben im Schnitt vier bis fünf Jahre in der Wohngruppe. Doch kann die Dauer auch viel kürzer sein, manchmal nur ein paar Monate. Selten auch mal länger, bis zu 15 Jahre, wie die älteste Bewohnerin. In jeder Wohngruppe leben zehn Bewohner. Zum Einzug gibt's für jeden ein eigenes Namensschild an die Tür.

Hinter den Namensschildern verbergen sich geräumige, helle Schlafzimmer. Das Bett und der Schrank sind aus hellem Holz. Die gehören zum Inventar. An der Wand hängen viele Bilder. Hochzeitsfotos. Und aktuellere Bilder mit dem oft schon verstorbenen Ehemann.

Das Zimmer ist aufgeräumt. Doch im Schrank zwischen Hosen und Pullovern stehen elf Trinkgläser. Die gleichen Gläser wie in der Küche. Herzog geht zum Schrank, stapelt die Gläser in seinen Armen und lacht. "So was kommt oft vor. Viele unserer Bewohnerinnen sammeln gerne, aber das ist harmlos. Eine frühere Bewohnerin hat immer die Singbücher aus der Kirche mitgenommen. Jedes Mal, wenn wir wieder einen Stapel in ihrem Zimmer gefunden haben, haben wir sie zurück getragen." Er zwinkert.

Jedes Rädchen hat seine Aufgabe

Das interdisziplinäre Team arbeitet wie ein Schweizer Uhrwerk. Jedes Rädchen hat seine Aufgabe, aber die Uhr funktioniert nur, wenn alle zusammenspielen. "Der Job ist nicht einfach, er benötigt viel Professionalität." Unverzichtbar ist auch, gelassen und freundlich zu sein. Plus eine Portion Humor.

Herzog lacht: "Es kann schon mal vorkommen, dass man sich täglich neu den Bewohnern vorstellen oder etwas zehn mal sagen muss." Aber auf einen freundlichen Ton sollte man immer achten.

Die Betreuerin schneidet einen Schneemann aus dem großen weißen Karton. Vier sind schon fertig. Sie haben alle einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf, einen roten Punkt als Nase, schwarze Knopfaugen und ein Lächeln im Gesicht. Ein paar Bewohner basteln aktiv mit. Zwei sehen nur gespannt zu. "Der Hauptpunkt ist die psychische Betreuung", sagt Herzog. Sicherheit und Stabilität vermitteln, an die Persönlichkeit und die eigene Welt des Bewohners andocken, eine Identität geben.

Sehr wichtig ist Herzog auch, dass es Bewohner und keine Patienten sind. Der Alltag soll ganz normal gestaltet werden. Das ist die Aufgabe der zwei Sozialpädagogen. Jeder in der Wohngruppe kann sich den Tag selbst einteilen. Es wird zusammen spazieren gegangen, gebastelt und gemalt.

Die Kunstwerke verzieren den Flur der Wohngruppen. Gerne unternehmen sie Ausflüge. "Auf dem Foto waren wir mittags auf der Wiesn. Es ist nicht jeder mitgekommen. Manche konnten nicht, manche wollten auch nicht. Und das ist das Bild vom Tierpark Hellabrunn. Danach waren wir noch in einem Café und haben Kuchen gegessen und Kaffee getrunken. Das hat ihnen sehr gefallen." Sebastian Herzog lächelt begeistert beim Durchschauen der vielen Fotos.

Um 12 Uhr gibt es immer Mittagessen. " Wie kann man denn zur Mittagszeit anrufen", beschweren sich die Bewohner seiner Wohngruppe immer, falls mal wieder mittags Herzogs Telefon klingelt. Wer gerade keinen Hunger hat, kann auch später essen. Aber meistens essen alle zusammen.

Gemeinsames Essen macht allen Spaß und fördert die Gemeinschaft. Zu Mittag gibt es täglich zwei Gerichte: eines mit Fleisch und ein Vegetarisches. Und am Abend genauso. Zubereitet wird es in der hauseigenen Küche. Selber kochen klappt meistens nicht mehr.

Heute haben sich alle für Leberkäse mit Ei und Kartoffelpüree entschieden. Wenn jemand nicht mehr motorisch in der Lage ist, selbst zu essen, hilft auch gerne mal die Tischnachbarin. Eine Bewohnerin sieht Herzogs T-Shirt, lacht und sagt: "Bis einer heult." Hier wird gelacht und nicht geheult.

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