Wohnen:Was deutsche Großstädte für günstigen Wohnraum tun

Wohnen: An der Bebauung des Paulaner-Areals hat sich ein Streit entzündet, wie sehr die Stadt Wohnungspreise in Neubaugebieten beeinflussen kann.

An der Bebauung des Paulaner-Areals hat sich ein Streit entzündet, wie sehr die Stadt Wohnungspreise in Neubaugebieten beeinflussen kann.

(Foto: Robert Haas)

Mit der Einführung der sozialgerechten Bodennutzung war München vor gut 20 Jahren Vorreiter. Doch längst ist auch in Frankfurt, Hamburg, Berlin und Stuttgart etwas passiert.

Von Anna Hoben, Jan Willmroth, Stefan Mayr, Jens Schneider und Thomas Hahn

Über die Frage, wie viel Einfluss die Kommunalpolitik auf die Münchner Wohnungspreise hat, wurde zuletzt heftig gestritten. OB Dieter Reiter weist die Kritik an der Stadt scharf zurück.

Dieter Reiter war mehr als verschnupft. "Einigermaßen dreist" fand der Oberbürgermeister die Aussage von Jürgen Büllesbach, dem Chef der Bayerischen Hausbau. Der hatte in einem SZ-Interview im Dezember der Stadt eine Mitschuld an der Entwicklung des Wohnungsmarktes attestiert. Nicht nur die Immobilienbranche, auch die Kommune habe in der Vergangenheit "einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Situation so ist, wie sie ist", etwa indem sie beim Verkauf von Grundstücken Maximalpreise verlangt habe.

In München betont man gern, dass hier das Instrument der "Sozialgerechten Bodennutzung" (Sobon) erfunden wurde. Sie gilt auf privaten Flächen, für die das Planungsreferat neues Baurecht erteilt, ist seit 1994 in Gebrauch und schreibt vor, dass neben frei finanzierten Wohnungen auch 30 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen entstehen.

Mittlerweile, so Hausbau-Chef Büllesbach, unternähmen andere Städte allerdings "deutlich mehr" für günstigere Preise als die bayerische Landeshauptstadt. Er verwies auf Hamburg mit seinem sogenannten Drittelmix. In der Hansestadt müssen im privaten Wohnungsbau bei großen Projekten ein Drittel Sozialwohnungen entstehen, ein Drittel sind frei finanzierte Mietwohnungen, und ein weiteres Drittel darf als Eigentumswohnungen in den Verkauf gehen.

Tatsächlich hat die Stadt München im vergangenen Sommer bei der Sobon nachgebessert. Zusätzlich zu den 30 Prozent Sozialwohnungen soll nun bei jeder zehnten Wohnung eine Mietobergrenze von 13,90 Euro gelten. Geht in die richtige Richtung, sagte Büllesbach, "man hätte da aber deutlich mehr tun können". Es fehle an klaren Vorgaben und Regeln, die "langfristig und verbindlich für alle gültig" sein müssten. Es habe ja Verhandlungen mit Investoren gegeben, konterte der OB - jedoch mit bescheidenem Ergebnis.

An der Kommunalpolitik würden schärfere Regeln nicht scheitern. Es dränge sich der Verdacht auf, "dass jemand davon ablenken will, mit dem Paulanergelände höchstmöglichen Profit machen zu wollen". Dort, in der Au, entwickelt die Bayerische Hausbau eines der größten innerstädtischen neuen Quartiere. Knapp die Hälfte der 1500 Wohnungen gehen in den Verkauf, für 10 000 bis 20 000 Euro pro Quadratmeter.

Zeit für einen Blick in andere Großstädte. Was tun diese, um das Problem in den Griff zu kriegen? Die Gegebenheiten sind zwar verschieden und Vergleiche nicht einfach - aber Wohnungsknappheit, explodierende Bodenpreise und steigende Mieten sind kein Münchner Phänomen. Auch wenn hier der Druck auf dem Markt am höchsten ist.

Von Anna Hoben

Mit dem Brexit wächst der Druck in Frankfurt

Seit einem Jahr fordert auch Frankfurt 30 Prozent geförderte Wohnungen bei Neubauten.

Wenn Frankfurts Stadtoberhaupt Peter Feldmann derzeit auftritt, gut einen Monat vor der Bürgermeisterwahl in der Stadt, dann kommt er um ein Thema nicht herum. "Bauen, bauen und nochmals: bauen", fasste der SPD-Politiker vergangene Woche auf dem Neujahrsempfang der örtlichen IHK zusammen, was seine Verwaltung derzeit umtreibt. Die Stadt boomt, seit vielen Jahren, und in der öffentlichen Debatte spiegeln sich die Probleme Münchens. Nur in einem etwas kleinen Format, dafür aber mit einer im Schnitt weniger wohlhabenden Bevölkerung.

Inzwischen leben 736 000 Einwohner mit Erstwohnsitz in der Stadt, jedes Jahr kommen Tausende hinzu, der Brexit wird den Druck auf den Wohnungsmarkt in der Bankenstadt noch weiter erhöhen. Gemessen an den Neuvermietungen ist Frankfurt nach jüngsten Daten des Beratungsunternehmens F+B mit durchschnittlich elf Euro pro Quadratmeter zur drittteuersten Stadt Deutschlands aufgestiegen, nur übertroffen von Unterschleißheim und München.

Wohnhochhäuser in Frankfurt/Main

Seit Jahrzehnten gehören Bagger, Kräne und Baugruben in Frankfurt zur Kulisse.

(Foto: dpa)

Seit Jahrzehnten gehören Bagger, Kräne und Baugruben zur Kulisse, es entstehen mehr als zehn neue Hochhäuser, die Stadt verändert sich ständig. Und doch werden laut zweier übereinstimmender Studien bis 2030 etwa 100 000 Wohnungen fehlen. Die Zahl öffentlich geförderter Sozialwohnungen ist wie in anderen Großstädten deutlich gesunken. Das aufzuholen wird schwierig.

Die Stadtverwaltung beeilt sich nun, neue Bauflächen auszuweisen. Alte Stadtteile werden nachverdichtet, Büroflächen umgebaut und Gewerbeflächen umgewidmet. Mit dem Europaviertel ist eines der größten neuen Wohnquartiere Europas fast fertiggestellt. Links und rechts der Autobahn A 5 im Norden der Stadt soll ein ganz neuer Stadtteil entstehen.

Damit sich auch künftig Normalverdiener noch Wohnraum in der Stadt leisten können, versuchen Feldmann und sein Planungsdezernent Mike Josef gegenzusteuern. Seit einem guten Jahr müssen Investoren bei Neubauprojekten 30 Prozent geförderte Wohnungen einplanen, sonst gibt es kein Baurecht. Je die Hälfte davon entfällt auf klassische Sozialwohnungen und auf den sogenannten zweiten Förderweg, mit dem Familien mit mittlerem Einkommen an bezahlbaren Wohnraum kommen sollen.

Für die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG, um die andere Städte Frankfurt regelmäßig beneiden, gilt sogar eine 40-Prozent-Quote - und die Vorgabe, die Mieten nur um maximal fünf Prozent innerhalb von fünf Jahren zu erhöhen. Allein, bis die vielen Tausend angekündigten Wohnungen fertiggestellt sind, werden noch einige Jahre vergehen. Jahre, in denen der Druck auf den Frankfurter Wohnungsmarkt und die Mieten und Kaufpreise im ganzen Rhein-Main-Gebiet noch weiter steigen werden.

Von Jan Willmroth

Das Stuttgarter Bündnis für Wohnungsbau

Stuttgart nimmt Bauträger in die Pflicht und fördert Familien mit mittleren Einkommen.

Die Einwohnerzahl Stuttgarts ist seit dem Jahr 2000 um zehn Prozent gewachsen, derzeit leben etwa 610 000 Menschen in der Landeshautstadt Baden-Württembergs. Die Preise für Wohnraum sind entsprechend mitgestiegen, der Markt ist ähnlich angespannt wie in München.

Im Jahr 2016 hat die Stadt mit zahlreichen Bauträgern ein Bündnis für Wohnungsbau geschlossen. Darin haben sich die Beteiligten verpflichtet, die Ziele beim geförderten Wohnraum zu erreichen. Vor allem sollen keine Sozialwohnungen aus der Belegung fallen und zu höheren Preisen vermietet werden. Zudem hat die Stadt mehrere Förderprogramme aufgelegt, die auch Familien mit mittleren Einkommen zugutekommen sollen. Dabei geht es nicht nur um günstigere Mieten, sondern auch um billigere Eigentumswohnungen oder gar Doppelhaushälften, die sich Normalverdiener in der Regel nicht mehr kaufen können.

Häuser in Stuttgart

Für Familien, die zwar keine Chance auf eine Sozialwohnung, aber Probleme haben, auf dem freien Markt erschwinglichen Wohnraum zu finden, gibt es in Stuttgart das Programm "Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher".

(Foto: dpa)

Im Gegensatz zu München verkauft Stuttgart sehr wohl Grundstücke aus städtischem Besitz. Diese Flächen werden allerdings verbilligt abgegeben - mit der Auflage, dass der Bauherr diesen Preisvorteil an die Käufer und Mieter der Wohnungen weitergibt. Zudem sieht das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (SIM) vor, dass städtische Grundstücke nicht an den höchstbietenden Bauinteressenten verkauft werden, sondern an jenen mit dem besten Konzept. Bei größeren Neubauprojekten ist vorgeschrieben, dass 20 Prozent der Fläche für den geförderten Wohnungsbau vorgesehen sind. Das sind zehn Prozent weniger als in München.

Für alle Familien, die zwar keine Chance auf eine Sozialwohnung, aber Probleme haben, auf dem freien Markt erschwinglichen Wohnraum zu finden, gibt es das Programm "Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher": Für sie gibt es - sofern vorhanden - Wohnungen für neun bis 10,50 Euro pro Quadratmeter. (Sozialhilfe-Wohnungen kosten 7,50 bis neun Euro Miete, auf dem freien Markt zahlt man knapp 15 Euro.)

Für kaufwillige Familien, die sich die rasant gestiegenen Preise nicht leisten können, gibt es das Programm "Preiswertes Wohneigentum": Hier stellt die Stadt Grundstücke zur Verfügung, auf denen preisgünstige Reihenhäuser, Doppelhaushälften und Eigentumswohnungen gebaut werden. Für eine Familie mit zwei Kindern beträgt die städtische Verbilligung bis zu 54 000 Euro. Somit könne eine Familie ein Reihenhaus oder eine Eigentumswohnung erwerben, "ohne dass erhebliche Mehrbelastungen gegenüber einer vergleichbaren Mietwohnung entstehen", schreibt die Stadt auf ihrer Internetseite.

Das klingt gut. Allerdings: Wer sich für dieses Programm interessiert, muss sich gedulden. Bis auf weiteres sind keine derartigen Objekte im Angebot. "Sie können sich aber auf die Anwärterliste setzen lassen", sagt eine freundliche Dame von der Stadt. Zusätzlich bleibt noch die Chance, etwas auf dem freien Markt zu finden - und sich den Kauf von der Stadt mit bis zu 30 000 Euro bezuschussen zu lassen.

Von Stefan Mayr

Berlins Regeln für Bauherren

Berliner Mieten sind günstiger als in München, doch die Stadt muss trotzdem handeln.

Auch im früheren Mieterparadies Berlin sind bezahlbare Wohnungen längst Mangelware. Die Stadt boomt, die Zuwanderung ist hoch. Jährlich wächst Berlin um rund 50 000 Einwohner. Damit sind die Zeiten vorbei, in denen Interessenten in der Hauptstadt zwischen einem großen Angebot an Wohnungen aussuchen konnten. Die von der Linkspartei gestellte Bausenatorin Katrin Lompscher steht deshalb unter Druck, schnell für mehr günstige Wohnungen zu sorgen.

Das durchschnittliche Einkommen in Berlin ist deutlich geringer als etwa in München, und es geht der Berliner Bauverwaltung darum, dass Wohnungen gebaut werden, die sich ein Großteil der Berliner Menschen auch leisten kann. Dazu gibt es seit 2014 das sogenannte "Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung". Das gilt für das ganze Land Berlin: Wer in der Hauptstadt zunehmend knappes öffentliches Bauland erwerben und dort Wohnungen bauen will, muss garantieren, dass dabei ein Teil der Wohnungen zu sozialen Mieten vergeben wird.

Wohnungsbau in Berlin

Wer in Berlin öffentliches Bauland erwerben und dort Wohnungen bauen will, muss garantieren, dass dabei ein Teil der Wohnungen zu sozialen Mieten vergeben wird.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Bisher sollten das 25 Prozent sein, ab dem 1. Februar werden 30 Prozent günstige Wohnungen verlangt. Es gibt entsprechende Fördermittel. Diese Regel gilt für alle Wohnungsbauprojekte, für die ein Bebauungsplan notwendig ist. Dabei werden die privaten Bauherren auch an weiteren Kosten beteiligt, etwa der Herstellung der sozialen und technischen Infrastruktur wie Kindertageseinrichtungen, Grundschulen, die Erschließung oder Anlage von Grünflächen. Der entscheidende Unterschied zu München dürfte dabei im Mietpreis der geförderten Wohnungen liegen.

Das hat auch mit der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage in beiden Städten zu tun: Weil in Berlin Einkommen wie Mietpreise generell deutlich niedriger sind, gilt das auch für die Vergleichsmieten. Wer bei einem geförderten Bauvorhaben in der Hauptstadt Wohnungen mit Sozialbindung schaffen muss, darf dementsprechend dafür eine Nettokaltmiete von 6,50 bis zu 7,50 Euro pro Quadratmeter nehmen, je nach Qualität der Wohnungen. Das gilt für die schon genannten 30 Prozent. Für einen zusätzlichen Teil von 20 Prozent kann die Mietpreisbindung bei acht Euro liegen.

Die sechs städtischen Berliner Wohnungsbaugesellschaften sind sogar verpflichtet, anstatt bisher 30 Prozent künftig die Hälfte der Wohnungen bei Neubauprojekten zu diesen Förderbedingungen zu errichten.

Von Jens Schneider

Das Hamburger Acht-Euro-Projekt

Hamburg setzt auf einen "Drittel-Mix" und probiert weitere Förderangebote aus.

Hamburg hat ein besonderes Interesse daran, Wohnungen zu bauen. Denn die Grenzen der Stadt sind gleichzeitig auch die Grenzen des Landes Hamburg. Wer in der Hanse-Metropole arbeitet, dort aber keine Wohnung findet, könnte in die anliegenden Bundesländer Schleswig-Holstein oder Niedersachsen ziehen - und dort seine Steuern zahlen. Kein Wunder also, dass SPD-Bürgermeister Olaf Scholz seit seinem Amtsantritt 2011 ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm verfolgt: 10 000 Wohnungen soll die Stadt jedes Jahr genehmigen. Und das gelingt auch. Allein 2017 wurden 13 411 Wohnungen auf den Weg gebracht. So viele wie noch nie.

Die Stadt lässt möglichst nach dem Prinzip Drittel-Mix bauen: Größere Einheiten müssen zu je einem Drittel aus Sozialwohnungen, frei finanzierten Mietwohnungen und Eigentumswohnungen bestehen. Das soll die soziale Durchmischung der Stadtteile sicherstellen und ausreichend bezahlbaren Wohnraum bringen. Ob das reicht? Darüber kann man streiten. Gerade in Quartieren wie Wilhelmsburg, in denen schon relativ viele Kleinverdiener leben, befürchten Skeptiker, dass weniger Sozialwohnungen entstehen, als tatsächlich gebraucht werden.

Die Stadt befürchtet das offiziell nicht, tüftelt aber an weiteren Angeboten für untere und mittlere Einkommen. Derzeit betreibt sie ein Pilotprojekt unter dem Motto "Acht-Euro-Wohnungsbau". Dabei verpflichtet sie private Bauherren, Mietwohnungen zu errichten, deren Nettokaltmiete anfangs maximal acht Euro pro Quadratmeter kosten darf. Zwei Grundstücke, eines am Bramfelder Dorfgraben, eines am Vogelkamp in Neugraben, hat die Stadt nach diesen Vorgaben zuletzt vergeben. Die Botschaft, die Hamburgs Baubehörde mit dem Projekt verbindet, lautet: Wohnen kann auch ohne öffentliche Förderung erschwinglich sein.

Aber Hamburg verfolgt noch eine weitere Strategie, um möglichst wenige Menschen zu verdrängen durch die Weiterentwicklung der Stadtteile. Die stadteigene Baugesellschaft IBA baut vor allem dort, wo jetzt noch keiner wohnt. Im Bezirk Bergedorf soll auf 120 Hektar Ackerland der neue Stadtteil Oberbillwerder mit bis zu 8000 Wohnungen entstehen. Im früheren Schmuddel-Viertel Wilhelmsburg wird eigens eine Bundesstraße verlegt, um Platz zu schaffen; 5000 zusätzliche Wohnungen sind geplant. Hamburg wächst nicht nur. Es verändert an manchen Stellen auch sein Gesicht.

Von Thomas Hahn

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