Wohnen:Schwanthalerhöhe: Das Viertel zum Wohlfühlen

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Die Mischung macht's: Die Schwanthalerhöhe ist ein buntes Viertel, was nicht nur an einigen Häusern wie dem "Lig-salz 8" liegt (links oben). Sibylle Stöhr und Konstantinos Papadopoulos (oben) leben ebenso gern dort wie Ingo Traub und Friseur André Arnoldi hier arbeiten. (Foto: Robert Haas (5), Catherina Hess)

Es ist wie auf dem Dorf: Die Menschen treffen sich oft auf der Straße, begegnen sich in den vielen Läden und Lokalen. Nicht mal die vielen Neubauten zerstören den Charme.

Von Thomas Anlauf

Der Friseur ist so jemand wie der Hausarzt. Man hat Vertrauen zu ihm, erzählt ihm Dinge, die man nicht jedem beichtet - und früher oder später kommt jeder im Viertel bei ihm vorbei. André Arnoldi ist so eine Vertrauensperson im Westend. Seit 21 Jahren schneidet er den Leuten in seinem Salon an der Anglerstraße die Haare. Manchmal kommen ganze Familien vorbei, die dann aufgereiht in den Friseurstühlen sitzen.

"Wir sind mit den meisten Kunden per du", sagt Arnoldi, der mit seinem rotblau-karierten Hemd gemütlich hemdsärmlig aussieht. Die Kundschaft ist bunt gemischt, auch Kabarettistin Luise Kinseher lässt sich bei Arnoldi die Frisur richten, schließlich wohnt sie gleich um die Ecke. Das Besondere auf der Schwanthalerhöhe sei die Bodenständigkeit der Menschen: Man kennt sich, grüßt sich. "Das ist hier wie im Dorf", sagt er.

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Wenn Sibylle Stöhr durchs Viertel läuft, kommt sie meist nicht weit, ohne dass sie von Bekannten begrüßt wird. Ingo Traub tritt gerade vor die Tür seines Ladens, umarmt die zierliche Frau und bittet zum Espresso nach drinnen. Traub ist eigentlich noch gar nicht so lange im Viertel, aber er kennt natürlich die Vorsitzende des Bezirksausschusses gut. Stöhr schaut öfter mal vorbei im "Strandkorb", wie Traubs ungewöhnlicher "Laden für neue Perspektiven" heißt.

Vor zwei Jahren hat er das alte Geschäft in der Gollierstraße bezogen und bietet seine Räume als Seminartreff, für Therapiesitzungen oder Deutschkurse an. An den Wänden hängen gerade Fotografien von Andrea Behler. Er verkauft sie für die Fotografin, die auch im Westend wohnt. "Unser Ziel ist es, Leute aus dem Viertel anzusprechen", sagt Traub. Das gelingt ihm und seiner Frau mit regelmäßigen Kulturveranstaltungen, wie an diesem Donnerstagabend. Dann geht der Hut rum und jeder Konzertbesucher gibt so viel Geld, wie er erübrigen kann, oder auch mal gar nichts.

Großes Treffen auf dem Wochenmarkt

"Das Schöne ist, man überlegt gar nicht mehr, wo anders als im Viertel auszugehen", sagt Stöhr. "Aber trotzdem trifft man immer wieder neue Leute." Wie bei Traub in seinem "Strandkorb", der so heißt, weil gleich am Eingang ein gelbweißes Exemplar von der Ostsee steht. Viele, die den ehemaligen Milchladen aus Neugier betreten, setzen sich erst einmal in den Strandkorb, setzen sich die Kopfhörer auf und lauschen dem Möwengeschrei und dem Tuten von Schiffen. Der Strandkorb ist fast ein Symbol für das Leben und das Zusammenleben in der Schwanthalerhöhe: "Das ist hier einfach ein Wohlfühlviertel", sagt Traub.

Die Menschen treffen sich oft auf der Straße, zum Beispiel donnerstags, wenn am Georg-Freundorfer-Platz Wochenmarkt ist. Dann stehen auch die Geschäftsleute aus den neuen Bürogebäuden gegenüber in der Schlange und unterhalten sich mit den Alteingesessenen. Vor dem "Ça va" um die Ecke ist oft kein Platz mehr frei, sobald die Sonne scheint. Da sitzt der Banker im Sakko neben dem Musiker mit Hut, der Student neben dem Rentner. "Das Viertel ist einfach gut durchmischt", sagt Grünen-Politikerin Stöhr.

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Das liegt vor allem an den vielen Genossenschaftswohnungen, die dem einstigen Arbeiterviertel ihren Charakter verliehen haben. Bis heute leben hier überdurchschnittlich viele Menschen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Und seit vielen Jahrzehnten ist die Schwanthalerhöhe ein Schmelztiegel der Kulturen. In der Ridlerschule haben neun von zehn Kindern einen Migrationshintergrund, sie ist damit eine der internationalsten Schulen Bayerns. Vor allem Menschen aus Griechenland, der Türkei und Kroatien leben in dem kleinsten Viertel Münchens.

Die Neubauten haben das Viertel verändert

So wie Konstantinos Papadopoulos. Er ist gebürtiger Münchner und hatte mit seiner Frau Gina lange Jahre ein Lebensmittelgeschäft. Eines Tages beschlossen die beiden, nach Griechenland zu gehen. Doch Papadopoulos hielt es nur ein paar Jahre im Land seiner Vorfahren aus. Jetzt ist das Ehepaar wieder zurück, seit elf Monaten haben sie einen griechischen Lebensmittelladen im Eckhaus an der Ligsalzstraße. "Mein Mann ist halt ein Münchner Kindl", sagt Gina Papadopoulos und lacht. Die beiden sind wieder dort, wo sie vor Jahren weggezogen sind. "Die Gegend ist schon teurer geworden", sagt der Händler. Das liege wohl an den neuen Häusern, dort, wo bis 1998 die Messe war, vermutet er.

Die Neubauten haben tatsächlich das Viertel verändert. Viele Besserverdienende sind nun hergezogen und mit ihnen entstanden auch neue Lokale. Der alte Grieche "Stoa" ist nun ein schicker Italiener, wo bis vor kurzem ein türkischer Schnellimbiss war, gibt es nun Feinkost. Und trotzdem sind noch viele alte Läden und Lokale erhalten geblieben. Beim "Frischmarkt im Westend" gibt es "Kasap ve Et Mamülleri", gegenüber dem hippen "Café Marais" sitzen im "Ausstellungspark" meist Arbeiter aus dem Viertel am Tresen.

Wer hier lebt, möchte nicht mehr fort

Dienstags treffen sich dort immer ein paar Leute zur Kleinkunstbühne, und an diesem Samstag werden wohl ziemlich viele Leute dort vorbeischauen, die sich sonst wohl nicht in die dunkle Kneipe trauen würden. Denn der Münchner Veranstalter Otger Holleschek lädt an diesem Samstag zum mittlerweile siebten Literaturfest "Hörgang" in den "Ausstellungspark" und an zwei Dutzend weitere besondere Orte der Schwanthalerhöhe ein. Das bunt bemalte alternative Wohnhaus des Syndikats "Ligsalz8" ist ebenso als Bühne dabei wie das in Europa einzigartige Ledigenheim für Männer, eine Schmuckwerkstatt und eine Eisdiele.

Für Holleschek ist die Schwanthalerhöhe das "mit Sicherheit charmanteste Quartier" Münchens. Das liegt vor allem an den Menschen, die das Viertel geprägt haben und auch heute prägen. Wer hier lebt, will meist nicht mehr fort, trotz der Mietpreise, die auch hier steigen.

"Ich möchte in keinem anderen Stadtteil leben", sagt Sibylle Stöhr. Mit einem kleinen Lächeln biegt sie um eine Straßenecke und schon öffnet sich dort wieder eine Tür. Das ist wohl das Prinzip Westend.

Die Stadtviertel-Lesung "Hörgang" beginnt am Samstag, 30. April, um 20 Uhr an 25 Orten gleichzeitig. Tickets kosten 16 Euro im Vorverkauf, 20 Euro an der Abendkasse. Infos: www.hoergang.com

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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