Wohnen in München:Wohnungslosigkeit, Clearinghaus - und dann?

Wohnen in München: Zusammen mit ihrer fünfjährigen Tochter Anisha lebt Sabine Dahmer nun schon seit mehr als einem Jahr in einem Clearinghaus.

Zusammen mit ihrer fünfjährigen Tochter Anisha lebt Sabine Dahmer nun schon seit mehr als einem Jahr in einem Clearinghaus.

(Foto: Catherina Hess)
  • Immer mehr Menschen in München suchen eine bezahlbare Wohnung - und werden auch nach Monaten nicht fündig.
  • Das Clearinghaus soll Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben, Unterschlupf bieten und ihnen bei der Suche helfen.
  • Einer alleinerziehenden Mutter droht nun die Räumung aus dem Clearinghaus - sie lebt schon länger als ein Jahr dort und hat die einzige Wohnung ausgeschlagen, die sie bekommen hätte.

Von Anna Hoben

Vor sieben Jahren zog Sabine Dahmer vom Land zurück in ihre Geburtsstadt München. Die Wohnung für sie und ihre Tochter Stella in Neuhausen war perfekt, vier Zimmer, großer Balkon, 850 Euro Kaltmiete. An einer Montessori-Schule fand die alleinerziehende Mutter und studierte Malerin einen Job, sie gestaltete das Nachmittagsprogramm für Kinder. 2010 wurde ihre zweite Tochter Anisha geboren; danach fand Sabine Dahmer nicht zurück in den Job. Dann kam der Wasserrohrbruch, mit ihm nahm der Schlamassel seinen Lauf.

Stella, damals neun Jahre alt, litt plötzlich unter allergischem Schnupfen und Atemnot. "Der Schaden war genau da, wo sie schlief, die ganze Wand war nass", erinnert sich Sabine Dahmer. Erst später stellte sich heraus, dass Stella unter einer Schimmelpilzallergie leidet, genau wie ihre Mutter und ihre kleine Schwester. Als die Trockner für die Wände anrückten, zog die Familie vorübergehend erst in ein Hotel und dann zu Freunden. Nach der Renovierung wechselte der Eigentümer der Wohnung, Sabine Dahmers Mietvertrag wurde gekündigt. Es kam zur Räumungsklage.

Sie mietete einen Lagerplatz für ihre Habseligkeiten an, 250 Euro bezahlt sie im Monat dafür. Freunde halfen ihr, die Wohnung auszuräumen. Dann ein Anruf, der Internationale Bund (IB) würde sie abholen, "keiner bleibt in München auf der Straße", sagte die Stimme am Telefon. Mit den beiden Töchtern, den Katzen Shiva und Cheyenne, ein paar Goldfischen im Glas und einer Tasche ging es nach Hadern, in ein Clearinghaus vom IB. Am 21. Mai 2015 zog Sabine Dahmer ein.

Mehr als anderthalb Jahre später wohnt sie immer noch in der 39,5-Quadratmeter-Wohnung, zusammen mit der fünfjährigen Anisha. Die ältere Tochter Stella lebt zurzeit bei ihrem Vater. Sabine Dahmer ist ratlos und mittlerweile auch ziemlich verzweifelt. Sie finde keine Wohnung, sagt sie - und auch die Zeit im Clearinghaus dürfte bald zu Ende sein.

Im Juni ist der Betreuungsvertrag ausgelaufen, der IB hat Räumungsklage gegen sie eingereicht. "Nur in absoluten Ausnahmefällen", heißt es darin, könne der Aufenthalt in der Einrichtung über die maximale Dauer von einem Jahr hinaus verlängert werden. Eine solche Ausnahme sieht der IB nicht gegeben, auch weil Dahmer im Frühjahr ein Wohnungsangebot von der städtischen Gesellschaft Gewofag ausgeschlagen hat.

Sozialpädagogen kümmern sich um die Wohnungslosen

Der Aufenthalt in einem Clearinghaus ist als Zwischenlösung für akut Wohnungslose gedacht. Drei Monate, in Ausnahmefällen höchstens bis zu einem Jahr, dürfen Bewohner dort bleiben. "Das Besondere ist, dass die Menschen dort von Sozialpädagogen betreut werden", sagt Ottmar Schader, Sprecher im städtischen Sozialreferat. Es gehe darum zu klären, wie jemand künftig wieder selbständig wohnen könne. Eine Geschichte wie die von Sabine Dahmer sei "in keiner Weise der Regelfall".

Normalerweise dauere es etwa ein halbes Jahr, bis jemand wieder in eine reguläre Wohnung ziehen könne. Zurzeit sei der Zeitraum durch die angespannte Situation am Markt zwar deutlich länger, liege aber "durchschnittlich immer noch bei weniger als einem Jahr". Die Menschen müssten allerdings auch bereit sein, Hilfsangebote wie die Beratung in den Clearinghäusern anzunehmen. Georg Hiebl, Leiter der Wohnungshilfe des IB in München, will zu dem Fall von Sabine Dahmer konkret nichts sagen. Er weist aber allgemein darauf hin, dass manche Bewohner auch unrealistische Vorstellungen hätten bei der Wohnungssuche.

Sabine Dahmers Geschichte mag ein Einzelfall sein, aber sie illustriert, wie es um den Wohnungsmarkt in München bestellt ist. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, möglicherweise in Kombination mit ein paar ungeschickten Entscheidungen - Wohnungslosigkeit kann jeden treffen, heißt es oft. Vor allem aber ist es schwierig, aus einer solchen Situation wieder herauszufinden.

Immer mehr Menschen warten auf eine Sozialwohnung

Wer in München über wenig Geld verfügt, hat auf dem privaten Wohnungsmarkt kaum eine Chance. Und die Liste mit den Namen derer, die auf eine Sozialwohnung warten, wird länger und länger. Auf 3200 Wohnungen, die das Wohnungsamt in diesem Jahr vergeben konnte, kamen 24 000 Anträge. Seit Ende Oktober läuft die Vergabe über das neue Internetportal Sowon (Soziales Wohnen online).

Wer eine öffentlich geförderte Wohnung sucht, kann sich hier direkt auf Angebote bewerben - anstatt zu warten, welche Wohnungen das Amt ihm vorschlägt. Das erleichtert zwar das Suchen, aber nicht unbedingt das Finden. Sabine Dahmer hat sich gerade für zwei Wohnungen beworben. Bei der einen konkurriere sie mit 114 Mitbewerbern, sagt sie, bei der anderen seien es 210.

Die Zahl der Wohnungslosen in München ist innerhalb eines knappen Jahres um ein Fünftel gestiegen. 6782 Menschen sind zurzeit wohnungslos gemeldet. Sie sind in Notquartieren, Beherbergungsbetrieben, Clearinghäusern und Akuteinrichtungen von Sozialverbänden untergebracht. 550 Personen leben nach Schätzungen des Sozialreferats auf der Straße.

Als sie einzog, ahnte Sabine Dahmer nicht, dass die Übergangslösung zur Dauerlösung werden würde. Wenn sie an früher denkt, kann sie es manchmal kaum fassen. "Ich hatte eine große Wohnung, einen Job und ein geregeltes Leben." Nach einem halben Jahr im Clearinghaus fand sie endlich auch einen Kindergartenplatz für ihre Tochter, drei Stunden geht Anisha dort nun jeden Nachmittag hin.

Dass sie anders wohnt als ihre Freunde, bekommt die Fünfjährige noch nicht richtig mit. "Wenn sie bei anderen Kindern zu Besuch ist, sieht sie natürlich, dass die eigene Zimmer haben", sagt Sabine Dahmer. Sie versucht mit all ihrer Kraft, auch auf engem Raum ihrer Tochter ein liebevolles Zuhause zu bieten.

Den Zuschlag bekamen immer andere

Die 49-Jährige hat alles Mögliche unternommen, Dutzende Wohnungen privat angeschaut, sich Wohnberechtigungsscheine für mehrere Städte im Umland ausstellen lassen. Vom Münchner Wohnungsamt kamen fünf Vorschläge, bei allen außer einem bekamen andere Bewerber den Zuschlag. Im Punktesystem, das die Dringlichkeit des Anspruchs auf eine Sozialwohnung regelt, liegt Sabine Dahmer zwar relativ weit oben, aber andere liegen eben noch viel höher.

Und was ist mit der Gewofag-Wohnung, in die sie im Frühjahr hätte einziehen können? Ja, räumt sie ein, für diese eine Wohnung hat sie damals tatsächlich den Zuschlag bekommen. Sie lehnte ab, mit der Begründung, in der Wohnung sei Schimmel, und sie und ihre Töchter seien Allergikerinnen. Die fünfjährige Anisha muss regelmäßig inhalieren.

Was sein wird, wenn sie endgültig raus muss aus dem Clearinghaus, weiß Sabine Dahmer noch nicht. Der nächste Abwärtsschritt im Wohnungslosensystem hieße dann wohl: Beherbergungsquartier oder Notherberge. Von der Vorstellung, dauerhaft in München bleiben zu können, hat sie sich ohnehin schon längst verabschiedet. Ihre Hoffnungen liegen nun auf dem Umland. Für das neue Jahr hat sie nur einen einzigen Wunsch: endlich eine Wohnung zu finden.

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