Wohnen in München:Ein Mieter wehrt sich

Nach Protesten wie hier in München hat die Staatsregierung die Mietpreisbremse eingeführt - doch die Bremse bremst nicht.

Nach Protesten wie hier in München hat die Staatsregierung die Mietpreisbremse eingeführt - doch die Bremse bremst nicht.

(Foto: dpa)
  • Ist die Mietpreisbremse wirkungslos? Jein, heißt es vom Mieterverein München.
  • Mittlerweile wehrten sich mehr Menschen gegen überteuerte Preise als nach Inkrafttreten des Gesetzes. Allerdings scheuen viele den Konflikt mit dem Vermieter.
  • In Hadern hat ein Mann aufbegehrt - und muss sich plötzlich gegen längst vergessene Lärmbeschwerden wehren

Von Anna Hoben

Seit Kurzem wohnt er in der neuen Wohnung, zum ersten Mal seit Langem fühlt er sich wieder frei. David Günter will seine Geschichte erzählen, um zu zeigen, was geschehen kann, wenn ein Mieter versucht, ein Instrument anzuwenden, das ihm eigentlich helfen soll: die Mietpreisbremse. Ihm hat sie nicht geholfen, ganz im Gegenteil. Günter heißt eigentlich anders, aber er will nicht, dass sein richtiger Name hier auftaucht.

Die Geschichte beginnt Ende 2015. Nach der Trennung von seiner Frau braucht Günter eine neue Wohnung. In Hadern findet er ein Zimmer, 45 Quadratmeter, 750 Euro kalt. "Ich fand das von Anfang an teuer." Trotzdem zieht er ein. Im Januar 2016 bekommt seine Vermieterin einen Brief von der Hausverwaltung. Der neue Mieter falle durch Ruhestörungen auf, steht da. David Günter ist irritiert. Was das solle, fragt er. Und zählt auf, was er seinerseits aus der Nachbarwohnung vernimmt: Rollläden, Dusche, Föhn, Waschmaschine, Musik, Telefonate. Das Haus stammt aus den 1970er-Jahren, es ist hellhörig.

Die Vorwürfe beruhen auf Behauptungen einer Nachbarin. Die Hausverwaltung befragt weitere Bewohner, niemand bestätigt die Anschuldigungen. "Selbst die direkten Nachbarn Ihrer Wohnung konnten keine Störung vernehmen", schreibt die Hausverwaltung in einem Brief und entschuldigt sich bei Günter. Zwei Tage später, am 24. Februar, schreibt die Vermieterin ihrem Mieter: "Die Vermutung der Verleumdung konnte ich heute bestätigt finden." Die Sache scheint erledigt zu sein.

Drei Monate später, Ende Mai, wendet sich Günter an seine Vermieterin. Ein befreundeter Anwalt habe ihn darauf aufmerksam gemacht: "dass ich gemäß Mietspiegel deutlich zu viel Miete zahle". So schreibt er es in einer Mail an die Frau.

Auf einem angespannten Wohnmarkt darf die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Das besagt die Mietpreisbremse. Vor anderthalb Jahren ist sie in Bayern in Kraft getreten, von Experten wurde ihre Wirksamkeit jedoch von Anfang an bezweifelt: In einer Untersuchung kam das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zu dem Ergebnis, dass das Instrument nicht funktioniere und die Entwicklung der Mieten von der Regelung nahezu unbeeinflusst bleibe. In München hat es bislang erst ein Gerichtsurteil gegeben zu einem Fall, der mit der Mietpreisbremse zu tun hatte.

Ist sie also wirkungslos? Ja, sagt zum Beispiel Stephan Kippes, der das Marktforschungsinstitut des Immobilienverbandes Deutschland leitet. Es untersucht regelmäßig die Entwicklungen auf dem bayerischen Mietmarkt, und angesichts der weiter steigenden Preise gelangt Kippes zur Schlussfolgerung: "Die Versuche der Bundesregierung, den Mietmarkt zu regulieren, waren nicht erfolgreich."

Ist die Mietpreisbremse wirkungslos? Jein, heißt es vom Mieterverein München. Mittlerweile wehrten sich mehr Menschen gegen überteuerte Preise als nach Inkrafttreten des Gesetzes. Allerdings schreckten viele immer noch davor zurück, sich mit ihrem Vermieter anzulegen - aus Angst vor Repressalien einerseits und weil es andererseits so schwer ist, eine neue Bleibe zu finden, wie Geschäftsführer Volker Rastätter sagt. "Der Fehler liegt im Gesetz, es gibt keine Strafen für Vermieter, sie haben nichts zu befürchten."

Trotzdem kann er auch von positiven Beispielen berichten. Meist versuchten die Parteien, sich außergerichtlich zu einigen, in einigen Fällen habe man Mietminderungen durchsetzen können. Zum Beispiel für eine Wohnung im Glockenbachviertel: Im Gespräch mit den Nachbarn hatten die Bewohner festgestellt, dass sie deutlich mehr Miete bezahlten. Im Oktober 2015 hatten sie den Mietvertrag unterschrieben, 1380 Euro kalt für 81 Quadratmeter, ergo 17 Euro pro Quadratmeter. Im September 2016 einigte man sich mit dem Vermieter auf eine neue Miete von 14 Euro, was ihnen eine monatliche Ersparnis von 247 Euro bringt - sogar rückwirkend, wozu der Vermieter nicht verpflichtet gewesen wäre. "Ein kleiner Erfolg", so Rastätter.

In einem anderen Fall läuft eine Klage, weil ein Mieter für seine 65-Quadratmeter-Wohnung in der Nähe der Münchner Freiheit 1450 Euro kalt bezahlte, etwa 344 Euro zu viel. Laut Rastätter "ein typischer Fall". Viele Vermieter dächten, in Schwabing könnten sie alles verlangen. "Und die Leute unterschreiben auch alles."

Einfach unterschrieben hatte zunächst auch David Günter für seine Wohnung in Hadern. Einen Tag nach seiner Mail an die Vermieterin bekommt er eine knappe Antwort: "Ich bin nicht bereit, über den Mietpreis zu verhandeln." Am 1. Juni flattert Günter ein Brief ins Haus. "Gegenstand ist zum einen Ihre angekündigte Mietminderung und zum anderen vermehrte Klagen der Hausbewohner über die von Ihnen verursachten häuslichen Ruhestörungen", schreibt die Rechtsanwältin der Vermieterin. "Mietwucher, auf den Sie anspielen, liegt nicht vor."

Abmahnung, Kündigung, Haftstrafe: Was noch alles?

Von Mietwucher jedoch hatte Günter nie gesprochen. "Sollte Ihnen die Miete zu hoch sein, so stellt es Ihnen mein Mandant frei, so bald als möglich auszuziehen." Dann geht es zur Sache: "Sollten weiterhin Beschwerden über zu lauten Sex aus Ihrer Wohnung zu vernehmen sein, so werde ich meinem Mandanten sämtliche rechtlichen Möglichkeiten anraten, wie Abmahnung, Kündigung und Unterlassungsgeld samt Ordnungsgeld und Haftstrafe." Der Brief schließt wie folgt: "Da mein Mandant allerdings nach wie vor an einem rücksichtsvollen und friedlichen Mietverhältnis interessiert ist, geht er davon aus, dass Sie sich in Zukunft leise verhalten und die volle Miete bezahlen werden."

Abmahnung, Kündigung, Haftstrafe. Günter fühlt sich, als befände er sich im falschen Film. Am 3. Juni schreibt die Vermieterin ihm, die Mietpreisbremse gelte nicht, da sie vor seinem Einzug sehr viel Geld in die Modernisierung gesteckt habe. Und plötzlich zaubert sie die längst erledigten Anschuldigungen hervor: "Nicht erledigt hat sich die Ruhestörungsproblematik."

David Günter tritt in den Mieterverein ein. Dort errechnet ein Jurist, dass Günter 121,89 Euro zu viel im Monat bezahle. Unterdessen verteilt die Vermieterin Lärmprotokolle an die Nachbarn im Haus. Nahezu wöchentlich leitet ihre Anwältin nun die Beschwerden zweier Nachbarn an Günter weiter. Von Möbelrücken ist die Rede, lauter Musik, Stöckelschuhen und Lärm beim Beischlaf. Ein weiterer Nachbar aus dem Haus gegenüber wird aktiv; Günter parke immer wieder seine Einfahrt zu, behauptet er. Im Übrigen könne die Vermieterin sogar 950 Euro kalt verlangen, rechnet ihre Anwältin vor - wegen der umfassenden Modernisierung vor dem Einzug.

Ob die neuerlichen Lärmvorwürfe etwas mit Günters Beharren auf der Mietpreisbremse zu tun gehabt habe? Auf Nachfrage verneint die Vermieterin am Telefon. "Es gibt einfach Leute, die stören." Ihr Mieter habe "keine Ruhe geben" wollen. Und: "Eine 45-Quadratmeter-Wohnung kostet in München halt 750 Euro." Dass es auffällig ist, wie sie die alten Anschuldigungen Monate später hervorgekramt hat, dazu will sie nichts sagen - und legt auf.

Am 5. Oktober wird David Günter wegen angeblicher Ruhestörung abgemahnt. Bei der Polizei erstattet er Anzeige wegen Verleumdung gegen seine Vermieterin, zwei Nachbarn und den Vermieter des Nachbarn. Am 12. Oktober wird ihm der Mietvertrag gekündigt: fristlos, "hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin". Der Mieterverein vertritt ihn zu dem Zeitpunkt nicht mehr, weil die Nachbarin, die ihn der Lärmbelästigung bezichtigte, ebenfalls Mitglied im Verein ist und somit Interessen kollidieren.

Tobias Vollmar, der Günter als Jurist beim Mieterverein beraten hat, sagt: "Es wäre auch für uns interessant gewesen zu sehen, wie der Fall vor Gericht ausgegangen wäre. Die spannende Frage ist: Was muss ein Vermieter vor der Vermietung getan haben, um aus der Mietpreisbremse rauszukommen?" Welche Umbauten hätte die Vermieterin als Modernisierung anrechnen können? "Überspitzt gefragt, gehört ein goldener Wasserhahn zur Sanierung, oder nur ein Wasserhahn?"

Wie der Fall vor Gericht ausgegangen wäre, das weiß man nicht, weil er gar nicht erst dort gelandet ist. Einen Anwalt hat sich David Günter nicht leisten wollen. Er hat eine neue Wohnung in einem anderen Stadtteil gefunden, zum Jahreswechsel ist er umgezogen. Er habe sich den Verleumdungen nicht weiter aussetzen wollen, sagt er. Seine neue Miete sei vernünftig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: