Immobilien:Wer Neubauten verhindert, sollte notfalls enteignet werden

Wohnungsbau

Auf einer Baustelle eines Neubauviertels in Dresden: Der Zuzug in den Boomregionen ist nur zu bewältigen, wenn Einheimischen auf die Pelle gerückt wird.

(Foto: dpa)

Eigentum verpflichtet, sagt das Grundgesetz. Wenn Einzelne verhindern, dass Tausende wohnen können, muss der Staat deshalb Härte zeigen.

Kommentar von Nina Bovensiepen

In deutschen Großstädten tobt ein Häuserkampf. Kein Häuserkampf, wie er in den Siebzigerjahren etwa in Hamburg und Frankfurt mit Besetzungen und Straßenschlachten geführt wurde, sondern eine neue Art von Kampf ums Wohnen, der sich in München, Berlin, Hamburg und anderswo noch dramatisch zuspitzen wird.

Auf der einen Seite stehen jene Glücklichen, die Immobilien oder Grundstücke in einer der Städte mit überhitztem Wohnungsmarkt ihr eigen nennen. Auf der anderen Seite sind jene, die ebendort ein Heim suchen. Dazwischen befinden sich die Kommunalpolitiker, die einen enormen Zuzug in den Boomregionen meistern müssen. Der ist nur zu bewältigen, wenn Einheimischen auf die Pelle gerückt wird. Konkret heißt das: Es wird mehr Hochhäuser geben; manchen Eigenheimbesitzern wird ihr schöner Blick verbaut; Parkplätze oder Straßen werden in Wohnraum umgewidmet, damit hunderttausende Zuzügler ein Heim finden.

Derzeit wird in den Großstädten darum gerungen, wie hart der Staat den Häuserkampf führen soll. Dürfen Grundstücksbesitzer im Extremfall enteignet werden, um Neubauten zu ermöglichen? Die Antwort darauf mag viele empören, aber sie lautet: ja. Und sie entspricht dem Geist des Grundgesetzes, in dem steht: "Eigentum verpflichtet." Wenn Einzelne ihre Interessen über das Wohl der Allgemeinheit stellen, wenn ein paar Dutzend Menschen sich querlegen und verhindern, dass Tausende wohnen können, dann verstoßen sie gegen diesen Grundsatz.

Auch in München wird über diese Frage zurzeit hitzig debattiert. In einem Streit über ein Neubaugebiet ist die Kommunalpolitik von dem Instrument mit dem sperrigen Namen "städtebauliche Entwicklungsmaßnahme", das Enteignungen ermöglicht, wieder abgerückt. SPD und CSU waren sich uneins, zu heftig waren die Proteste. Andere Städte sind konsequenter.

Beispielhaft ist das Wohngebiet Riedberg, das Frankfurt einst mit einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme vorangetrieben hat. Inzwischen leben dort mehr als 10 000 Menschen. Hamburg prüft dieses Instrument für die "Mitte Altona", auch andernorts denken Kommunen darüber nach. Und das mit Recht. In Paragraf 165 Baugesetzbuch ist die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme verankert, die es Gemeinden erlaubt, Grundstückseigentümer zu enteignen. Oft kam es zu Protesten, wenn dieses härteste baurechtliche Instrument angewandt wurde und Enteignungen drohten - umgesetzt wurden sie nur in Einzelfällen.

Den Widerstand müssen Politiker aushalten. In München können sie sich auf die Bayerische Verfassung stützen, in der steht: "Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Missbräuche sind abzustellen." Ein Paragraf, der angesichts des Milliarden-Monopolys auf dem Immobilienmarkt geradezu paradox wirkt. Ob Hamburg, Berlin oder München: Es gibt schon lange keine Käufermärkte mehr, für Normalverdiener ist ein Haus oder eine Wohnung schlicht nicht mehr erschwinglich. Stattdessen haben sich Investoren und Spekulanten dumm und dämlich verdient. Nun beginnen sogar sie zu jammern, weil kaum noch Objekte zu haben sind. Und wenn, dann nur zu absurd hohen Preisen.

Wer daran etwas ändern will, der muss die Ursachen bekämpfen, und das sind vor allem die ungeheuer gestiegenen Bodenpreise. Der frühere Münchner Oberbürgermeister und einstige Bundesbauminister Hans-Jochen Vogel hat errechnet, dass sich Bauland in München in der Zeit von 1950 bis 2015 um 34 263 Prozent verteuert hat. Eine unfassbare Wertsteigerung, an der einige verdient haben - und die dazu führt, dass viele Menschen wegziehen und dass Fachkräfte nicht mehr zuziehen, weil sie sich das Wohnen nicht leisten können. Daher ist es richtig, wenn Kommunen in Neubaugebieten mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme auch dafür sorgen, dass Bodenpreise zeitweise eingefroren werden.

Mindestens so wichtig wäre es, dass sich die Parteien auf Bundesebene an eine Reform des Bodenrechts machen. Die Grundstückspreise mögen in deutschen Städten in die Höhe geschossen sein - im Vergleich zu internationalen Metropolen ist das Niveau noch niedrig. Umso mehr drängt die Zeit. Fast 50 Jahre ist es her, dass die Parteien schon einmal über strengere Gesetze rangen, um die sich immer weiter öffnende soziale Kluft zu schließen. Es wurde über eine Bodengewinnsteuer diskutiert, darüber, Planungsgewinne besser abschöpfen zu können, Modernisierungen strenger zu reglementieren, die Vorkaufsrechte von Kommunen zu stärken. Ein großer Wurf scheiterte damals. Inzwischen wurde an manchen Stellschrauben gedreht. Aber viel zu lasch, wie das Beispiel der Mietpreisbremse zeigt. Die Rechnung zahlen jene Menschen, für die Wohnen Luxus geworden ist.

Städte wie München, Berlin und Hamburg wachsen trotzdem weiter. Und der Häuserkampf wird immer schärfer geführt werden.

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