Wohnen:Brisante Beziehung

Ein Hauseigentümer in der Maxvorstadt kündigt die Sanierung eines Mietshauses an, doch er hat den Neubau-Antrag bereits gestellt. Die Mieter fürchten: Ihre Staffelmietverträge begünstigen die Abriss-Pläne

Von Stefan Mühleisen

Die Mieter in dieser Stadt, sie leben inzwischen immer häufiger mit der Angst, dass ihr Haus verkauft wird. Der Eigentümerwechsel ist für die Bewohner oft eine gefürchtete Unheilsbotschaft. Denn sie hören immer wieder von Immobilienfirmen, die Gebäude kaufen, Modernisierungen ankündigen, Mieten erhöhen - vorher aber dennoch alles daran setzen, das Haus wegzureißen, um noch mehr Reibach zu machen. Genau das unterstellen die Mieter von Vorder- und Rückgebäude an der Schleißheimer Straße 90 ihrem neuen Vermieter, der Grundstücksverwaltung HAG GmbH & Co. KG mit Sitz in München. Die Firma hat den Mietern die Modernisierung der Gebäude annonciert - doch wie jetzt herauskommt, hat sie bereits einen Bauantrag für den "Neubau eines Wohngebäudes mit Tiefgarage" bei der Stadt gestellt, wie ein Behördensprecher bestätigt.

Die Angst, das Zuhause zu verlieren, ist inzwischen Teil des Münchner Lebensgefühls. Laufend wechseln Mietshäuser den Eigentümer - und die Bewohner bangen, was die neuen Hausherren vorhaben. Aus Sicht von Investoren ist es dabei lukrativ, ein sanierungsbedürftiges Gebäude niederzureißen: Neubauwohnungen können verkauft oder horrende Mietpreise verlangt werden. Der Fall an der Schleißheimer Straße 90 wirft ein Schlaglicht auf eine Besonderheit im Mietrecht, aufgrund dessen der Abriss-Plan wohl legal, obendrein ohne Abfindungen durchgezogen werden könnte: den Staffelmietvertrag.

München: Schleissheimer Strasse 90 / Ent-Mietung

Lorenz versichert: "Wir wollen niemanden hinters Licht führen und niemandem kündigen."

(Foto: Johannes Simon)

Die Mieter erhielten Ende September ein Schreiben der HAG, einer hundertprozentigen Tochter der Münchner Immobilien-Holding Ariston Real Estate AG, der laut Portfolio Gewerbegebäude in Bonn, Bremen, Freising, Ansbach und der Stadt Brandenburg gehören. Die HAG hatte das Grundstück mit Vorder- und Rückgebäude von einer Erbengemeinschaft gekauft und teilte den Mietern mit: Es sei geplant, die Gebäude Mitte 2018 zu sanieren. "Ich war geschockt. Doch dann haben die per E-Mail eine Ersatzwohnung für die Dauer der Arbeiten in Aussicht gestellt", erinnert sich ein Mieter an seine Zuversicht, dass alles so schlimm wohl nicht werden wird.

Ein paar Wochen später folgt der nächste Schock. Diesmal ist es ein Brief von Britta Gürtler, für die CSU im Bezirksausschuss (BA) Maxvorstadt. Die Politikerin informiert die Hausgemeinschaft, dass die HAG einen Bauantrag für einen Neubau bei der Stadt eingereicht habe. In der Sitzung des Lokalgremiums berichtet sie von den Plänen, die auch eine zweigeschossige Tiefgarage vorsähen. "Mit Schrecken", so schreibt sie in einer Pressemitteilung, habe sie festgestellt, "dass die Wohnungen nahezu vollständig vermietet sind".

München: Schleissheimer Strasse 90 / Ent-Mietung

Vorder- und Rückgebäude an der Schleißheimer Straße 90 sollen sehr marode sein.

(Foto: Johannes Simon)

Bei der Sitzung ist auch Hans-Dieter Lorenz dabei, Vorstand der Ariston Real Estate AG, zugleich Geschäftsführer der HAG. Er gibt sich bei der BA-Sitzung nicht zu erkennen, wie er im Gespräch mit der SZ einräumt, schreibt aber einen Brief an Gürtler. "Weder die Ariston noch eine ihrer Tochtergesellschaften ist Bauträger, sondern wir halten einige Immobilien langfristig im Bestand und sind reine Vermieter", heißt es darin. Lorenz distanziert sich von Gürtlers "Zungenschlag", hier seien "böse Kapitalisten am Werk". Der Bauantrag sei "vorsorglich" gestellt worden, da der Sanierungsbedarf noch nicht feststehe und nicht klar sei, welche Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden könnten. Im Gespräch mit der SZ versichert Lorenz: "Unser Ziel ist die Sanierung." Den Bauantrag nennt er eine "prophylaktische Maßnahme".

Die Gebäude wurden nach seinen Angaben Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut. Es gibt 25 Wohneinheiten; 40 Prozent stünden leer. Dabei lägen die Mieten, vereinbart noch mit dem Voreigentümer, bei 13 bis 15 Euro pro Quadratmeter. "Angesichts des Sanierungsstaus ist das sehr hoch", sagt Lorenz und bezeichnet den Zustand der Gebäude so: "Da ist alles marode." Es gebe teilweise keine Bäder und keine Toiletten in den Wohnungen; dafür Etagenklos, undichte Fenster, veraltete Heizungs- und Elektroanlagen. "Wir bemühen uns um Einvernehmen mit den Mietern. Und wir wollen niemand hinters Licht führen und niemandem kündigen."

Hans-Dieter Lorenz dabei, Vorstand der Ariston Real Estate AG und Geschäftsführer der  Grundstücksverwaltung HAG GmbH & Co. KG,  Eigentümer des Grundstücks Schleißheimer Straße 90 DARF NUR EINSPALTIG GEDRUCKT WERDEN; MIT ARISTON SO VEREINBART

Entschiedenes Dementi: Hans-Dieter Lorenz, Chef der Eigentümer-Firma, bezeichnet den Bauantrag als "prophylaktische Maßnahme", da der Sanierungsbedarf noch nicht feststehe.

(Foto: Aiston Real Estate AG)

Die Münchner Mieterverein mag ihm das derzeit nicht glauben. Der Bauantrag gilt der Organisation als Indiz, in Wahrheit andere Ziele zu verfolgen. Denn nach SZ-Informationen haben einige Bewohner mit der Erbengemeinschaft geltende Staffelmietverträge abgeschlossen. Dabei erhöht sich die Miete automatisch in regelmäßigen Abständen. Der Knackpunkt: Bei diesen Verträgen ist es dem Vermieter gesetzlich untersagt, die Kosten von Modernisierungen auf die Mieter umzulegen, also die Mieten zu erhöhen.

Doch das Bürgerliche Gesetzbuch gewährt dem Eigentümer auch eine "angemessene wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks". Wenn es übermäßig kostspielig ist, ein Haus zu sanieren, darf den Mietern ordentlich gekündigt werden, da "der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses (...) erhebliche Nachteile erleiden würde", heißt es unter Paragraf 573, Absatz 3. Das, sagt Tina Angerer vom Mieterverein, sei zwar aufwendig zu belegen, aber ein legaler Weg, wenn ein Vermieter die Mieter heraushaben und einen Neubau errichten wolle. Angerer will die HAG indes nicht bezichtigen, dies im Sinn zu haben. "Aber einen Zusammenhang zwischen Staffelmiete und Bauantrag kann man ableiten."

Lorenz hingegen weist das zurück. "Wir haben nicht mal im Ansatz über so etwas nachgedacht, und ich glaube auch nicht, dass das Erfolg haben könnte."

Dennoch: Die Mieter denken durchaus über diesen Aspekt nach; sie haben derart Angst vor dem Rauswurf, dass keiner seinen Namen nennen will. Auch im denkmalgeschützten Nachbarhaus ist man alarmiert. Die Bauwerke sind durch eine "Kommunwand" verbunden, eine Mauer, die Teil beider Gebäude ist. Womöglich kommt es am Mittwoch, 29. November, im Bürgerbüro, Schellingstraße 28a, zur Aussprache, wenn sich der BA-Unterausschuss (Beginn: 19.30 Uhr) der Sache widmet. Laut Hans-Dieter Lorenz soll auch ein Ariston-Mitarbeiter teilnehmen.

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