Woher die Schlager-Hits kommen:Der unbekannte Mr. Evergreen

Komponist Christian Bruhn, 2004

Komponist Christian Bruhn in seinem Haus in München.

(Foto: Rumpf)

Achtung Ohrwurm-Gefahr: Jeder kennt Hits wie "Marmor, Stein und Eisen bricht" oder "Zwei kleine Italiener". Doch kaum jemand weiß, wer Christian Bruhn ist. Dabei hat er mehr als 2000 Melodien komponiert.

Von Barbara Hordych

Wenn Christian Bruhn einen seiner berühmtesten Hits hören will, muss er nur einen kurzen Weg von seiner Sollner Jugendstil-Villa zur Isar zurücklegen. Sind dort im Sommer die Flöße unterwegs, wird regelmäßig die von Drafi Deutscher 1965 gesungene Rock-Hymne "Marmor, Stein und Eisen bricht" angestimmt - bereits 1966 hatte sich der von ihm geschriebene Song weltweit mehr als eine Million Mal verkauft. Auch wenn Bruhn zur Wiesnzeit ein Festzelt betritt, dauert es nur einige Minuten, bis er eine seiner Kompositionen hört. Etwa "Ein bisschen Spaß muss sein" (Roberto Blanco) oder "Zwei kleine Italiener" (Conny Froboess). "Ich bin halt ein Melodiker, und Kapellen brauchen Melodien", erklärt Bruhn das Erfolgsrezept seiner Evergreens.

Ganzen Generationen hat der heute 78-Jährige mit seinen Serienmusiken von "Hey Wickie" über "Heidi" bis hin zu "Captain Future" den Soundtrack ihrer Jugend geliefert. Trotzdem ist der Schöpfer dieser Melodien - im Gegensatz zu seinen Werken - den wenigsten bekannt.

Das liegt auch daran, dass es den zurückhaltend auftretenden Wahlmünchner anders als beispielsweise seinen guten Komponisten-Freund Ralph Siegel nicht in die Öffentlichkeit drängt. "Ich habe auch keinen festen Tisch im Tantris, sondern nur einen bei einem Italiener ganz in der Nähe", sagt Bruhn. Er genießt es, das für ihn Lebenswichtige nahe beieinanderzuhaben:

In dem großräumigen Wohnzimmer, das den Blick auf den von außen nicht einsehbaren Garten freigibt, steht ein Flügel. Bücherregale und Bilder bedecken die Wand bis zur Decke, Bücher sind auch neben der Ledercouch auf dem Boden gestapelt - der Komponist liebt nicht nur Musik, er ist auch ein begeisterter Leser und Zeichner.

Malerlehre und Musikhochschule

Bruhn absolvierte vor seinem Musikhochschulstudium auf Ratschlag der Eltern eine Malerlehre. "Wie im Märchen, der Prinz muss auch ein Handwerk erlernen", witzelt Bruhn, der aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie stammt - und erklärt, genau diesen Lehrjahren seine Bodenständigkeit zu verdanken.

Durchquert man den Garten, ist man auch schon in einem kleinen Studio, das mit Synthesizer und Computern ausgestattet ist. "Ein Komponist hört nie auf, Musik zu machen", sagt er und zeigt auf einen Klavierauszug zu dem Musical "Heidi kehrt zurück", an dem er in den vergangenen Monaten gearbeitet hat.

1957 kam er nach seinem Musikstudium - sein Professor attestierte ihm bereits damals eine besondere Begabung für die "kleine Form" - von Hamburg nach München. Sein Geld verdiente er nächtens als Jazzmusiker in Kneipen wie der "Nachteule" oder bei der Schwabinger Institution "Gisela", die er bisweilen auch bei ihrem Lied vom "Nowak" am Klavier begleitete; tagsüber arbeitete er als Arrangeur und Musikproducer bei der Schallplattenfabrik "Tempo".

Auftritt vom "Schnulzenhuber"

Schlager wurden damals in den Bars und Nightclubs immer gespielt, jedoch ausschließlich amerikanische. "Schon in unserer Jazz-Combo in den 50er Jahren galt ich als der 'Schnulzenhuber', weil ich in den Pausen dem Publikum auch Wünsche nach Stücken erfüllte, die nicht im Repertoire der Band waren", erinnert sich Bruhn. Eine Sehnsucht, die er am Klavier mit langsamen Walzern stillte.

Beim Luxemburger Schlagerfestival lernte er 1959 den Berliner Verleger Peter Meisel kennen, es ergab sich eine enge Zusammenarbeit, die beiden gründeten die Hansa-Musikproduktion und wurden in den folgenden Jahren das erfolgreichste deutsche unabhängige Produzenten-Team.

Der große Erfolg kam, als Conny Froboess mit den "Kleinen Italienern" 1962 die Deutschen Schlagerfestspiele in Baden-Baden gewann. Ein Hit, der 1,3 Millionen Mal verkauft wurde - "was natürlich meinen absoluten Durchbruch als Pop-Komponist bedeutete", sagt Bruhn.

Eine Villa für den "Kleinen Italiener"

1963 konnte er wegen dieses Erfolgs seine Villa in Solln erwerben. Und glaubte, so die Befürchtungen seines Vaters, "dass aus mir nie etwas werden würde", endlich widerlegt zu haben. "Ist es das Hässliche mit der betonverstärkten Dachgaube?", kommentierte dieser allerdings den Hauskauf seines damals 28-jährigen Sohnes.

"Ich habe einen breiten Rücken", sagt Bruhn heute. Das habe ihm geholfen, nicht nur "dieses schwierige Vater-Sohn-Verhältnis zu ertragen", sondern auch mit den Vorurteilen "gewisser gebildeter Stände" fertig zu werden. Denn die reagierten auf das deutsche Schlagerlied oft genug mit "Naserümpfen" und "Verachtung".

Nur die Deutschen lieben ihre Schlager nicht

Eine Geringschätzung, der Bruhn immer wieder begegnete. Schon in seinem Elternhaus "liebte man Schlager eher verstohlen, oder eben nach einem Glas guten Wein", erinnert er sich. Für symptomatisch hält er das verkrampfte Verhältnis der Deutschen zum Schlager - und wenn er über dieses Thema spricht, kann er dann doch seine Zurückhaltung aufgeben und vehementer werden: "In jedem anderen Land liebt man die unterhaltende Musik, sie gehört für 95 Prozent der Menschen zum täglichen Leben dazu", meint er.

Die Franzosen lieben ihre Chansons, die Italiener ihre Cantautori, und die Griechen halten seine von Mireille Mathieu 1971 interpretierte Songschöpfung "Akropolis, Adieu" sogar für ein griechisches Volkslied. Im Übrigen verantwortete Bruhn zehn Jahre lang für Mathieu als Komponist und musikalisches Gewissen deren deutschsprachige Erfolge.

Auch theoretisch, als Honorarprofessor für Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts an der Musikhochschule Nürnberg und Augsburg, hat er seit 2002 jahrelang versucht, den Deutschen ihren ungeliebten Schlager näher zu bringen. Dessen Reiz liegt für ihn in dem "meist sehr bewusst hergestellten Gemisch von Einfachem und Laszivem, von Melodie und Rhythmus".

Dabei illustriert er den Studenten sein Credo, "je länger die Halbwertzeit, desto besser der Schlager" anhand vieler Beispiele: Ausgehend von der europäischen Operettenmusik spannt er den Bogen über den komischen Schlager der 20er Jahre und die "beschnittene" Unterhaltungsmusik des Dritten Reiches bis hin zu den amerikanischen Standards, der von ihm verehrten "Großen Fünf": Jerome Kern, George Gershwin, Irving Berlin, Richard Rodgers und Cole Porter.

"Ich hoffe, ihre Toleranz für alle Sparten der Musik vergrößert zu haben", wünscht sich Bruhn, der sich zudem 28 Jahre lang, bis 2009, als Gema-Aufsichtsratsmitglied und später Aufsichtsratsvorsitzender gleichermaßen für die Belange der U- und der "seriöseren" E-Musik einsetzte.

Zwei prominente Ehefrauen

Verheiratet war er mit gleich zwei prominenten Protagonistinnen des deutschen Schlagers: Katja Ebstein, die 1974 mit seiner Komposition "Wunder gibt es immer wieder" den dritten Platz beim Grand Prix Eurovision de la Chanson gewann, war seine dritte Ehefrau. 25 Jahre lang war er mit seiner vierten Ehefrau verheiratet: Erika vom Volksmusik-Duo "Gitti & Erika" - die von ihm komponierten und von ihr interpretierten "Heidi"-Jodler stimmten eine ganze Kindergeneration auf die gleichnamige Trickfilmserie ein.

"Natürlich hat es seine Gründe, dass Filmregisseure oft Schauspielerinnen heiraten oder Komponisten ihre Sängerinnen", sagt Bruhn. "Man arbeitet in der gleichen Branche und versteht einander." Freilich kann eine solche Konstellation wegen der vielen beruflich bedingten Trennungen aber auch wieder scheitern. Seine fünfte Frau hat nichts mit der Musikbranche zu tun - sie ist Ärztin.

Dass ihm so vieles gleichzeitig Spaß bereitet in der Musikbranche, "macht die Menschen oft fassungslos", sagt Bruhn: Unter den rund 2000 von ihm komponierten Melodien sind Schlager, Vertonungen von Heinrich Heine-Gedichten, Serienmusiken sowie an die hundert Werbe-Jingles, von Bausparkassen bis Waschmitteln.

Wenn Bruhn eine seiner erfolgreichen Kompositionen hören will, muss er einfach abends den Fernseher anmachen: Noch immer erklingt dort seine Melodie über die "zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: