Wirtschaftsflüchtlinge aus Italien:Gehirne auf der Flucht

Giovanni Pagliuca auf dem Marienplatz.

Einsam auf dem Marienplatz: Giovanni Pagliuca streift meist allein durch die Straßen von München.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen soll": Weil sie daheim unter den Folgen der Wirtschaftskrise leiden, ziehen immer mehr junge Italiener wie Giovanni Pagliuca nach München. Die meisten sind gut ausgebildet, haben es aber schwer, hier Anschluss zu finden.

Von Elisa Britzelmeier

Giovanni Pagliuca weiß, dass er in München einen Espresso bestellen muss, wenn er einen Caffè möchte. Als ihn der Kellner dann aber fragt, ob er sofort zahlen möchte, zuckt er hilflos mit den Schultern - dafür reicht sein Deutsch dann doch nicht aus. Pagliuca lebt seit Januar in Deutschland, der 30-jährige Bauingenieur ist aus seiner Heimatstadt Frosinone geflohen, 90 Kilometer von Rom entfernt. "Ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen soll", sagt er.

Damit ist er nicht allein: Von den 22.988 Italienern, die in München ihren Hauptwohnsitz haben, sind mehr als 1000 im Jahr 2012 an die Isar gekommen, die meisten von ihnen zwischen 21 und 36 Jahren alt. Für die wenigsten ist der Umzug nach Deutschland die Verwirklichung eines Lebenstraumes. Die Jugendarbeitslosigkeit in Italien liegt bei über 30 Prozent.

Das Land, das schon vor der Wahl im Februar politisch instabil war, ist es seitdem erst recht. Viele junge Italiener haben Angst vor der Zukunft. Bleiben sie in ihrer Heimat, müssen sie oft ohne regulären Arbeitsvertrag auskommen und befürchten, dass sich ihre Arbeitgeber einfach nicht an ihre Lohnversprechen halten. Deutschland dagegen verspricht Planungssicherheit und geregelte Arbeitsverhältnisse.

Jobs gibt es genug in München, woran es hier aber mangelt, ist Verständnis für die Einwanderer. Viele Deutsche wüssten einfach nicht, was es heißt, in einem krisengeschüttelten Land zu leben, sagen die jungen Italiener. Dabei wollen sie nur als das wahrgenommen werden, was sie sind: als Wirtschaftsflüchtlinge.

Bauingenieur Pagliuca arbeitete viele Jahre bei demselben Unternehmen, doch als es dem schlechter ging, bekam er in den letzten sechs Monaten vor der Kündigung kein Geld mehr. "Wenn du einmal eine Arbeit hast, dann verlässt du die nicht so schnell", sagt er heute, "nicht in der Krise."

Als er noch bezahlt wurde, verdiente er 900 Euro im Monat und lebte bei seinen Eltern. "Wenn ich es mir mit 30 Jahren nicht einmal leisten kann, alleine zu wohnen, wann soll ich dann denn Kinder bekommen?", sagt Pagliuca. In München lebt er nun von seinen Ersparnissen, sucht einen Job und lernt die Sprache - mit Unterstützung von der Arbeitsagentur. "Ich habe Deutschland nie irgendetwas gegeben, nie hier Steuern bezahlt, aber der Staat hilft mir", sagt er. "Das überrascht mich sehr, in Italien wäre es andersherum."

Gerade vielen Akademikern in Italien erscheint Deutschland derzeit als ein wirtschaftliches Wunderland. Es sind vor allem Uni-Absolventen und Doktoranden, die hierher ziehen. Die meisten von ihnen haben nicht die Absicht, je wieder zurückzukehren. Im Italienischen hat sich der Ausdruck "cervelli in fuga" etabliert, "Gehirne auf der Flucht". Sie fliehen vor schlecht bezahlten Forscherjobs an der Universität, wo nach wie vor Beziehungen und nicht die eigenen Leistungen zählen.

"Deutschland bietet da eindeutig mehr", sagt der Student Enrico Ercolani, 29. Er will im April von Rom nach München ziehen, um dort seine Doktorarbeit fertig zu schreiben - und wenn möglich zu bleiben. "Es gibt keine Entwicklung in unserem Land", sagt er, "das politische System bevorzugt immer die Alten."

"Im Endeffekt bleibst du automatisch unter Italienern"

Giovanni Pagliuca hat sich für München entschieden, weil er eine relativ ruhige Großstadt suchte mit Grünflächen und geringer Kriminalität. Die Stadt hat ihn mit ihrer hohen Lebensqualität und einer funktionierenden Infrastruktur empfangen, aber vom viel zitierten Herz der "Weltstadt mit Herz" hat er bislang wenig mitbekommen. Anfangs streifte er ganz alleine durch die Stadt, mittlerweile hat er, immerhin, ein paar andere Italiener kennengelernt. "Ich weiß, dass das auch meine Schuld ist, weil ich die Sprache noch nicht spreche", sagt er. "Aber es unterhält sich auch niemand auf Englisch mit mir." Selbst wer fließend Deutsch spricht und bereits bei der Ankunft einen Job hat, erzählt von ähnlichen Problemen.

Angela Cancelliere ist 35 und schon seit drei Jahren in München, doch auch sie hat eigentlich keine deutschen Freunde. "Im Endeffekt bleibst du automatisch unter Italienern oder anderen Ausländern, wenn du nicht alleine bleiben willst." Oft fühlen sich die Zuwanderer nicht verstanden, oft auch von oben herab behandelt. "Wenn ich erzähle, dass ich Sizilianerin bin, höre ich als Erstes: ah, Mafia!", sagt Cancelliere. "Dabei sind sie wie Kinder, die nicht wissen, was ein Wort bedeutet. Mafia gehört da in den Dreiklang mit Sonne und Pizza. Dass bei mir zu Hause die Mafia eine Realität ist, unter der die Menschen leiden, ist vielen Deutschen nicht bewusst."

Ähnlich sieht es aus beim Thema Silvio Berlusconi. Viele junge Italiener haben das Gefühl, im Ausland für den Erfolg des "Cavaliere" geradestehen zu müssen. Als seine vehementesten Gegner haben die meisten von ihnen jedoch zu Hause oft genug gegen ihn demonstriert. Sie fordern für sich den Respekt ein, den sie Deutschland entgegenbringen.

Giovanni Pagliuca weiß noch nicht, ob er langfristig in Monaco di Baviera bleiben will - oder ob es ihn doch wieder zurück nach Italien zieht. Vielleicht würde es helfen, wenn er sich einen Tick willkommener fühlen würde in dieser für ihn so oft befremdlichen Welt, die er eigentlich ja als die bessere wahrnimmt.

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