Winter-Übung:Gerettet aus dem Eis

Die Zeit läuft, wenn bei diesen Temperaturen jemand auf einem See ins Eis einbricht. Wie Menschen aus der Kälte ins Leben zurückgeholt werden.

Birgit Lutz-Temsch

Das Licht ist so klar an diesem Wintermorgen, dass man die Kälte nicht nur spürt, sondern sie auch sieht. Der Langwieder See liegt in der Sonne, verschneit, vereist, Klein-Alaska neben der Stuttgarter Autobahn. Das denken sich auch drei Spaziergänger, die eine Abkürzung nehmen wollen, direkt über den gefrorenen See. Doch das Eis bricht. Die drei Männer sind gefangen. Und auch wenn das Ganze nur eine Übung ist: Die Münchner Berufsfeuerwehr rückt aus.

Die Temperaturen: Das Wasser ist zwei Grad kalt, die Lufttemperaturen liegen bei zehn Grad unter Null.

Die Überlebenschancen: Sind gering, wenn keine Hilfe kommt. "Es kann passieren, dass schon beim Sturz in das kalte Wasser der so genannte reflektorische Herzstillstand eintritt", sagt Notarzt Stefan Poloczek. "Ist das nicht der Fall, kann ein Mensch in diesem Wasser 15 bis 20 Minuten überleben."

Die Situation: Viel Zeit bleibt nicht. Wenn niemand das Einbrechen gesehen hat und Hilfe holen kann, sind die Männer verloren. "Sich selbst aus dem Eis zu ziehen, ist schwierig", sagt Poloczek, "weil man durch die nasse Kleidung schwer wird und das Eis immer weiter wegbricht." In diesem Fall am Langwieder See alarmiert ein Passant die Feuerwehr. "Das einzig Richtige: noch bevor man selbst etwas unternimmt, Rettungskräfte alarmieren", sagt Poloczek, "denn die wird man immer brauchen." Während der Wartenszeit geht einer der Eingebrochenen unter, verschwindet unter dem Eis.

Die Rettung, Teil I: Kommt in Form der Feuerwehr und des Notarztes. Angeleint geht ein erster Retter aufs Eis und versucht, die noch in dem Loch schwimmenden Eingebrochenen auf das so genannte Spineboard zu ziehen. Das misslingt. Zwei weitere Retter kommen mit dem Eisnotrettungsgerät hinterher, das Kufen hat und schwimmt, falls auch das Gerät einbricht. Mit diesem gelingt es, den ersten Mann auf die Oberfläche zu ziehen. Die Helfer an Land ziehen Gerät samt Retter und Unglücksopfer ans Ufer, wo der Notarzt wartet und den Mann versorgt.

Die Rettung, Teil II: Weil das Eis mehr und mehr bricht, wird der zweite Mann mit dem Hubschrauber gerettet. Von dem Christoph I des ADAC seilt sich ein Retter ab und befestigt den MAnn bei sich an der Seilwinde. Dann fliegt ihn der Hubschrauber ans Ufer.

Die Rettung, Teil III: Der dritte Mann ist unter dem Eis. Ein speziell ausgebildeter Taucher der Münchner Berufsfeuerwehr geht mit einer Suchlampe ins Wasser. Mit einem sieben Millimeter dicken Neoprenanzug. Er ist angeleint und steht in ständiger telefonischer Verbindung zu seinem Reservetaucher, der an der Oberfläche wartet. In fünf Metern Tiefe findet er den Mann und holt ihn nach oben. Mit dem Eisnottrettungsgerät wird er ans Ufer gebracht.

Die klinische Situation: Bei extrem niedrigen Wassertemperaturen tritt der Herzstillstand schneller ein als im Sommer bei warmem Wasser. Dafür hält die Wiederbelebungsfähigkeit länger an. Notarzt Poloczek erklärt, warum: "Je geringer die Körpertemperatur, umso geringer ist der Sauerstoffverbrauch im Körper. Mit jedem Grad, das die Körpertemperatur absinkt, nimmt der Bedarf um sieben bis acht Prozent ab. Zwischen 20 und 25 Grad kommt es zum Kreislaufstillstand. Der Patient kann aber sogar nach einer Stunde wieder belebt werden. Es gibt Fälle, in denen das gelungen ist und der Patient völlig wiederhergestellt wurde und keine Schäden davontrug. Grund ist der geringe Sauerstoffverbrauch bei der Kälte."

Die Wiederbelebung: Gelingt es einem Laien, einen im Eis eingebrochenen Menschen zu befreien, sollte man je nach Zustand des Geretteten reagieren, so Poloczek:

- Ist der Gerettete wach und ansprechbar, sollte man ihm so schnell wie möglich trockene, warme Kleidung geben. Der Gerettete soll sich außerdem bewegen, um warm zu werden.

- Ist der Gerettete bewusstlos, hat aber Herzschlag und Atmung, soll er in die stabile Seitenlage gebracht und gewärmt werden.

- Ist der Gerette bewusstlos und hat einen Herzstillstand, soll er so wenig wie möglich bewegt werden, um den so genannten Bergetod zu vermeiden. Dieser kann eintreten, wenn stark abgekühltes Blut aus der Peripherie des Körpers in den Rumpf und ins Herz gelangt. So schnell wie möglich mit der Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung beginnen - bis der Notarzt kommt und übernimmt.

Die Zahlen: Eisrettungen sind relativ selten: "Von den 35000 Einsätzen, die wir im Jahr fliegen, sind 10 oder 15 Eisrettungen", sagt Poloczek. "Meistens sind die Fälle aber umso spektakulärer, denn es handelt sich meistens um junge Menschen, die ins Eis einbrechen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: