Münchens Untergrund:Vergrabene Schätze

Der neue Luise-Kiesselbach-Tunnel bringt nicht nur praktischen Nutzen für staugeplagte Autofahrer. Er hat auch ästhetisch seine Reize. So wie viele Bauwerke, die in München ein Schattendasein unter der Oberfläche führen.

Von Alfred Dürr

Tief im Boden vergraben liegt im Münchner Südwesten dieses riesige, fast 400 Millionen Euro teure Bauwerk. Freie Fahrt heißt es in wenigen Tagen in dem modernen Straßentunnel. Man feiert die verkehrstechnischen Verbesserungen in dieser Gegend. Vor allem die Anwohner freuen sich über ruhigere und begrünte Straßen an der Oberfläche des Tunnels, die in den kommenden Jahren gestaltet wird. Aber kann man hier auch von einem architektonischen Ereignis sprechen?

Der Aufenthalt in der Röhre wird jedenfalls für viele Menschen buchstäblich zur neuen Erfahrung. Immer mehr Zeit, sagt der Münchner Architekt Otto Schultz-Brauns, "verbringen wir auf Flughäfen, Bahnhöfen und besonders auf der Straße: Sind aber alle diese Aufenthalte - nur mit dem Ziel Arbeit oder Urlaub im Auge - gänzlich verlorene Zeit oder auch Leben und Erlebnis?"

Die Architektur im Untergrund kann sich sehen lassen

Ein Verkehrsbauwerk muss demnach mehr bieten als betriebstechnisch einwandfrei zu funktionieren. Hunderttausende von Menschen bewegen sich täglich tief im Münchner Untergrund. Und was sie dort an Architektur erleben, kann sich sehen lassen. Das ist kein Luxusthema: In den Höhlen unter dem Pflaster der Stadt will man sich schließlich einigermaßen wohlfühlen.

Das Büro Schultz-Brauns hat an der Gestaltung des neuen Ringtunnels mitgewirkt, Funktionalität also gewissermaßen inszeniert. Lichtmasten und Begrenzungsgeländer als Architekturakzente an den Zu- und Ausfahrtsrampen, elegant wirkende Wandpaneele aus gelochtem Aluminium, farbig abgesetzte Fluchttüren - Otto Schultz-Brauns kann detailliert über optische Besonderheiten referieren. "Architektur schafft Atmosphäre", sagt er.

Das gelte für oberirdische Komplexe genauso wie für die Bauten ganz unten. Der Mensch als Maß der Dinge. Von Anfang an war das bei den Verantwortlichen des Münchner U-Bahnbaus die Richtschnur bei der Ausgestaltung der Bahnhöfe. Der Aufenthalt dort soll zumindest keine schlechte Stimmung verursachen, sondern gerade durch die künstlerische Ausgestaltung vielleicht sogar anregend wirken.

Aggressive Assoziationen sind tabu

Alles was düstere und beklemmende, vielleicht sogar aggressive Assoziationen in den Schächten weckt, ist für die Planer tabu. Die "Lebensräume" im Untergrund sind teilweise spektakuläre architektonische Attraktionen und öffentliche Räume, die wichtiger sind als manch viel diskutierte, aber wenig frequentierte Platzsituationen an der Oberfläche, wie dies Alt-Oberbürgermeister Christian Ude einmal formuliert hat.

Nicht selten ähneln die modernen U-Bahnhöfe denn auch eher avantgardistischen Museumsräumen als streng funktionalen Verkehrsbauten. Kein Wunder, dass ein Bereich des Streckensystems tatsächlich als Ausstellungsraum für große Kunst genutzt wird. Bei diesem "Kunstbau" des Lenbachhauses handelt es sich um eine schlichte, großzügig wirkende Halle im Zwischengeschoss der U-Bahn-Station Königsplatz. Beim Bau des Bahnhofs in den Neunzigerjahren war über den Gleisanlagen ein 110 Meter langer, 15 Meter breiter und leicht gekrümmter "Leerraum" entstanden.

Mit wenigen Stilmitteln (etwa der Zugangsrampe vom Zwischengeschoss aus, einem Auditorium für Film- und Videovorführungen, einem Schaufenster zum Bahnhofbauwerk) funktionierte der Münchner Architekt Uwe Kiessler die Halle um.

Architektonische Transformationen dieser Art im Untergrund sorgen für hohe Aufmerksamkeit. Auch ein reiner Zweckbau, wie die mächtige Säulenhalle des unterirdischen Regenrückhaltebeckens am Hirschgarten oder die Katakomben mancher Brauereien sind sehenswert. Straßentunnel aber gelten in der Regel nicht als urbane Architektur-Highlights. Wer würde auf die Idee kommen, ein so außergewöhnliches Projekt wie den Petueltunnel mit seinem Park auf der Oberfläche in die Liste der allseits bekannten Bauwerke einzureihen, die das besondere Flair Münchens ausmachen?

Eintauchen, durchfahren und zügig wieder raus

Solche Projekte, wie jetzt auch der in den Untergrund verlegte Mittlere Ring im Bereich der Garmischer Straße und des Luise-Kiesselbach-Platzes, sind hochkomplexe Gebilde, an denen Planer, Ingenieure und eben auch Architekten über Jahre hinweg arbeiteten. Eintauchen, durchfahren und möglichst zügig wieder an die Oberfläche - was wollen Autofahrer mehr? Vielleicht doch einen ungewöhnlichen Architektur-Eindruck?

In den Siebzigerjahren entstand unter dem historischen Prinz-Carl-Palais am Englischen Garten der Altstadtring-Tunnel. Gegen diese Straßenschneise, die ganz dem Motto einer autogerechten Stadt entsprach, regte sich massiver Widerstand in der Bevölkerung. Seit der Tunnel in Betrieb ist, gibt es berechtigte Debatten über eine stadträumliche Neuordnung in diesem Bereich. Die Trennung zwischen der Altstadt und dem Museumsquartier durch überdimensionierte breite Zu- und Ausfahrtsrampen soll aufgehoben werden.

Und dennoch: Wer durch den breiten Altstadtringtunnel mit seinen weiß gekachelten Wänden fährt, erlebt Straßen, die einen großzügig geschwungenen und speziellen Ort bilden. Aus Sicherheitsgründen soll bald in der Mitte eine Wand eingezogen werden. Die Raumwirkung ist weg, ein sehenswertes Bauwerk wird zur gewöhnlichen Unterführung.

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