Wiesn-Jobs im Test: Toboggan:Blamage am laufenden Band

Wiesn-Jobs im Test: Toboggan: Leicht angespannt: SZ-Autor Thierry Backes hilft einer Frau beim Toboggan-Fahren, Kollege Daniel Luchsbacher (rechts) sorgt dafür, dass den beiden nichts passiert.

Leicht angespannt: SZ-Autor Thierry Backes hilft einer Frau beim Toboggan-Fahren, Kollege Daniel Luchsbacher (rechts) sorgt dafür, dass den beiden nichts passiert.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hunderte johlende Wiesn-Besucher sehen jeden Tag zu, wie sich die Fahrgäste beim Toboggan zum Deppen machen. Einen Nachmittag lang hat unser Autor bei dem Traditionsgeschäft angeheuert. Alles läuft glatt, bis ein 100-Kilo-Mann auftaucht.

Von Thierry Backes

Gute Wiesn-Gschichten bleiben gut. Wir haben die schönsten Texte der vergangenen Jahre aus dem Archiv gekramt. Der folgende Artikel erschien erstmals am 25. September 2013.

Martin, 32, hat vielleicht eine Maß zu viel getrunken. Er wankt bedenklich, riecht nicht mehr ganz frisch, redet einen Tick zu laut - übermütig ist er nicht. Skeptisch schaut er auf das Förderband, das ihn nach oben bringen soll, dann winkt er ab und sagt: "I trau mi ned." Minutenlang steht er so da, schüttelt den Kopf, schnauft durch. Draußen applaudieren sie ihm Mut zu, und dann traut er sich doch. Martin nimmt zwei Schritte Anlauf, hüpft auf das Band, verliert das Gleichgewicht, fällt auf den Rücken, macht eine Rolle rückwärts, landet auf den Knien und fährt als Schildkröte nach oben.

Die Zuschauer johlen. Auch Daniel Luchsbacher tut sich schwer damit, ein Lächeln zu unterdrücken. Er trägt ein gelbes Poloshirt mit der Aufschrift "Toboggan Konrad" und hat den jungen Mann zu dem unfreiwilligen Stunt ermuntert. So, wie er jeden ermuntert, der vier Euro Eintritt für das Fahrgeschäft auf der Wiesn zahlt und auf seine Hilfe verzichtet: "Des schaffst scho!", hat er Martin ins Ohr geflüstert. "Schwung mitnehmen, nach vorne beugen, nicht am Geländer festhalten!" Drei Tipps, gut gemeint und doch nicht sonderlich hilfreich. Die Kunden blamieren sich reihenweise auf dem Toboggan. Doch das ist natürlich Teil des Konzeptes.

Der Toboggan gehört zu den traditionsreichsten Geschäften auf dem Oktoberfest. Seit 1933 steht er Jahr für Jahr auf der Theresienwiese, seit 1959 sogar ausschließlich hier. Er besteht aus einem 21 Meter hohen Turm mit einer knapp 40 Meter langen Rutsche aus Eschenholz, doch die eigentliche Attraktion ist das leicht aufsteigende, 10,6 Stundenkilometer schnelle Förderband, das jeder nutzen muss, der rutschen will.

Hunderte Wiesn-Besucher stehen jeden Tag vor dem Toboggan und schauen zu, wie andere sich zum Deppen machen. Manche machen sich dann selbst zum Deppen, weil sie in ihrer Bierlaune glauben, es besser zu können. Und auch ich laufe an diesem Nachmittag Gefahr, mich zum Deppen zu machen, indem ich versuche, andere davor zu bewahren.

Luchsbacher, 36, Ray-Ban-Sonnenbrille, Joko-Winterscheidt-Frisur, ist einer von zwölf Mitarbeitern beim Toboggan. Sein Job ist es, darauf zu achten, dass sich niemand verletzt. Luchsbacher fängt die ein, die auf dem Förderband zu sehr herumzappeln. Er packt die am Schlafittchen, die umzukippen drohen, und bringt die sicher hinauf, die das Gleichgewicht längst verloren haben und sich krampfhaft am Geländer festhalten. Vor allem aber zieht Luchsbacher all jene hoch, die nicht alleine fahren wollen: Kinder, Frauen und Männer, die den Respekt vor dem Band nicht versoffen haben. Dabei will ich ihm helfen.

"Es ist kein Hexenwerk"

Zweimal bin ich in den vergangenen Jahren mit dem Toboggan gefahren, zweimal habe ich mich zumindest nicht hingelegt. Reicht das als Qualifikation? "Es ist kein Hexenwerk, aber ein bisschen sportlich solltest du sein", sagt einer, der es wissen muss: Claus Rudolf Konrad, 45. Er führt das Unternehmen in vierter Generation, und was er mit sportlich meint, das sehe ich, als er nach unserem Telefonat vor mir steht: Konrad passt gerade so in sein Sweatshirt, so kräftig sind seine Oberarme. Nun gut, denke ich, er ist Bundeswehrsoldat und nimmt sich für die Wiesn extra frei - die ganzen Muskeln, das muss nichts heißen. Oder?

Wer beim Toboggan anheuert, bekommt ein rotes Hemd und arbeitet erst als Teppichträger. Bewährt man sich, bekommt man nach ein paar Jahren ein gelbes und wird zum Läufer, der die Fahrgäste befördert. So gesehen bringe ich hier die Hierarchie etwas durcheinander: Ich darf gleich als Läufer anfangen, aber was heißt hier gleich?

"Sicher stehen ist das A und O", sagt Luchsbacher, der mich anlernen soll. Also lässt er mich erst mal das Vorwärtsfahren üben. Zehn Mal, zwanzig Mal, bis ich nicht mehr auf das Förderband hüpfe wie ein Kunde, sondern geschmeidig aufsteige. Als ich das Band halbwegs souverän befahre und fast so lässig auf den Holzbrettern neben dem Förderband zurück zum Kassenhäuschen herunterrutsche wie die Kollegen, ruft er mich zu sich. "Okay, und jetzt rückwärts", sagt er. Genau da wird es kompliziert.

"Er war stets bemüht"

Läufer transportieren ihre Fahrgäste, indem sie ihnen eine Hand reichen und sie mit einem leichten Ruck aufs Band zerren. Dabei gehen sie in die Knie, lehnen sich weit nach hinten und lassen sich auf das Laufband gleiten, so, dass die Schuhsohlen quietschen.

In der ersten Stunde quietschen meine Chucks kein einziges Mal, mehr noch: Sobald ich mich nach hinten lehne, bekomme ich Panik und verliere das Gleichgewicht. Weiter als zwei, drei Meter schaffe ich es anfangs nie.

Wiesn-Jobs im Test: Toboggan: SZ-Journalist Thierry Backes (hinten) probiert sich als Toboggan-Mitarbeiter auf dem Oktoberfest.

SZ-Journalist Thierry Backes (hinten) probiert sich als Toboggan-Mitarbeiter auf dem Oktoberfest.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Also erst mal eine Pause vom Band. Ich stelle mich an den Eingang und mache den Klugscheißer: "Ist es gefährlich?", will einer wissen. "Den einen oder anderen blauen Fleck muss man schon in Kauf nehmen", antworte ich. Es sind die Wörter, die Chef Claus Rudolf Konrad mir mit auf den Weg gegeben hat. "Kannst Du mir ein paar Tipps geben?", fragt der nächste. "Aber gerne", antworte ich: "Nach vorne beugen, nicht festhalten, und mit viel Schwung rauf aufs Band." Eine Gruppe fahnentragende Italiener rückt an, ich probiere es mit meinem Schulenglisch: "Run in, lean forward, don't hold the rail."

Hilft natürlich nicht: Der Mensch neigt dazu, das gerade Gehörte sofort wieder zu vergessen, sobald er Toboggan fährt.

"Ich will mit dir fahren"

Nach einer Stunde und 35 Minuten vertraut Daniel Luchsbacher mir ein Kind an. In der Zwischenzeit habe ich geübt, doch ganz sicher stehe ich noch nicht auf meinen Füßen. Ich lehne mich nicht weit genug zurück, purzele deshalb fast auf den Kleinen; Luchsbacher muss ihn und mich von hinten anschieben, um die Katastrophe zu verhindern. Wenig später der nächste Schock: Ein 100-Kilo-Brocken droht hinzufallen, als ich gerade neben ihm stehe. Pflichtbewusst schiebe ich ihn an - und werde fast unter ihm begraben. "Du musst die Physik knallhart ausnutzen", sagt Kollege Luchsbacher, "mit aller Kraft gegen ihn stemmen."

Kasperl und Bierdimpfl zu transportieren, das erspare ich mir (und Ihnen) lieber. Aber das mit den Kindern, das habe ich irgendwann raus. Luisa, zehn Jahre alt, rosa Dirndl, Zahnspange, stellt sich an, nachdem ich gut drei Stunden gearbeitet habe und meine Gliedmaßen langsam träge werden. "Ich will mit dir fahren", sagt sie und meint: mich. Luchsbacher nickt mir zu, und irgendwie fühlt es sich so an, als ob ich jetzt einen vollbesetzten Passagierjet landen soll. Er fährt zwar wieder hinter ihr mit, zur Sicherheit, die Kleine ziehe ich aber ganz alleine hoch.

Luisa strahlt, weil ihr die Luft im Gesicht so viel Spaß macht, vielleicht aber auch, weil ich so strahle. Endlich habe ich es geschafft, einen Kunden alleine zu transportieren. Das Beste ist: Luisa steht ein paar Minuten später noch einmal an der Kasse. Und dann noch einmal. Und immer will sie mit mir fahren.

"Er war stets bemüht", schreiben die Kollegen mir später ins Zeugnis: "Für einen Quereinsteiger gar nicht mal so schlecht."

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