Wiesn-Jobs im Test: Rikschafahren:Strampeln im Schneckentempo

Wiesn-Jobs im Test: Rikschafahren: Falsches Outfit? SZ-Autorin Ingrid Fuchs (noch ohne Gäste) auf ihrer Rikscha am Marienplatz.

Falsches Outfit? SZ-Autorin Ingrid Fuchs (noch ohne Gäste) auf ihrer Rikscha am Marienplatz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"A woman, really?" Unter den Rikschafahrern, die neben dem Oktoberfest auf Kundschaft warten, sind nur wenige Frauen. Wir haben unsere Autorin losgeschickt - im Dirndl. Sie strampelte bis Dienstschluss, kutschierte knutschende Russen und wehrte die Avancen eines aufdringlichen Mexikaners ab.

Von Ingrid Fuchs

Gute Wiesn-Gschichten bleiben gut. Wir haben die schönsten Texte der vergangenen Jahre aus dem Archiv gekramt. Der folgende Artikel erschien erstmals am 30. September 2013.

Die Zweifel kommen mit dem zweiten Heiratsantrag. Es ist kurz nach sechs Uhr abends, als sich ein Mexikaner Anfang 20 auf die Rückbank meiner Rikscha fläzt. Über Jeans und T-Shirt trägt er ein verdrecktes weißes Kleid mit Blümchenmuster und meint: "Ich steige erst wieder aus, wenn du mich heiratest." Nach fünf Minuten Verhandlung rückt er von seiner Forderung ab - Zweitfreund zu sein, das würde ihm schon reichen. Eingestiegen ist er, um sich zum Hotel kutschieren zu lassen - ein Hotel, dessen Namen er allerdings vergessen hat. Angestrengt denkt er nach, dann streckt er triumphierend seine Hand aus, auf dem blauen Armband steht aber nur ein Wort: "Oktoberfest". Dass es dabei nicht um seine Unterkunft geht, das dringt nicht mehr zu ihm durch.

Ein windiger Typ schleicht wenig später um die Rikscha, ein Kanada-Fähnchen ragt aus seiner Bauchtasche, nervöse Blicke nach rechts und links. "Braucht ihr Drogen?", fragt er. "Kokain?" Der Mexikaner reagiert mit einer Mischung aus Lachkrampf und Empörung. "Ein Kanadier bietet einem Mexikaner Drogen an? Versuche ich etwa, dir Wasser zu verkaufen?" Er vergisst das mit der Hochzeit und torkelt zum nächsten Taxi.

Seit zweieinhalb Stunden probiere ich mich nun schon als Rikschafahrerin auf dem Oktoberfest. Der Fahrradverleih "Pedalhelden" hat mir ein ganz neues Modell zur Verfügung gestellt: grün-weiß und kratzerfrei ist es, mit stufenloser Schaltung und wohl auch ein bisschen leichter als die üblichen 80 Kilogramm. Erst will mir Geschäftsführer Dominic Staat die Rikscha nur für zwei bis drei Stunden leihen. Doch er unterschätzt meinen Ehrgeiz - und meinen Stolz. Schließlich schaffe ich es auf Anhieb, eine saubere Acht mit der Rikscha zu fahren. Und Muskelkater in den Beinen? Hatte ich schon lange nicht mehr. Also darf ich die Rikscha behalten, bis ich nicht mehr kann - oder nicht mehr mag.

Begegnungen wie die mit dem Mexikaner verkürzen die Wartezeit bis zum nächsten Fahrgast. Sie lassen mich aber auch zweifeln, ob ein Dirndl das richtige Outfit für eine Rikschafahrerin ist, womöglich lockt es nur die Falschen an. Um mich herum stehen hauptsächlich junge Männer, die praktische Kleidung tragen: sportliche Hosen, festes Schuhwerk, obenrum das Zwiebelprinzip. Nur drei oder vier Frauen warten mit in der Schlange, keine trägt Tracht. Damit ist mein Anfängerstatus schon rein optisch zementiert.

Vielleicht fällt das auch den Kunden auf. Meine magere Ausbeute bisher: zwei Fahrten. Dutzende Fahrrad-Taxis drängen sich auf dem Hauptstandplatz zwischen Paulskirche und Bavariaring. Das Geschäft läuft zäh an diesem Tag, nicht nur für mich. Schon das erste Wiesn-Wochenende sei nicht gut gelaufen, erzählen die Kollegen. Woran das liegt? "Vergangenes Jahr durften wir noch beim Haupteingang in der Schlange stehen, hier sieht uns fast keiner", sagt einer.

Deshalb geht er in die Offensive. "Sitzplatz gefällig?", ruft er zwei aufgebrezelten jungen Frauen zu, gleichzeitig lässt er sich auf ein Knie sinken und deutet mit einladender Geste auf eine Rikscha. Kichernd ziehen die beiden weiter Richtung U-Bahn. Dann doch noch eine Kundin: Eine Frau im schicken Dirndl bleibt vor einer Rikscha stehen und will zur Schwanthalerstraße gefahren werden. "Sie wissen schon, dass die gleich ums Eck ist, gell?", fragt der auserwählte Fahrer. Weiß sie, da stehe auch ihr Auto, sagt die Frau und schaut nach unten. Ihre Füße stecken in schwarzen Pumps, Heftplaster ragen daraus hervor. Ein Krankentransport.

Fotoshooting in der Rushhour

Da ich niemandem das Geschäft versauen will, halte ich mich mit Anwerbeversuchen zurück, auch wenn das mit zunehmender Wartezeit schwerer fällt. Rampensau und Geschäftssinn erwachen langsam in mir. Die Kollegen beruhigen mich: "Zwischen halb elf und elf Uhr fängt die Rushhour an, dann kannst du dich ungefähr eine Stunde lang totstrampeln." Aber genau da liegt das Problem der Rikschafahrer, das hat auch schon Dominic Staat erklärt, als es um die Standort-Debatten zwischen Taxi- und Rikschafahrern ging. "Taxifahrer können zur Tankstelle fahren, wenn ihnen der Sprit ausgeht. Rikschafahrer können nur so lange fahren, wie ihre Beine mitmachen." Muskelkraft gegen Geld - aber nur, solange der Vorrat reicht.

Bis 22.15 Uhr werden meine Beine vor allem durch das viele Rumstehen beansprucht, dann bahnt sich die versprochene Rushhour an. Erst kommen drei Chinesen mit Trolleys vorbei und möchten sich in eine Rikscha quetschen. Doch die Fahrer dürfen maximal zwei Gäste transportieren, das kontrolliert die Polizei sehr streng. Und dann auch noch mit Koffern? Optimisten.

Ich biete meine Hilfe an, als Sonderangebot. "A woman? Really?" Das Trio zögert. Ob eine Frau im Dirndl mehr kann als Maßkrüge tragen? Die Neugier siegt, und weil sie es genau wissen wollen, setzen sich zwei zu mir und nur einer zum Kollegen. Nur ein paar Minuten später fahren unsere beiden Radl-Taxis fast zeitgleich am Hauptbahnhof vor. Auf der Rückbank strahlende Gesichter, dann das obligatorische Fotoshooting in der Rikscha, vor der Rikscha, zu dritt mit mir, einzeln mit mir.

Zurück zur Wiesn. In voller Trachtenmontur kommt ein Pärchen aus England auf mich zu. Einmal Kurzstrecke in die Landwehrstraße. Danach überrollt mich der Andrang. Mit dabei: ein russisches Paar im nicht mehr jugendfreien Kuschelmodus, zwei oberbayerische Trachtler mit Riesen-Lebkuchenherzen - von wem oder für wen "Mein Schatz" und "Ich liebe dich" sind, bleibt offen. Auch Werner aus Landshut steigt ein, der im echten Leben nie eine Rikscha für die kurze Strecke zum Hauptbahnhof nehmen würde. Nie. Aber jetzt ist ja Oktoberfest, "und i hob glei gseng, dass des a echts Dirndl is. Des gfoit ma."

Bis zu 300 Kilo darf ich mit der Rikscha transportieren. In etwa das, was die beiden Schränke wiegen dürften, die gerade aufsteigen. Bei ihnen kann ich so schnell und fest treten wie ich will, es kommt mir so vor, als würde die Rikscha kriechen. Die beiden klatschen und johlen auf der Rückbank, was sie genau sagen, verstehe ich allerdings nicht.

Irgendwann ein Schluck Wasser und ein Blick auf das Smartphone: Es ist schon längst nach Mitternacht. Ich habe bis zum Schluss durchgehalten und fahre noch ein letztes Mal zur Theresienwiese: die Bayerstraße entlang, links in die Hermann-Lingg-Straße, über die Schwanthalerstraße an den Bavariaring. Alleine komme ich gut voran, die Beine sind müde, aber nach Muskelkater fühlt es sich nicht an. Nur der Sattel ist mit der Zeit etwas unbequem geworden. Vor der Paulskirche stehen nur noch einzelne Rikschafahrer herum, ratschen, trinken ihr Feierabendbier. "Angefixt?", fragt mich einer von ihnen. Nach einem Tag definitiv. Nach 16 vielleicht nicht mehr. Das wird dann der nächste Selbstversuch, 2014.

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