Wiesn-Jobs im Test: Hendlbrater:Hähnchen von der Stange

Wie Gewichtheben in der Sauna: Wer als Hendlbrater auf dem Oktoberfest arbeitet, muss täglich mit einer Hitze von 80 bis 100 Grad zurechtkommen. Einen Nachmittag lang hat sich unser Autor hinter den Ofen der Ammer-Braterei gestellt - bis es plötzlich brannte.

Von Martin Moser

Gute Wiesn-Gschichten bleiben gut. Wir haben die schönsten Texte der vergangenen Jahre aus dem Archiv gekramt. Der folgende Artikel erschien im Jahr 2013.

Ein perfektes Hendl muss nach drei Wochen Urlaub aussehen. "Man erkennt es am braunen Arsch", sagt Pierre Schmid. Er ist Chef-Brater im Ammer-Zelt und tigert von der Verkaufstheke zu den Öfen und wieder zurück. Schweiß perlt von seiner Stirn. "Jungs, Öfen vollmachen", sagt er. Schmid, den hier alle nur bei seinem Vornamen nennen, ist etwas angespannt. Er hat nur noch 25 Hendl im Ofen, wenn die zu schnell weg gehen, dauert es 45 Minuten, bis der Nachschub durch ist.

Zur Wiesn-Zeit tauscht Pierre, 31, seine Küche im Nymphenburger "Schlosscafé im Palmenhaus" gegen die Braterei auf dem Oktoberfest. Ihm soll ich heute für ein paar Stunden helfen. Was mich für den Job qualifiziert? Vielleicht der ein oder andere Grillabend. Sonst nichts.

Bis zu 15.000 Hendl verkauft Ammer jedes Jahr

Hunderte Hendl drehen sich an den Spießen in den Öfen, als ich am frühen Nachmittag zur Braterei komme. Bratenfett tropft herunter, bis nach draußen riecht es nach frisch gebratenen Hendl. Josef Schmidbauer, 46, begrüßt mich zur "Hendlsprechstunde" vor dem Straßenverkauf der Braterei. Unter der Woche erklärt der Wirt den Wiesn-Besuchern jeden Tag um 14 Uhr alles rund um seine Hendl.

Heute hat jedoch kein Gast eine Frage. Und so gibt mir Schmidbauer erst einmal eine kleine Lehrstunde: Er verkaufe nur Biohühner, von 16 Bauernhöfen aus Bayern, Baden-Württemberg und Österreich. Ob ich mir das auch gut überlegt habe, fragt er. In der Braterei zu arbeiten, das sei kein einfacher Job. Schmidbauer hat schon mit 14 Jahren Hendl auf der Wiesn gegrillt. Seiner Familie gehört die Hühnerbraterei Ammer seit 1885 - damals hat in Bayern noch König Ludwig II. regiert. Heute grillt die Familie in der fünften Generation. Bis zu 15.000 Hendl pro Jahr.

Wer zum Ammer geht, der sucht nicht das schnelle Hendl zwischen der vierten und fünften Maß. Dafür sind die Vögel dort einfach zu teuer. Im Zelt kostet ein halbes Hendl 17,80 Euro, im Straßenverkauf 11,45 Euro.

Eine Wand aus heißer Luft erdrückt mich, als ich die Hendlbraterei betrete. Der Boden ist rutschig von Bratfett, Salz und Butter. Besser feste Schuhe mitnehmen, hat man mir im Voraus ausrichten lassen. Jetzt verstehe ich warum. Die Sohlen von Chef-Brater Pierre sind schon nach wenigen Tagen auf der Wiesn von der aggressiven Mischung angefressen.

Gut 15 Leute arbeiten an den Öfen und im Straßenverkauf. Ob ich kein zweites T-Shirt dabei habe, will Sabrina Faber, 22, wissen. Sie ist eine der wenigen Frauen hier und kümmert sich um die Arbeitskleidung. "Das isoliert gegen die Hitze", sagt sie. "Schwitzen wirst du sowieso, egal ob mit einem oder mit zwei T-Shirts."

Faber steckt mich in eine blau karierte Hose, so wie sie die Köche im Ammer auch tragen, dazu gibt es ein weißes Oberteil mit vielen Knöpfen, eine Schürze und zwei Tücher: Eines binde ich mir um den Hals gegen die Hitze, das andere ist zum Händeabwischen da. Zum Schluss reicht Faber mir noch eine weiße Kochmütze. "Handy würde ich lieber in der Umkleide lassen", sagt sie. "Nicht, dass es schmilzt."

"Wenn es hier vorne brennt, treffen wir uns am Mandelstand"

Hendl in zwei Hälften hacken und in Papier einwickeln, das sind die leichteren Aufgaben in der Braterei. Die harten Jungs stehen an den Öfen und kümmern sich um die Spieße. Pierre drückt mir dicke Handschuhe und eine Bratengabel in die Hand. Mit ihren zwei Zacken sieht sie aus wie eine überdimensionierte Stimmgabel. "Kannst du die hochhängen?", fragt er mich und deutet auf einen Ofen. Die Brater um mich herum brauchen nur wenige Sekunden, um die 14 Kilo schweren Spieße eine Stufe höher zu hängen. Zwischen 80 und 100 Grad heiß kann es direkt vor dem Ofen werden. Je schneller ich bin, desto weniger Hitze bekomme ich ab. Doch schnell geht bei mir gar nichts. Die Spieße verkanten sich. Mit jeder Sekunde wird die Hitze am Ofen unerträglicher.

Die Hendl-Spieße hochzuhängen fühlt sich an wie Gewichtheben in der Sauna, während man ein heißes Handtuch ins Gesicht gepeitscht bekommt. Die Hitze beißt sich in die Haut und sticht mit der Zeit durch alle Kleidungsschichten.

Wiesn-Jobs im Test: Hendlbrater: Stolz: SZ-Autor Martin Moser (l.), hier mit Chef-Brater Pierre Schmid.

Stolz: SZ-Autor Martin Moser (l.), hier mit Chef-Brater Pierre Schmid.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nach gut einer Stunde gönnt mir Pierre eine Pause: Ich darf in die Hendlsteckerei - einen gekühlten Container hinterm Zelt, in dem die nackten Hühner auf die Spieße kommen. Martin Schulz, ein Exil-Hamburger mit angegrautem Stoppelbart, zeigt mir die Technik. "Wenn das so knackt", sagt er, nimmt ein Hendl und lässt es auf den Metallspieß rumsen, "dann ist es gut." Und knack. Der Metallspieß durchbohrt den Rücken des Tieres und taucht erst am Hals wieder auf. Schulz, 56, summt dabei die Melodie vom "Weißen Hai", packt das Hendl an beiden Beinchen und zieht es langsam am Spieß herunter.

Nach dem fünften Hendl steckt er eine Metallklammer auf den Spieß, damit die gesteckten Hendl nicht wieder runterrutschen. Fertig. Sieht ein bisschen jämmerlich aus, wie die Dinger so nackt auf dem Metalldreizack stecken. "Manchmal rächen sie sich dafür, dass ich sie so brutal behandle", sagt Schulz. Dann platzt nach dem Grillen die Haut auf und das Hendlfett spritzt. "Tut sauweh in den Augen."

In der Braterei dirigiert Pierre Schmid gerade das Abendgeschäft. Die Öfen sind nun voll bestückt mit Hühnern. Draußen wird es langsam dunkel. Die Bedienungen kommen immer öfter, um sich Hendl für die Gäste im Zelt abzuholen. "Zwei Knusprige bitte", ruft eine Kellnerin, "schnell, bitte." Pierre, der die Temperatur seiner Hendl mit einem Hightech-Laserthermometer misst, blickt sie verwundert an und zielt mit dem Laserstrahl dann aus einem Meter Entfernung auf das Dekolleté der Bedienung. "40 Grad. Als Hendl gehst du noch nicht durch."

Flammen schlagen plötzlich aus dem Ofen. "Pierre! Da hinten brennt es", ruft ein Brater. Pierre blickt auf: "Die beiden Spieße sofort raus!" Zwei Mitarbeiter eilen herbei und fischen die Spieße aus dem Ofen. Pierre greift sich einen Lappen und schlägt auf die Flammen ein. Die lodern aber sofort wieder auf. "Wenn es hier vorne brennt, treffen wir uns am Mandelstand", sagt Pierre - und lacht. Nach zwei Minuten hat er den Kampf gewonnen: "So macht man das. Und jetzt die Spieße wieder rein."

Für solche Notfalleinsätze bin ich noch zu langsam und nach fünf Stunden in der Hitze auch zu müde. Die Brater bleiben gut doppelt so lange - und das an 16 Wiesntagen. Zum Abschied legt Pierre mir persönlich ein Hendl auf den Teller. Schön knusprig ist es und hat natürlich einen braunen Arsch.

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