Wiesn:Der Streit ums Münchner Bier ist eine politische Ersatzbefriedigung

General Views - Oktoberfest 2012

Um den Wiesn-Bierpreis - und vor allem dessen Deckelung - wird heiß diskutiert.

(Foto: Getty Images)

Die echten Probleme der Stadt - eine funktionierende Mietpreisbremse etwa - kann die Kommunalpolitik kaum lösen. Darum deckelt man eben den Masspreis.

Kommentar von Frank Müller

Die Bedeutung des Biers für München ist eine ebenso globale wie archaische: Die Produktion liegt längst überwiegend in den Händen multinationaler Konzerne, andererseits scheinen die Menschen an der Isar mit der Flasche Bier in der Hand groß geworden zu sein. Diese beim Flanieren lässig mit sich zu tragen, gehört gerade für viele junge Münchner zum Standard.

Radler- oder Russnmass (Helles beziehungsweise Weißbier plus Limo) beherrschen in den Biergärten das Geschehen von Frühling bis Herbst, Altmünchner Klassiker wie der "Neger" (Weißbier/Cola) sind aus Gründen der politischen Korrektheit auf dem Rückzug, aber nicht ausgestorben.

Das ist die Folie, vor der nun in der Stadt der Kampf um den Bierpreis zum beherrschenden politischen Thema geworden ist. Zwar gäbe es in München andere Probleme zu lösen: Das Wachstum nimmt explosive Züge an, Wohnungsmarkt und Nahverkehr stehen vor dem Kollaps. Die Spitzen dieser Stadt ziehen es aber vor, eine ganz besondere Obergrenzen-Debatte jeden Tag auf ein Weiteres eskalieren zu lassen: die Diskussion darüber nämlich, ob der Preis für den Liter Bier auf dem Oktoberfest in den nächsten Jahren bei maximal 10,70 Euro eingefroren werden soll.

Damit will der Vizechef im Rathaus, CSU-Bürgermeister Josef Schmid, verhindern, dass die Festwirte die geplante finanzielle Beteiligung am Sicherheitskonzept für die Wiesn einfach via Bierpreis auf die Kundschaft umlegen. Sein Chef, SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter, sieht das jedoch kritisch, wohl auch deswegen, weil Schmid erstmals in drei Jahren rot-schwarzer Rathauskoalition ein echtes eigenes Thema gefunden hat.

Nun haben bayerische Politiker schon blödere Obergrenzen gefordert. Schmids Bierpreisdeckel aber emotionalisiert die Stadt auf besondere Weise. Er verschreckt aufs Wunderbarste die Oktoberfestwirte, die nach landläufiger Meinung zwar mächtige Respektspersonen in der Stadt sind, aber gleichwohl den Durst als menschliches Grundbedürfnis schamlos ausbeuten.

Was bedeutet das Oktoberfest für die Stadt?

Und er trifft insofern den Nerv der Menschen, als bei all dem Chaos in der Welt ein auf drei Jahre festgeschriebener Bierpreis wenigstens eine kleine Sicherheit gibt. Wie absurd andererseits der Gedanke ist, damit würde der Verbraucher ernsthaft geschützt, zeigt sich bei den Details: So soll der schon erwähnte Russ, ein halber Liter Weißbier gestreckt mit einem halben Liter Zuckerwasser, ernsthaft 15,60 Euro kosten dürfen.

Bei solchen Debatten erinnert sich die Stadt gern daran, dass eine Anhebung des Preises im Jahr 1844 sogar für einen Münchner Bierkrieg gesorgt hat. Diese enorme Bedeutung hat der Index heute nicht mehr. Und viel wichtiger als eine Bierpreisbremse wäre für die Stadt ohnehin eine funktionierende Mietpreisbremse. Daran, dass er eine solche jemals erlebt, glaubt der Münchner nach Jahrzehnten der immer neuen Mietpreisrekorde aber nicht. Und der Münchner Politiker auch nicht. So ist die neue Debatte ums Münchner Bier auch eine politische Ersatzbefriedigung. Weil die Kommunalpolitik die echten Probleme kaum lösen kann, deckelt man eben den Masspreis: Bier fürs Volk.

Bei alledem muss sich die Stadt aber auch nach ihrer eigenen Rolle fragen: Sie ist schließlich die Veranstalterin des Fests, nicht irgendwelche profitsüchtigen Wirte. Die Wiesn mit ihrer enormen wirtschaftlichen Bedeutung geriet schon im vergangenen Jahr in Schieflage, als die Stadt die Sicherheit nur mühsam in den Griff bekam. Familien tun sich schwer auf der Theresienwiese, mancher Exzess wäre vermeidbar, Entspannung tut not auf dem Oktoberfest. Darüber nachzudenken, was die Stadt eigentlich will mit ihrem Fest, das umfasst viel mehr als nur den Bierpreis.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: