Widerstand gegen Nazi-Regime:Publizist gegen Hitler

Fritz Gerlich

Fritz Gerlich (1883-1934), deutscher Publizist, stellte sich schon früh gegen den Nationalsozialismus. Seinen Einsatz bezahlte er mit seinem Leben.

(Foto: SCHERL)

Er lehnte sich früh gegen das Nazi-Regime auf: Der Publizist Fritz Gerlich wandte sich als streng Konservativer gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. 1932 kämpfte er für eine unabhängige politische Zeitung - nach der Machtergreifung wurde er von SA-Horden misshandelt, eingesperrt und später in Dachau ermordet.

Von Wolfgang Görl

Am 9. März 1933, rund fünf Wochen, nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, entmachten die Nazis die reguläre bayerische Regierung, der nationalsozialistische Haudegen Franz Ritter von Epp übernimmt als "Reichskommissar" die Polizeigewalt. Ohne zu zögern machen sich SA-Horden noch am selben Tag daran, diejenigen Zeitungen, die ihnen besonders verhasst sind, zu zerstören.

Am Abend stürmt ein Kommando von 60 bis 70 Braunhemden die Redaktionsräume der Wochenzeitschrift Der gerade Weg, die sich im zweiten Stock des Hauses an der Hofstatt 5 befinden. Das Inventar wird verwüstet, Fritz Gerlich, der Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung, wird misshandelt und in die Ettstraße zur Polizeidirektion verschleppt. Noch in der Nacht dringen die SA-Leute in das nahe gelegene Verlagsgebäude der sozialdemokratischen Zeitung Münchener Post ein, wo sie alles kaputt schlagen, was ihnen in die Finger kommt.

In den folgenden Tagen geraten die Münchner Neuesten Nachrichten sowie die anderen Zeitungen des Verlags Knorr & Hirth ins Visier der Nazis. Chefredakteure, Reporter, Verlagsleiter werden ins Polizeigefängnis gesperrt, die gesamte Führungsriege des Verlags ist ausgeschaltet. Im März '33 endet auch in Bayern die Pressefreiheit der Weimarer Republik.

Fritz Gerlichs Widerstand wurzelt im katholischen Glauben

Fritz Gerlich ist ein erbitterter Gegner der Nazis, ein Mann, dessen Widerstand gegen Hitler in einer konservativen Gesinnung und vor allem im katholischen Glauben wurzelt. Als die SA-Männer die Redaktion stürmen, arbeitet er gerade an der nächsten Ausgabe seiner Zeitung.

Was dann passiert, schildert Curt Graf Strachwitz, der Österreich-Experte des Blatts, so: "Im Nu füllten zwei Dutzend Braunhemden, darunter eine Anzahl halber Kinder, die beiden Zimmer. Fast jeder hatte die Pistole in der Hand, und man hätte glauben können, sie seien auf der Suche nach verwegenen Schwerverbrechern. Dr. Gerlich stand ruhig an seinem großen Diplomatenschreibtisch, beide Hände auf die Tischplatte gestützt, in der Haltung eines Staatsmannes, der eine Deputation zudringlicher Querulanten empfängt. Seine selbstbewusste, kühl-verbindliche Haltung entwaffnete fürs erste die ,Soldaten Hitlers'."

Doch die SA-Schergen finden schnell zur gewohnten Brutalität zurück. Für Fritz Gerlich beginnt ein Leidensweg, der tödlich endet.

Gerlich, geboren am 15. Februar 1883 in Stettin, war der älteste von drei Söhnen des Fischgroßhändlers Paul Gerlich und dessen Frau Therese. Nach dem Abitur am Stettiner Marienstiftsgymnasium zieht der im Geiste eines strengen Calvinismus erzogene junge Mann 1901 nach München, wo er zuletzt Philosophie und Geschichte studierte und mit einer Arbeit über das Testament Heinrich VI. promovierte. Wenige Jahre später absolvierte er die Staatsprüfung zum Archivar und arbeitete als beamteter Kreisarchivassessor im Allgemeinen Reichsarchiv.

Der Militärdienst im Ersten Weltkrieg blieb ihm aus gesundheitlichen Gründen erspart. Politisch stand er in dieser Zeit weit rechts, er engagierte sich für die nationalistische Vaterlandspartei und war Mitbegründer des radikal national ausgerichteten Wochenblatts Die Wirklichkeit. Deutsche Zeitschrift für Ordnung und Recht. Auf die Revolution im November 1918 reagierte Gerlich mit der Gründung eines bayerischen Zweigs der "Liga zur Bekämpfung des Bolschewismus".

Nach Ausrufung der Räterepublik floh er mit falschen Pässen nach Bamberg, wohin auch die Regierung des bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann geflohen war. Als Redner vor den Freikorps rief er zum Sturm auf die Räteregierung in München auf. Nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik setzte er seine Agitation gegen die Linke in Beiträgen für die Süddeutschen Monatshefte und die Historisch-Politischen Blätter fort.

Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten

Gerlichs journalistisches Talent fiel auf. Am 1. Juli 1920 avancierte er zum Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN), der damals wichtigsten und größten Zeitung Süddeutschlands. Gerlich machte sich daran, dem Blatt, wie er selbst schrieb, "eine nationale und antimarxistische Haltung zu geben". Wohl im Frühjahr 1923 fand in Gerlichs Münchner Wohnung die erste Begegnung mit Adolf Hitler statt. Die beiden dürften einige politische Gemeinsamkeiten festgestellt haben, denn auch Gerlich plädierte für die Sammlung der nationalen Kräfte in Deutschland.

Der im völkischen Milieu beheimatete Chefredakteur schrieb auch die Rede, die der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr am 8. November 1923 im Bürgerbräukeller hielt. Hitler und seine Gefolgsleute unterbrachen Kahr und riefen die "nationale Revolution" aus, die nach dem Marsch auf die Feldherrnhalle am folgenden Morgen ein blutiges Ende fand. Diese Erfahrung machte Gerlich zum Hitler-Gegner. Der Putschversuch, schrieb er in den Münchner Neuesten Nachrichten, ist "eine der größten Verrätereien an der deutschen Geschichte".

Widerstand aus dem Glauben

Noch bestimmender für seine Weltsicht wurde die Begegnung mit der Bauernmagd Therese Neumann, der "Resl von Konnersreuth". Im August 1927 hatte der leitende MNN-Redakteur Erwein Freiherr von Aretin eine große Reportage über das "Wunder von Konnersreuth" publiziert, die in vielen in- und ausländischen Zeitungen nachgedruckt wurde. Aretin hatte die Visionen, Ekstasen und Wunderheilungen der Therese Neumann geschildert und berichtet, dass sie die Wundmale Christi trug.

Gerlich war skeptisch und fuhr selbst nach Konnersreuth, um "dem Schwindel auf die Spur zu kommen". Doch Gerlich kam von dieser Reise gewissermaßen als Bekehrter zurück. Der Anblick der Stigmatisierten, das Unerklärliche und Mysteriöse, erschütterte sein Denken in den Grundfesten. Am 6. November schrieb er in der Beilage der MNN: "Ich habe eine vollkommenere Erfüllung der christlichen Forderungen bisher noch nicht erlebt."

Im Freundeskreis strenggläubiger Katholiken

Nach persönlichen Differenzen verließ Gerlich im Februar 1928 die Münchner Neuesten Nachrichten. Zwischenzeitlich arbeitete er wieder im Archiv, vor allem aber machte er sich daran, das Leben der Therese Neumann zu erforschen. 1929 erschien sein zweibändiges Werk "Die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth".

Gerlich bewegte sich zu dieser Zeit in einem Freundschaftskreis strenggläubiger Katholiken, wo er auch den schwäbischen Großgrundbesitzer Fürst Erich von Waldburg zu Zeil kennenlernte. Die beiden waren sich einig, dass in Deutschland eine unabhängige Zeitung gegen den Radikalismus von rechts und links fehlte. Als das verschuldete Wochenblatt Illustrierter Sonntag zum Verkauf stand, griffen sie zu.

"Der Heiland wird schon helfen", war Gerlich von Therese Neumann ermutigt worden, deren Weissagungen er bei allen wichtigen Entscheidungen vertraute. Gerlich, mittlerweile zum Katholizismus konvertiert, verwandelte die harmlose Illustrierte in ein politisches Kampfblatt, basierend auf der "Macht des Naturrechts und der Festigkeit der christlichen Grundsätze". Vom 3. Januar 1932 an erschien die Zeitschrift unter dem Namen Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht.

Längst hatte er keine Zweifel mehr, dass der Nationalsozialismus nichts anderes bedeutete als Barbarei. Vor der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 schrieb Gerlich auf der Titelseite seiner Zeitung: "Dem Kriege des Mittelalters folgte die Pest als eine Geißel der Menschheit. Aber diesem Kriege, den wir alle erlebt und gefühlt haben und dessen Spuren und Folgen Revolution, Inflation, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit heißen, folgte eine geistige Pest: der Nationalsozialismus. Die Übel, unter welchen die Völker leiden, können allein geheilt werden durch Verständigung, Versöhnung, Abrüstung und Frieden. Nationalsozialismus aber bedeutet: Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg, Völkerkrieg. Nationalsozialismus heißt: Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not."

"Nationalsozialismus heißt: Lüge, Hass, Brudermord"

Widerstand gegen Nazi-Regime: Fritz Gerlich kämpfte in seiner Zeitschrift "Der gerade Weg" auch mit satirischen Mitteln gegen Hitler.

Fritz Gerlich kämpfte in seiner Zeitschrift "Der gerade Weg" auch mit satirischen Mitteln gegen Hitler.

(Foto: DAH)

In seinem Kampf gegen Hitler bediente sich Gerlich auch satirischer Mittel: In der Ausgabe vom 17. Juni 1932 stellte er im Titel die Frage, ob Hitler Mongolenblut habe. Bei der "rassewissenschaftlichen Untersuchung", die er mit Zitaten des "Rasseforschers" Hans F. K. Günther unterfütterte, kam Gerlich, den NS-Jargon parodierend, zu dem Ergebnis, dass Hitler den "ostisch-mongolischen" Typ verkörpere.

Hitler wollte "dieses Blatt" vernichten

Es lag nahe, dass Hitler sich rächen wird, sobald er dazu in der Lage sein würde. Hitler hatte Gerlich schon gedroht, als dieser noch Chef der MNN war. In einer Rede im Circus Krone krakeelte er: "Wenn Deutschland frei werden soll, werden wir wohl auch diese Presse vernichten können. Den Fehdehandschuh, den dieses Blatt uns hingeworfen hat, nehmen wir auf."

Spätestens am 9. März 1933, dem Tag, an dem Gerlich in "Schutzhaft" - eine zynische Umschreibung völliger Rechtlosigkeit - genommen wurde, ist klar, dass dies keine leere Drohung war. Gerlich wird in der Zelle 35 des Polizeigefängnisses in der Ettstraße gefangen gehalten, einem winzigen Raum, in den kaum Tageslicht dringt. Berichten von Mithäftlingen zufolge wird er eines Nachts von SS-Leuten zum Verhör geholt und gefoltert. Freunde bemühen sich um seine Freilassung, Zeitungen in Österreich und in der Schweiz prangern die Inhaftierung des Publizisten an.

Doch es gibt nichts, das die Nazis vom Rachefeldzug gegen ihren einstigen Kritiker abhält. Am 30. Juni 1934 erscheinen drei Männer der Politischen Polizei kurz vor Mitternacht in der Polizeidirektion und fordern die Herausgabe des Gefangenen Dr. Gerlich. Tagsüber waren Ernst Röhm und andere SA-Führer verhaftet worden, weil sie angeblich einen Putsch geplant hatten. Röhm und viele seiner Gefolgsleute werden in den folgenden Tagen erschossen. Hitler entledigt sich auf brutale Weise seiner Gegner. Auch Gerlich ist darunter.

Das Auto mit dem Gefangenen trifft am 1. Juli im Konzentrationslager Dachau ein. Was folgt, lässt sich nicht im Einzelnen rekonstruieren. Tatsache ist: Fritz Gerlich wird ermordet. Wer der Todesschütze ist, weiß man nicht mit letzter Sicherheit. Der Witwe Sophie Gerlich teilen die Behörden erst einige Tage später mit, dass ihr Mann tot ist. Auf ihre Frage, was mit dem Leichnam geschehe, erhält sie die Auskunft: Sie könne die Urne haben, sofern sie die Kosten der Verbrennung bezahle. Sophie Gerlich verzichtet.

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