Westkreuz:Bedrohtes Wahrzeichen

Westkreuz: Stammesgeschichte: Der Maibaum an der Ecke Mainaustraße/Radolfzeller Straße war in Bayern der erste, der in einer Trabantensiedlung aufgestellt wurde.

Stammesgeschichte: Der Maibaum an der Ecke Mainaustraße/Radolfzeller Straße war in Bayern der erste, der in einer Trabantensiedlung aufgestellt wurde.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit drei Jahrzehnten würdigt am Westkreuz ein Maibaum das Schicksal einstiger deutscher Flüchtlinge. Doch der Stamm steht auf Privatgrund - und die Eigentümer wollen ihn jetzt mit juristischen Mitteln entfernen

Von Ellen Draxel, Westkreuz

Die Westkreuzler bangen um ihr Wahrzeichen. Seit fast 30 Jahren ragt der Maibaum an der Ecke Mainaustraße-/Radolfzeller Straße in den Münchner Himmel, nun muss er möglicherweise weichen. Die Eigentümergemeinschaft, auf deren Grund der Baum steht, äußert Zweifel an der Standfestigkeit.

Vergangene Woche zog Johann Slezak, der Vorsitzende der Interessenvereinigung Westkreuz (IVW), die sich um Pflege und Unterhalt des Maibaums kümmert, ein gerichtliches Schreiben aus seinem Briefkasten. "Der Brief kam für uns völlig überraschend", sagt der 80-Jährige. Erst im Juli habe die Vereinigung wegen wiederholter Bedenken der Wohnungseigentümergemeinschaft mit dem Verwalter einen sogenannten Haftungsfreistellungs- und Haftungsausschlussvertrag abgeschlossen, gültig bis 2024. "Dieses Papier besagt, dass wir auf jeden Fall für jegliche durch den Maibaum verursachten Schäden aufkommen", erklärt Slezak. Warum die Verwaltung nun trotzdem den Rechtsweg beschreite, sei ihm "rätselhaft". Dafür gebe es "kein Argument", sagt er.

Der Maibaum am Westkreuz hat eine besondere Geschichte. Er war, als er 1972 erstmals an dieser Ecke aufgestellt wurde, der erste Maibaum Bayerns in einer Trabantensiedlung und der erste, dessen Schilder Wappen der bis 1945 von Deutschen besiedelten Gebiete anstelle der Zunftzeichen zeigten. Denn Handwerk gab es in der damals gerade neu entstandenen Siedlung noch nicht. Umgekehrt fanden sich die vielen Flüchtlinge, die den neuen Stadtteil bevölkerten, mit den Schildern gewürdigt. "13000 Mark kostete seinerzeit allein schon das Fundament für den Maibaum", erinnert sich Manfred Schlecht, Gründungsmitglied der einstigen Aktionsgemeinschaft Westkreuz.

Nach der Anfangszeit wurde der Stamm einige Jahre lang nicht mehr aufgestellt, erst 1991 erneuerte man den Betonsockel auf der Basis statischer Berechnungen an gleicher Stelle. Die Finanzierung bei diesem zweiten Mal übernahm Paul Ottmann, Namensgeber des gleichnamigen Ladenzentrums an der Mainaustraße. Sollte nun die Klage der Eigentümer Erfolg haben, müsste der Baum samt Sockel weichen. Ein drittes Fundament an einem anderen Standort kann sich die IVW aber nicht leisten. "Das Geld", sagt Schlecht, "haben wir bei weitem nicht".

Im Übrigen können sich weder Slezak noch Schlecht einen Grund vorstellen, warum das Gericht der Forderung der Eigentümergemeinschaft Folge leisten sollte. "Alle bisherigen Maibäume haben sämtliche Stürme schadlos überstanden", weiß Schlecht, nie sei ein Stamm umgeknickt. Maibäume müssen jedes Jahr auf Standsicherheit hin überprüft werden, ansonsten zahlt keine Versicherung. Auch heuer war im Juni ein Sachverständiger vor Ort, der die Sicherheit des Baums bescheinigte. Vor ein paar Jahren haben allerdings Unbekannte die Schrauben am Sockel gelockert. Die Vereinigung informierte sofort die Polizei; wer es war, konnte jedoch nie geklärt werden. "Aber auch damals bestand zu keiner Zeit die Gefahr, dass der Baum bricht", betont Schlecht. Inzwischen verfüge der Maibaum über eine abschließbare Schraubenabdeckung und Sicherheits-Klemmklötze, die selbst dann greifen würden, wenn die Schrauben sich doch lockern sollten, was, wie Schlecht sagt, "aber gar nicht mehr passieren kann".

Außerdem wurde die Wind-Angriffsfläche immens verkleinert: Statt der ursprünglich 20 Schilder sind es jetzt nur noch zehn, eine Halbierung. Und diese wenigen Wappen hat man zusätzlich um ein Drittel verkleinert. "Da müsste künftig schon ein Orkan mit mehr als 200 Stundenkilometern daher fegen, wenn der Baum brechen soll", meint Schlecht. Zeitweilig war wegen der ganzen Sicherheitsdebatte sogar erwogen worden, statt eines aus Holz gefertigten Maibaums einen aus Metall aufzustellen. Doch auch diese Variante ist mittlerweile vom Tisch. Denn sollte die Klage durchgehen, wäre auch das Fundament weg.

"Ich bin wirklich gespannt, wie sich das Gericht entscheidet", sagt Slezak. "Denn wenn diese Klage Erfolg hat, ist das ein Präzedenzfall. Dann könnte unser Schicksal allen Maibäumen drohen." Die Interessenvereinigung hat mittlerweile ein Schreiben verfasst, das sich auf dem Weg zum Gericht befindet. Der Verwalter der Eigentümergemeinschaft will sich mit Verweis auf das "schwebende Verfahren" zu dem Fall nicht äußern.

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