Westernhagen in München:Er ist wieder hier

Ein Mann und seine Musik: Marius Müller-Westernhagen braucht in der Olympiahalle in München Zeit zum Einsingen, dann gibt er ein formidables Konzert - und ist am Ende ergriffen von der Begeisterung der Fans.

Jürgen Schmieder

Marius Müller-Westernhagen steht ganz vorne am Rand der Bühne und schüttelt mit dem Kopf. "Ihr macht mich wahnsinnig, wisst Ihr das", sagt er. "Aber ich wäre enttäuscht, wenn das nicht so wäre." Die Zuschauer johlen, es ist ihnen egal, dass sie seit Stunden im Regen stehen und der Matsch mittlerweile bis zu den Knöcheln reicht.

Konzertauftakt Westernhagen 'Live 2010'

Wieder da - diesmal in feinem Tuch statt in Jeansfetzen: Marius Müller-Westernhagen.

(Foto: dapd)

Es macht ihnen nichts aus, weil auch Westerhagen im Regen steht. Er ist bewusst nach vorne marschiert, um zu demonstrieren: Seht her, ich bin einer von euch, wir lassen uns nicht vom Wetter die Stimmung vermiesen.

Fast 17 Jahre ist es her, dass Westernhagen dieses Konzert auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg gegeben hat, in der dritten Reihe stand damals ein Teenager und war begeistert von dem Mann auf seiner Musik. Dieser Mann sang Textzeilen, die der kleine Junge verstand ("Und ich bin viel zu müde - und das seit gestern schon"), die der kleine Junge nicht verstand ("Ginger Rogers hat mit Fred Astaire gesteppt - und ich kann übers Wasser gehen") und die der kleine Junge zu seinem Lebensmotto machte ("Schweigen ist feige, Reden ist Gold").

Als Westerhagen am Montag bei seinem Konzert in der Münchner Olympiahalle auf die Bühne schreitet, da sieht es so aus, als würde er sich bei einer Gala den Ehrenpreis für sein Lebenswerk abholen: Perfekt sitzendes Jackett, feines Hemd, extrem dunkle Nickelsonnenbrille. Um den Hals hat er feinstes Tuch geschwungen, an den Füßen trägt er edle Schuhe. Westernhagen sieht ein wenig so aus, wie John Lennon womöglich aussehen würde, wenn er noch lebte.

Er sieht aber auch ein wenig aus wie Frank Zander.

Die Menschen jubeln, aber ein wenig verdutzt gucken sie auch. Klar, Westernhagen war fünf Jahre lang nicht mehr auf Tournee, er war der philosophierende Stargast in Talkshows, er holte sich Ehrenpreise ab. Dass er nun nicht in hautengen Jeans und einem Schlabbershirt mit der Aufschrift "Who the fuck is Marius?" auf die Bühne sprinten würde, war zu erwarten. Aber nach Rock 'n' Roll sieht dieses Outfit nun wirklich nicht aus.

Es dauert ein paar Lieder, bis dieser Schock überwunden ist, bis Westernhagen sich eingesungen hat und seine Stimme wie die von Westernhagen klingt. Diese krakeelende Krächz-Stimme, die so rotzig klingt bei den Rock 'n' Roll-Songs, bei den Blues-Stücken so verraucht und nach Reißnagelgurgeln wie die von Joe Cocker, und so klar und verletzlich bei den ruhigeren Stücken.

Dieses Repertoire kann Westernhagen immer noch vorweisen, er wird begleitet von einer phänomenalen achtköpfigen Band und den zwei formidablen Background-Sängern Ron Jackson und Della Miles. Er mischt Songs aus seinem neuen Album Williamsburg mit Klassikern, nur selten interpretiert er Stücke komplett neu wie etwa Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz, bei dem er die ersten Strophen als Blues-Version singt und erst dann die rockige Variante präsentiert.

Es ist jedoch dieser Moment der Neuinterpretation, als das Münchner Publikum - das unter Pop- und Rockmusikern als extrem schwer zu bespielendes und zu bespaßendes gilt - wahrlich Gefallen findet an der Vorstellung. Die Menschen vor der Bühne tanzen ohnehin, als Westerhagen jedoch seinen Pfefferminz-Song beendet und kurz auf die Tribüne blickt, sieht er ebenfalls fast ausschließlich wild herumhüpfende Menschen.

Auf dieser Tribüne steht auch der kleine Junge von damals. Manche der kryptischen Texte von Westernhagen versteht er mittlerweile ("Frauen gegenüber bin ich willenlos"), andere versteht er noch immer nicht ("Wir waren zu dritt, weniger sieben") und manche sind mittlerweile sein Lebensmotto geworden ("Ganz und gar").

"Wisst Ihr eigentlich, wie alt ich bin", fragt Westerhagen gegen Ende des Konzerts einmal - und freilich ist dieser Satz mehr Koketterie als Frage. Die Menschen in der Olympiahalle wissen natürlich, dass er im Dezember 62 Jahre alt wird. Sie sind mit ihm älter geworden, man sieht in der Halle kaum jemanden, der jünger ist als 30 Jahre. Es sind keine Teenies, die eine durchchoreografierte Show sehen wollen, sondern einen Mann und seine Musik.

Genau das lässt die 150 Minuten, die Westernhagen ohne Pause Musik macht, derart würdevoll erscheinen. Auf der Bühne hopsen keine Tanzmäuse zu Feuerwerk und Zaubershow. Da tanzt ein wenig ungelenkt ein Mann zu seiner Musik - und wenn er eine Ballade spielt, dann holen die Zuschauer keine Handys hervor, sondern tatsächlich Feuerzeuge.

Westerhagen beendet sein Konzert wie vor 17 Jahren auch mit zwei Liedern, bei dessen Texten man - und das ist ungewöhnlich - nicht zwischen den Zeilen lesen muss: "Freiheit" und "Johnny Walker". Als die Zuschauer derart laut mitsingen, dass es wohl auch noch bei der Allianz Arena zu hören gewesen sein muss, da steht Westernhagen am vorderen Rand der Bühne und schüttelt mit dem Kopf.

Vielleicht denkt er in diesem Moment daran, auch in zehn Jahren noch auf einer Bühne zu stehen. Wenn dem so ist, dann wird der kleine Teenager von damals seinen Sohn mitnehmen zu diesem Mann und seiner Musik.

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