Westend:Zu schön, um Tand zu sein

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In einem Keller-Atelier an der Gollierstraße zeigen Sabine Gänsheimer und Mario Pachinger Weihnachtsdekoration der besonderen Art. Die Stücke kommen aus kleinen Werkstätten in Thüringen, Tschechien und Polen

Von Andrea Schlaier, Westend

Rosafarbene Roboter, glitzernde Fledermäuse, schillernde Vögel mit Pfauenfedern, spärlich beschürzte Herren und Damen, das Jesuskind in eine schimmernde Kugel gebettet oder ein funkelnder Nussknacker als Klammer-Figur für den Tannenzweig: Im Keller eines Hinterhofes an der Gollierstraße baumelt Christbaumschmuck opulenter, als es das Auge zu fassen vermag. Jahrzehntealte Preziosen hängen neben Mundgeblasenem und kuriosen Figuren aus thüringischen, tschechischen oder polnischen Werkstätten. Sabine Gänsheimer und Mario Pachinger haben ihre Werkstatt während der staden Zeit erstmals zum Raritäten-Refugium für passionierte Christbaum-Dekorateure umfunktioniert.

"Noch ist das hier ein Geheimtipp", sagt Mario Pachinger, der in diesen Räumen übers Jahr eigentlich Möbel restauriert. "Aber die Sammler wissen schon, wo wir sind", sagt Sabine Gänsheimer lachend - die Nachbarn im Viertel kennen die beiden von Kunst-Events im Westend sowieso. Die Besonderheiten zum Advent, die die beiden seit Jahren feilbieten, waren in den vergangenen Jahren während der Weihnachtsmärkte am Weißenburger Platz, am Harras und am Sendlinger Tor schon echte Hingucker. Doch ganz ideal war so eine Bude im Winter für die zerbrechliche Ware nicht, sagt Gänsheimer: "Man muss die Sachen ständig ein- und auspacken, ist wetterabhängig und dann rauscht manchmal der Wind durch, dass es nur so klirrt." Im sicheren Souterrain dagegen können sie die filigrane Kunst in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit besser präsentieren.

"Augen geradeaus" - das gilt vielleicht für Nussknacker-Soldaten. Der Nikolaus daneben im Regal hat für militärischen Ernst scheinbar keinen Sinn. (Foto: Robert Haas)

Im Herzen des Raritäten-Labyrinths steht eine Christkindlhütte, an deren Innen- und Außenwänden bemalte Glas-Instrumente prächtig schimmernden Wasserwesen Gesellschaft leisten. "Im vergangenen Jahr waren Fledermäuse, Haifische und Dinosaurier der Renner", wundert sich Mario Pachinger etwas über adventliche Trends. Ihn persönlich zieht es eher zu alten Formen aus den Fünfzigerjahren - Kugeln mit tiefen Buchten, in die kleine Figuren wie das Christuskind gebettet sind. Gleich gegenüber hängen glänzende Essiggurken. Essiggurken? Auf die Frage hat Sabine Gänsheimer nur gewartet: "Meines Wissens stammt der Brauch aus dem Spreewald und ist zwischenzeitlich nach Amerika hinüber und wieder herüber geschwappt." Da die Essiggurken den Spreewäldern ihr Auskommen sicherten, ließen sie das gewinnbringende Gemüse in Thüringen als Christbaumschmuck nachmodellieren. Auswanderer etablierten dann in Amerika den Brauch, die kleinen Gurken in den Christbaum zu hängen. Wer den ungewöhnlichen Schmuck am Weihnachtstag als Erster im Tannengrün entdeckte, durfte mit dem Auspacken beginnen oder konnte sich über ein zusätzliches Geschenk freuen.

Regelmäßig besuchen Gänsheimer und Pachinger kleine Werkstätten in Thüringen, Tschechien und Polen und lassen sich dort auch die dazu gehörenden Geschichten erzählen. Durch den persönlichen Kontakt, erzählt der Möbel-Restaurator, "bekommen wir auch Modelle, die es in Deutschland sonst nicht gibt und die ausschließlich für die USA oder Japan produziert werden". Oder eben besonders wertvolle Stücke wie einen pinkfarbenen Drachen oder eine Spinne im weißen Glas-Netz - mit 120 Euro das teuerste Stück.

Immer auf der Suche: Sabine Gänsheimer und Mario Pachinger freuen sich über viele schöne Dinge, die sie auf Reisen finden. (Foto: Robert Haas)

Nehmen Sie mal in die Hand", fordert Pachinger auf, "die Fische und Tiere sind relativ schwer, daran spürt man, dass sie mundgeblasen sind." In der industriellen Fertigung werde viel dünneres Glas verwendet: "Mir sind mundgeblasene Stücke schon runter gefallen, aber nicht kaputtgegangen, weil das Glas so dick ist." Doch auch mit Scherben weiß man im Keller an der Gollierstraße umzugehen. Sabine Gänsheimer repariert in einer Nische Christbaumkugeln oder gestaltet aus den Scherben gleich neue Kunstwerke.

Damit die Finger in der sehenswerten Keller-Galerie nicht klamm werden, gönnt sie sich und ihren Besuchern gern auch mal ein Tässchen Tee. "Die Stimmung hier unten ist wirklich gemütlich", bestätigt eine Kundin aus der Nachbarschaft und freut sich über die Glitzerwelt im Untergrund.

Weihnachtshütte im Keller, Gollierstraße 23, Hinterhof, täglich, auch sonntags, bis 23. Dezember 11 bis 19 Uhr, 24. Dezember, 10 bis 15 Uhr.

Klein, aber fein - und ein bisschen anders: Christbaumanhänger. (Foto: Robert Haas)
© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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