Westend:Subversiver Alltags-Schreck

Ken Brown hält sich gerne im Hintergrund und lässt seine Konzept-Kunst aus dem Untergrund heraus sprechen - am liebsten verschickt er sie per Post

Von Andrea Schlaier, Westend

"Na, ich bleib lieber daheim."

"Ich denke, am besten bleibe ich

doch zu Hause."

"Der Hase ist krank tot, muß ich

doch zu Hause bleiben."

"Der Hase war nur krank,

aber der Vogel fliegt nicht."

"Der Vogel kann wieder fliegen,

ist weggeflogen, aber jetzt

ist die Maus krank"

"oder tot?"

"Die Katze ist sehr gesund

und die Maus ist verschwunden."

"Der Hund bellt."

So geht es dahin, das alerte Assoziationsspiel, 24 kleine Klebe-Etiketten lang. Die pappen in Reih und Glied exakt auf Abstand gehalten auf einer postkartengroßen Abziehfolie und simulieren damit formal erhebliche Strukturlust. Das ist insofern aberwitzig, weil der Künstler, der dieses sehr deutsche Ordnungsmuster als Trägermaterial für sein Werk wählt, nicht eben ein Aufräumer im konventionellen Sinn ist. Ken Brown scheint in seinem Atelier in kreuz und quer aufeinander gestapelten, verrutschten Papier- und Sonst-was-Bergen vielmehr zu versinken. Aus der Flut fischt er Zeichen und Zeilen und reduziert sie, bis nur noch eine bildhafte These existiert. Die lässt er schließlich hochgehen, mit einer lustvoll formulierten Antithese. Kurzum: Der Mann hat Witz. Und Sinn für minimalistische Konzept-Kunst. Außerdem tiefe Freude an der Guerilla-Perspektive auf jegliche Form des Festgefügten.

Westend: Das Wort als Pointe der Kunst: Brown entwickelt unter anderem eigenwillige Korrespondenz-Muster mit zuweilen absurdem Witz.

Das Wort als Pointe der Kunst: Brown entwickelt unter anderem eigenwillige Korrespondenz-Muster mit zuweilen absurdem Witz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Es ist also nur folgerichtig, dass Ken Brown aus dem Untergrund heraus agiert. Sein Atelier, eine fensterlose Behausung, liegt am Tiefgaragen-Abgang in einem Hinterhof des Westends. Hinter der schweren Eingangstür aus Metall sitzt, tief eingesunken in einen gewaltigen, abgewetzten lachsfarbenen Ledersessel, dieser körperlich eher kleine Mann mit silberner Woody-Allen-Brille. Mit dem argwöhnischen Blick eines Einsiedlers empfängt er fremden Besuch in diesem unterirdischen Reich, das ein Meer aus zusammengeschobenen Fundstücken, Papierresten, Tuben und Schnipseln zu zwei Dritteln unbegehbar macht. An den Wänden kleben Gedankenlisten wie hingekritzelte Einkaufszettel, postkartengroße Fotografien, "bearbeitet" mit Sprechblasen, Übermalungen, bevorzugt auch mit Sprache.

Das Wort übernimmt in Browns Kunst die Rolle der Pointe, des subversiven Alltag-Schrecks. Wie aus der Zeitung geschnipselte und aufgeklebte Erpresser-Botschaften flankieren vermeintlich lapidare Sätze die Szenen aus dem Beobachtungs-Fundus des Konzept-Künstlers. "Ich versuche das Gegebene so zu manipulieren, dass es nicht mehr das Gegebene ist", sagt Ken Brown. "Das Vorhandene ändere ich so um, dass es lustig ist oder böse oder schön, und dabei schaffe ich ein Kunstwerk." So wie beim Foto eines Mannes, der mit Polohemd und Anzughose vor einem glühenden Grill auf einem amerikanischen Zeltplatz sitzt. Hinter ihm wuseln Hütchen tragende Damen um den Esstisch. Der Blick des Denkers mit durchgedrücktem Kreuz und Grillbesteck in der Hand, schweift vieldeutig ins Weite. Unterzeile: "I have dreams where I'm writing and writing". Das Leben, ein Tagtraum.

Westend: Ken Brown in seinem übervollen Atelier am Tiefgaragen-Abgang.

Ken Brown in seinem übervollen Atelier am Tiefgaragen-Abgang.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nicht in Erscheinung treten und doch wahrgenommen werden wollen, daran findet Brown auch für sich selbst Gefallen. Der Mann aus Illinois, der gerade seinen 64. Geburtstag gefeiert hat und noch immer aussieht wie ein vor der Zeit ergrauter Literatur-Student, tritt höchst ungern öffentlich auf. Als zweifacher Familienvater, der um die Ecke oberirdisch wohnt, ja. Als Künstler, nein. Deshalb hat sich der akademische Konzept-Artist bereits in seiner New-Yorker Zeit - 1992 ist er vom Hudson River an die Isar gezogen - einen künstlerischen Kniff erlaubt. Sein Werk soll stellvertretend für ihn aktiv werden. Als Korrespondenz, postalischer Gruß nicht nur an Freunde, sondern auch an fremde Menschen. Brown verschickt handschriftliche Skizzen, Collagen und Fotos. "Ich mache das immer mit Leuten, die ich interessant finde, aber nicht kenne." Er sendet kartengroße Bild-Signale und stellt die mit scheinbar lapidarer Kommentierung auf den Kopf. Die Komposition gerät mal zu bester Unterhaltung, absurdem Witz oder philosophischer Gesellschaftskritik. Ab und zu sei er "dämlich und ich schicke Zeug, das nicht ganz angepasst ist". Eine Adressatin hat ihm eins der zugesandten Fotos einmal zerrissen zurückgeschickt. "Das sollten vielleicht alle machen, die die Arbeit nicht leiden können." Brown hat das Foto wieder "hergestellt, und ich finde es jetzt noch besser". Er gluckst.

Ingvild Goetz, die renommierte Galeristin, fand vor geraumer Zeit Gefallen an Browns Kommunikationsmuster. Vor einigen Jahren hatte der Künstler begonnen, auch sie mit Post zu bedenken, obwohl sich die beiden überhaupt nicht kannten. Goetz war dann aber eine der wenigen, die regelmäßig zurückschrieb. Die Korrespondenz der beiden umfasste letztlich um die 600 Briefe. Goetz stellte sie in ihrer Sammlung aus. Etwa 20 solcher Briefkontakte pflegt der Amerikaner. "Es gibt am Anfang immer was, was ich wahnsinnig lustig finde und ich denke, die Leute würden es auch lustig finden.

Westend: Sein Werk soll stellvertretend für ihn aktiv werden, wünscht sich der Konzept-Künstler.

Sein Werk soll stellvertretend für ihn aktiv werden, wünscht sich der Konzept-Künstler.

(Foto: Stephan Rumpf)

Witze sind wichtig, weil wir sonst nicht viel haben." Aus dem Off kommt auch wieder Browns aktuelle Arbeit. Zusammen mit dem Konzeptkünstler Christian Hilt schickt er unter dem Namen "Browninthehouse" seit acht Jahren packenweise Programmhefte ins Haus der Kunst und ausgewählte Galerien. Der Witz ist, dass die Booklets formal genauso aussehen, wie die, die das Haus der Kunst selbst üblicherweise verschickt. Nur drin ist was anderes, eine konzeptuelle Ausstellungsfläche im Kleinformat: Hilt und Brown entschlacken darin die intellektuelle Kunst-Schau, ersetzen sie durch poetische Betrachtungen, subversive Bild-Text-Scheren oder kafkaeske Vexier-Bilder (www.blindsac.com).

Den eigenen Stolz immer nur versenden und so gut wie nie in einer Ausstellung zeigen? Warum? "Wenn man mit der Post schickt, muss man nichts erklären und sich nicht verteidigen", sagt Ken Brown. Eine Angeschriebene habe ihn mal nach dem Sinn dieses Prinzips gefragt. "Machst du das, um zu zeigen, dass es dich gibt?", habe die Frau wissen wollen. Der 64-Jährige zieht den Reißverschluss seiner schwarzen Kapuzenjacke langsam zu: "Es könnte sein, dass sie Recht hat, dass ich es mache, damit mich niemand vergisst."

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