Westend:Kontakt durch die Küche

Die Aktion "Ein Teller Heimat" im Westend bringt Flüchtlinge und Einheimische zusammen. Beim gemeinsamen Kochen und dem festlichen Essen mit Gästen werden Fremde zu Freunden

Von Helena Ott, Westend

Matin und Ayad rollen einen Mehlteig mit Dattelfüllung zu kleinen Bällchen, reihen sie dann auf zwei Blechen aus. Vom Orangenblütenwasser riecht es frisch-frühlingshaft - davon kommt auch ein Schuss in den Teig. Obwohl beide aus dem Irak kommen, ist es für die beiden gar nicht so leicht, sich flüssig zu unterhalten - anders als Ayad ist Matins Muttersprache nicht Arabisch, sondern Kurdisch. Aber an ihrer Kochstation hilft auch Badhasa, ein 29-jähriger Äthiopier, der durch seinen langen Weg bis Deutschland viele Sprachen gelernt hat - auch Arabisch und etwas Kurdisch. Er hilft den beiden jungen Irakern, die richtigen Worte zu finden, oder übersetzt auf Englisch für die deutschen Helferinnen.

Es rufen sich hier, vom 28-jährigen Iraker bis zur Westender Rentnerin, alle bei den Vornamen, die auf den Namensschildern stehen. In drei Stunden werden die Gäste kommen. Parallel an verschiedenen Stationen laufen die Vorbereitungen für das irakische Buffet. Schon um 13 Uhr haben sich die Helferinnen vom "Ein Teller Heimat"-Projekt mit den fünf Irakern getroffen - sie wohnen in der Flüchtlingsunterkunft an der Hansastraße.

Am meisten merkt man Sabine Fincks die Aufregung an - sie findet keine Ruhe; vergisst, sich selbst zwischendurch am Getränkebuffet zu bedienen. Die 51-jährige Grafikerin hat das Projekt im Westend gegründet und seitdem mit ihrem Team schon drei interkulturelle Kochabende veranstaltet. Neben dem irakischen Chefkoch, Ammar Alqaisi, hat sie den Überblick über das Menü, die Gästeliste, die liebevolle Dekoration und das Abendprogramm.

Ammar ruft Sabine in die kleine Küche des Gemeindezentrums; sie soll probieren, ob der Nudelsalat mit Tomate, Gurke und Minze schon schmeckt. "I need more Salz?", fragt er Sabine. Die Organisatorin mag den zitronig-frischen Geschmack und deutet an, dass sie nur noch ein klein wenig Salz zugeben würde. Ammar hat gleichzeitig das Quellbad der roten Linsen, das Lammfleisch, das in Wasser mit Lorbeerblättern zieht, und das brutzelnde Hähnchenfleisch im Blick. Er und sein älterer Landsmann Mohammed Mohsin sind schon nach einer Stunde ein eingespieltes Team - das heißt, Mohammed macht, was der Chefkoch vorgibt. Aber gemeinsam mit den Helferinnen von "Ein Teller Heimat" haben sie eine Menge Spaß.

Es wird viel gescherzt - immer wieder muss Mohammed so sehr lachen, dass seine langen Arme neben dem Oberkörper schlackern. Wenn er dann wieder zu Atem kommt, stimmt er mit Ammar ein arabisches Lied an - oder sie erzählen von Zuhause. So erfahren die Helferinnen, dass Ammar so gut kochen kann, weil er neun Jahre lang seine zuckerkranke Mutter gepflegt und versorgt hat. Er sagt: "In der Unterkunft wird das Essen geliefert. Ich vermisse es sehr, selbst zu kochen."

Beim gemeinsamen Schnippeln, Rühren und Rollen ist die Kommunikation unkompliziert. Danach werden alle aufgeregt, die Gäste kommen bald. Die Jungköche decken mit Monika und Heidemarie den Tisch; Heilerzieherin Julia dekoriert mit Menükarten und Tulpen. Um 18 Uhr kommen die ersten Gäste: Einige spitzen in die Küche, packen selbst noch mit an - wie Josef, dem die irakischen Köche zeigen, wie er den Schaum von den köchelnden Linsen schöpfen muss.

Die meisten sind das erste Mal da: "Wir haben zu Hause extra noch im Internet nach Dos und Don'ts im arabischen Raum geguckt und deshalb lange Hosen angezogen", erzählt der 25-jährige Leon, der mit seinem Vater gekommen ist. "Vorher wussten wir ja nicht, dass es hier so locker abläuft." Beide waren bisher noch nicht in der Unterkunft an der Hansastraße oder anderswo: "Man kann da ja nicht einfach reingehen, ich würde mir da wie ein Eindringling vorkommen", erklärt Andreas, Leons Vater.

Doch beim irakischen Buffet von "Ein Teller Heimat" werden aus Heimatsuchende Gastgeber: Stolz bringen die fünf Köche die Vorspeisenteller aufs Buffet - die Linsensuppe, milden Hummus und den bunten Salat, dazu Fladenbrot. Matin, Badhasa und Ayad setzten sich zu den Gästen, Mohammed und Ammar müssen noch Bulgur und Ammars Spezial-Lammkebab vollenden. Ammar steht der Schweiß auf der Stirn, als er sich zur Nachspeise nach draußen setzt: "Seit 13 Uhr haben wir jetzt nicht mehr gesessen", berichtet der 44-Jährige.

Bevor die beiden Köche Platz nehmen können, applaudieren alle 30 Westender Gäste herzlich. Von den Spezialitäten an dem reich gedeckten Buffettisch bleibt fast nichts übrig. "Ich war überrascht, wie mild und geschmackvoll die irakische Küche ist", bemerkt Hans Mandel, der hier im Viertel wohnt. Spielt man an den einzelnen Tischinseln Mäuschen, merkt man, dass es ein Unterschied ist, ob man zusammen kocht oder sich frontal am Tisch gegenübersitzt. Hier begegnen sich Iraker und Anwohner schüchterner, erst nach und nach kommen sie ins Gespräch. Mohammed berichtet von seiner Familie, die noch im Irak lebt. Auf die Frage, ob sie auch nach Deutschland kommen könne, sagt er "Inschallah" und blickt zur Decke - was so viel heißt wie: "Wenn Gott will." Weil sein Sohn schon 21 ist, wird er für ihn keinen Familiennachzug beantragen können.

Um die Vernetzung zwischen neuen und alten Westendern zu fördern, hat Sabine Fincks zusammen mit ihrem Team von "Ein Teller Heimat" eine kleine Wunschzettelwand eingerichtet: Hier schreibt man auf, was man sucht oder bietet. Ammar schreibt: "Suche alte Fahrräder und Werkzeug". Er hat in der Hansastraße eine kleine Werkstatt eingerichtet - sofort zückt er sein Handy mit Bildern von dem Projekt; Zu sehen sind zwei Gartenbänke, die er aus Bettgestellen und Brettern zusammengezimmert hat. Und Sabine Fincks sagt: "Das Wichtigste ist mir, dass die Westender merken, wie wichtig den Geflüchteten der Kontakt mit den Einheimischen ist."

Der nächste kulinarische Kochabend von "Ein Teller Heimat" im Westend findet am Samstag, 11. Juni, um 18 Uhr statt. Auf dem Menü stehen ukrainische Spezialitäten. Anmeldungen per E-Mail an eintellerheimatwest@icloud.com können von der Organisatorin Sabine Fincks noch bis Donnerstag, 31. Mai, entgegengenommen werden. Per Rückmail wird jedem angemeldeten Gast daraufhin der genaue Veranstaltungsort einzeln mitgeteilt. Geld- und Lebensmittelspenden für die Kochaktion sind willkommen.

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