Westend:Die Kunst des Wohnens

Sebastian Pohl vom Verein "Positive Propaganda" wollte internationale Street Art-Künstler in einem kleinen Atelier an der Westendstraße unterbringen. Doch nun hat die Stadt die Idee wegen Zweckentfremdung abgelehnt

Von Andrea Schlaier, Westend

Es spielt keine Rolle, um welchen Heiligen es sich konkret handelt. Wichtig ist, dass die meterhohe Figur mit dem gepixelten Haupt auf dem Kopf steht - als ikonografisches Sinnbild für die Macht europäischer Kultur. Die guten Vorsätze sind ins Gegenteil verkehrt. Zum Beispiel, dass eine reiche Stadt immer ausreichenden und anständigen Wohnraum bieten sollte für nicht ganz so prächtig ausgestattete Menschen. Die Heiligen sind Pfeiler eines gigantischen gesprühten Kunstwerkes auf der 500 Quadratmeter großen Fassade eines dreistöckigen Sozialbaus an der Bergmannstraße im Westend. Das nach wie vor Aufsehen erregende Gemälde des aus Los Angeles stammenden Street Art-Duos "Cyrcle" prangt dort seit Juli 2014.

Die beiden Künstler und andere internationale Größen der Szene hat Sebastian Pohl mit seinem Verein "Positive Propaganda" in den vergangenen Jahren in die Stadt geholt. Auch zur Freude des Kulturreferates, das die Bemühungen des 32-Jährigen inzwischen finanziell unterstützt. Aber Pohls Traum, weltweiten Street-Art-Stars wie zuletzt dem Italiener Blu oder dem Amerikaner Shepard Fairey einen längeren Arbeitsaufenthalt in München samt entsprechender Unterbringung zu ermöglichen, scheint sich nicht so schnell wie gehofft verwirklichen zu lassen.

Positive Propaganda

Nicht zu übersehen: Auf Hauswänden und Mauerwerk hinterlassen Künstler aus der ganzen Welt in jedem Jahr ihre Spuren.

(Foto: Positive Propaganda)

Der Münchner Netzwerker hat als Adresse für einen solchen "Artist in Residence" ein Wohnatelier an der Westendstraße 94 im Auge. Der 45 Quadratmeter große Raum mit dem rot-weiß gekachelten Boden soll den prominenten Straßenkünstlern künftig einen mehrmonatigen Aufenthalt ermöglichen - damit sie im teuren München länger als ein bis zwei Wochen arbeiten und sich mit anderen Sprayern austauschen, mit ihnen Netzwerke knüpfen können. "Das würde auch der Stadt einen Mehrwert bringen", glaubt Pohl. Als er im vergangenen Sommer mit dem Politaktivisten "NoName" eine alte Streichholzschachtel mit der Aufschrift "Sturm" als Synonym für die grassierende Gentrifizierung auf einer Fassade an der Westendstraße realisierte, entdeckte er gegenüber die leer stehende kleine Ladenwohnung mit der Hausnummer 94.

Wie sich herausstellte, gehört sie der Stadt; zusammen mit Vertretern des Kulturreferates ging er deshalb auf das zuständige Kommunalreferat zu. Dessen Mitarbeiter, so Pohl, hätten ihm die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dort den Artist-in-Residence-Stützpunkt zu schaffen. Inzwischen sei der Raum auch saniert: "Aber jetzt haben wir nach langwierigen Kontakten und ständig wechselnden Zuständigen überraschend eine Absage vom Kommunalreferat bekommen." Die Gründe seien für ihn nicht ganz nachvollziehbar, klagte der Künstlerische Leiter daraufhin im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe, bei dem er für Unterstützung seines Vorhabens wirbt. Außerdem habe der Verein "Positive Propaganda" bereits für den Sommer wieder internationale Künstler verpflichtet. Mangels anderer Möglichkeiten würden die Gäste bei ihm zu Hause übernachten oder müssten sich Hotels leisten.

Positive Propaganda

Verblüffend: Auch Installationen gehören zum künstlerischen Programm.

(Foto: Positive Propaganda)

Das Kulturreferat unterstützt den Verein nach entsprechendem Stadtratsbeschluss jährlich mit 100 000 Euro für Honorare und Mieten, zusätzlich projektbezogen auch mit Sachmitteln. Referatssprecherin Jennifer Becker signalisiert aber auch: "Für die Unterbringung internationaler Künstler, die in Münchner Street-Art-Projekte eingebunden sind, wäre ein solches Residence-Programm des Vereins sicher hilfreich." Auch die Stadtviertelpolitik auf der Schwanthalerhöhe steht Pohl zur Seite. "Das wird ja kein Urlaubsort, sondern als temporärer Wohnraum genutzt", argumentiert Florian Kraus (Grüne), "das steht einer Großstadt gut zu Gesicht". Seine Parteifreundin Sibylle Stöhr, zugleich Vorsitzende des Bezirksausschusses, versucht sich gar selbst in positiver Propaganda: "Wir tun alles, um in München keine Leerstände zu haben, und fragen uns, ob man Weltstadt sein will oder Millionendorf." Einstimmig beantragte das Gremium schließlich, die Räume als Wohnatelier für das Artist-in-Residence-Programm zur Verfügung zu stellen. Das Flair der Schwanthalerhöhe hält man übrigens für besonders geeignet, talentierten Künstlern vorübergehend ein vertretbares Zuhause zu bieten.

Bernd Plank, Sprecher des Kommunalreferates, aber macht wenig Hoffnung: "So wie Herr Pohl die Räume nutzen wollte, wäre es eine Zweckentfremdung gewesen, und Wohnraum wäre verloren gegangen." Die Stadt habe 2015 von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht und die Immobile, in der die Zimmer im Erdgeschoss untergebracht sind, erworben: "Die Räume waren in schlechtem Zustand, mussten untersucht und saniert werden." Deshalb habe es auch gedauert, ehe die Entscheidung gefallen sei, wobei man Pohl nie eine Zusage gegeben habe, erläutert Plank: "Er war übrigens nicht der Einzige, der sich für die Räume interessierte." Bernd Plank signalisiert gleichwohl Verhandlungsbereitschaft: "Grundsätzlich spricht nichts dagegen, nach Alternativen zu suchen. Schließlich gibt es den städtischen Willen, die Ziele des Vereins Positive Propaganda zu unterstützen." Und die guten Vorsätze will man dann doch nicht auf den Kopf stellen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: