Werbung:"Man könnte mehr wagen"

Kunsthistoriker Thomas Weidner vom Stadtmuseum über die Geschichte des Wiesnplakats seit 1952

Von Franz Kotteder

Prophezeiungen sind bekanntermaßen deshalb so problematisch, weil sie die Zukunft betreffen. Beim Wiesnplakat ist das anders, da weiß man meist vorher, was drauf ist: eine Mass, was zum Essen und ein Fahrgeschäft. Eben das, was das Oktoberfest im Kern ausmacht.

Der Kunsthistoriker Thomas Weidner kennt sich zwangsläufig gut aus mit der Geschichte des Wiesnplakats. Der 54-Jährige ist nicht nur stellvertretender Direktor des Stadtmuseums, sondern auch Leiter der Grafiksammlung des Hauses. "Es gibt keine Veranstaltung", sagt er, "die so lange und so kontinuierlich beworben wird, obwohl diese Werbung eigentlich längst überflüssig ist."

Weidner nennt die Zeit zwischen 1952 und 1970 auch die "Steckerlfisch-Phase", weil praktisch immer ein Steckerlfisch abgebildet war - ein Motiv, das danach völlig aus der Mode gekommen ist. Die grafische Sprache war bis 1960 relativ einfach und klar, fast holzschnittartig. Die Steckerlfisch-Phase wurde aber schon in den Sechzigern überlappt durch "die Lolek-und-Bolek-Phase" (Weidner), benannt nach einer polnischen Trickfilmserie für Kinder aus dieser Zeit. Grafisch seien die Entwürfe "gar nicht so schlecht", eine gewisse Infantilisierung des Münchner Kindls sei trotzdem festzuhalten.

Ein Solitär im nun schon 66 Jahre andauernden Wiesnplakatekosmos ist das von 1972. "Das sieht aus wie eine Collage aus dem Kunstunterricht, wo man mit Bildern aus Illustrierten gearbeitet hat", sagt Weidner über den Entwurf von Franz Wischnewski, "so etwas hat man damals von der fünften Klasse aufwärts bis zur elften gemacht." Trotzdem habe die Jury sich da über die rigiden Vorgaben hinweggesetzt, sehr passend für das Jahr der Olympischen Spiele. Allerdings war das ein Ausreißer: "Danach schauen sie wieder ein bisschen so aus wie ein Plattencover von den Hot Dogs (eine Münchner Dixieband, Anm. d. Red.)."

Die Covers von Langspielplatten seien auch "in der Helmut-Kohl-Ära, in der Zeit der weißen Tennissocken" stilbildend gewesen. Weidner sieht zum Beispiel im 1982er-Plakat von Helmut Gratzfeld das Cover des Albums "Abacab" der britischen Band Genesis nachwirken.

Die Plattencover-Phase war 1994 zu Ende, es folgte "eine neue, sozialdemokratische Phase", bei der vor allem polnische Grafiker zum Zuge kamen - die "Danziger Schule", wie Weidner sagt. Damals wechselten sich Wettbewerbe, bei denen sich jeder bewerben konnte, ab mit solchen, zu denen die Jury ausgewählte Künstler einlud. Letzteres war von 2000 an der Fall - bis der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU) 2017 den Wettbewerb wieder öffnete und auch das Online-Votum einführte. "Wenn man sich die Einsendungen ansieht", sagt Weidner, "hat das doch eine deutliche Belebung bewirkt." Die Siegerentwürfe seien dann aber doch wieder eher konventionell. "Ein Selbstläufer wie die Wiesn könnte es sich erlauben, mehr zu wagen", zieht Weidner sein Fazit, "weil im Zweifelsfall derjenige, der rausgehen will, seine fünf Mass Bier auch so trinkt."

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