Wenn Arbeit Hobby ist:Mit Witz, Charme und Baskenmütze

Wenn Arbeit Hobby ist: José María Domínguez möchte arbeiten, so lange er gesund sei - und so lange er Punkt und Komma nicht verwechsle.

José María Domínguez möchte arbeiten, so lange er gesund sei - und so lange er Punkt und Komma nicht verwechsle.

(Foto: Robert Haas)

José María Domínguez ist 87 Jahre alt und vielleicht Münchens ältester Journalist. Er schreibt Texte für das spanische Sprachenmagazin "Ecos" und lektoriert die gesamte Ausgabe

Von Gerhard Fischer

Wenn man 87 Jahre alt ist, beschäftigt man sich mit dem Tod. José María Domínguez macht das mit Humor, er zitiert den Gitarristen Andrés Segovia, der mit über 90 gesagt haben soll: "Lieber Gott, hab' keine Eile, du bist ewig." Das sei auch sein Credo, sagt Domínguez. Er lächelt. Sein Lächeln ist ein bisschen scheu.

Wenn man 87 Jahre alt ist, wird man nicht gefragt, wie lange man noch arbeiten will - man arbeitet nicht mehr, normalerweise. José María Domínguez muss die Frage nach dem Ruhestand oft beantworten, weil er immer noch für das spanische Sprachenmagazin Ecos Artikel schreibt - und vor allem lektoriert. Er sagt dann immer: "Ich bitte meine Kollegen, mir zu sagen, wenn ich einmal Punkt und Komma verwechsle. Dann gehe ich."

Das Magazin Ecos gehört zum Spotlight Verlag, der auch Zeitschriften für Menschen herausgibt, die Italienisch, Französisch oder Englisch lernen wollen. Die Redaktion von Spotlight ist in Martinsried. José María Domínguez, der in München wohnt, fährt an vier Wochentagen nach Martinsried und arbeitet dort von mittags bis um 17 oder 18 Uhr. Bloß mittwochs hat er frei. "Ich arbeite noch, weil es mir Spaß macht", sagt er, "es ist ein Hobby, ein bezahltes Hobby."

Im Besprechungsraum im dritten Stock sitzt ein kleiner, freundlicher Herr, er trägt eine Krawatte, eine Weste und ein Jackett. José María Domínguez entschuldigt sich, dass sein Deutsch "nicht perfekt" sei. Das klingt bescheiden, aber es ist vor allem ehrlich. Der Fotograf ist gekommen, Domínguez verlässt den Raum für einige Minuten, damit im Foyer Bilder von ihm gemacht werden können. Elsa Mogollón-Wendeborn, die Chefin von Ecos, setzt sich stattdessen auf seinen Stuhl. Sie schwärmt von Domínguez. "Er ist immer so gekleidet", sagt sie, als sie ihm hinterher blickt. Manchmal trage er auch eine Baskenmütze. Er sei eben ein spanischer Herr. Mogollón-Wendeborn schwärmt aber nicht bloß vom Herren Domínguez, sondern auch vom Kollegen José María. "Er ist für uns unentbehrlich", sagt sie, "es ist ein Wahnsinn, welches Wissen er hat - er kennt sich zum Beispiel sehr gut mit spanischer Geschichte aus." Außerdem habe er Humor und sei voll in die Gemeinschaft integriert. "Er arbeitet hier nur mit jungen Leuten, und man hat nicht das Gefühl, dass José María richtig alt ist", sagt sie, "er ist einer von uns, und er ist auch immer dabei, wenn wir feiern, etwa bei einer EM, bei einer WM oder bei Geburtstagen."

Domínguez kommt zurück. Er sagt, dass er das Lektorat für die gesamte Zeitschrift mache - eine Zeitschrift, in der man Texte über die spanische Politik, Wirtschaft oder Gastronomie finden kann, zum Beispiel. Oder über spanische Künstler. Domínguez legt ein Ecos-Magazin auf den Tisch, dessen Cover ein Bild des Malers Joaquín Sorolla zeigt. Sorolla hat viele Strand-Bilder angefertigt. Sonne spielt in seinem Werk eine große Rolle. Seine Bilder werden zur Zeit in der Hypo-Kunsthalle ausgestellt.

José María Domínguez wurde 1928 in León geboren, machte das Abitur und wollte Journalismus studieren, weil er "schon immer eine Schwäche für Sprache" hatte. Doch die Journalistenschule in Madrid sei eine "Regime-Schule" gewesen, sagt er. Regime-Schule bedeutet: Die Leute des Diktators Franco hatten das Sagen. Da wollte er nicht hingehen. Bevor die Frage kommt, die sich daran anschließen muss, beantwortet er sie gleich selbst: Nein, er sei kein Rebell im Staate Franco gewesen. Er sei kein politischer Mensch. Er habe nie einer Partei angehört. Wenn man ihn einschätzen wolle: Er sei konservativ und liberal. Seine Familie sei monarchistisch gewesen. Franco mochte man nicht.

Domínguez unterrichtete erst einmal im Internat von deutschen Patres. Er erzählte ihnen von seinem Traum, Journalist zu werden, und sie fragten ihn: "Warum gehst du nicht nach München - da gibt es ein Institut für Zeitungswissenschaften?" Domínguez folgte dem Rat, zog 1958 nach München und studierte Zeitungswissenschaften. "Ich war im gleichen Kurs wie Peter Glotz", erzählt er. Peter Glotz, der SPD-Mann Glotz, ein Intellektueller, Bildungsminister unter Helmut Schmidt, Bundesgeschäftsführer der Partei in den Achtzigerjahren. Glotz, elf Jahre jünger als Domínguez, ist seit elf Jahren tot.

José María Domínguez studierte auch noch Geschichte in München, und er arbeitete nebenher frei, vor allem als Dozent und Übersetzer. Er war gefragt, vor allem in den Siebzigerjahren, als viele spanische Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Er gab einigen von ihnen eine Stimme. Domínguez lächelt. Er hat eine gute Geschichte. "Ich kannte einen Pfarrer in Augsburg", erzählt Domínguez, "und dieser Pfarrer sagte mir eines Tages, er hätte einen Spanier, der beichten wolle." Aber der Spanier konnte kein Deutsch, der Pfarrer kein Spanisch. Englisch war auch keine Lösung. Domínguez macht eine Kunstpause. Man ahnt es: Der Pfarrer hat ihn als Übersetzer in den Beichtstuhl gebeten? Domínguez grinst. Ja, er hat. Domínguez übersetzte.

"Ich habe bis heute nie jemandem erzählt, was der Spanier gesagt hat", sagt er. Und jetzt? Domínguez lächelt wieder. "Der Mann war Mitglied von Francos Blauer Division, die Hitler in Russland half", erzählt er dann, "und der Mann, der eine Familie in Spanien hatte, liebte dann eine Frau in Deutschland - Sie können sich vorstellen, was er gebeichtet hat."

José María Domínguez ist ein guter Erzähler: Er mischt Anekdoten mit Fakten, und zwischendurch analysiert er sich selbst ("ich kann ohne Arbeit nicht leben", "ich kenne keine Langeweile"). Durch diesen Erzählstil kommt keine Langeweile auf, selbst die Aufzählung der Karriere-Stationen führt bloß zu einem geringen Spannungsabfall, als da wären: Übersetzer für das Goethe-Institut und das Auswärtige Amt, das eine Illustrierte in mehreren Sprachen herausgab; Leiter des spanischen Gastarbeiter-Programms im BR-Radio; Autor von Wörterbüchern; Dozent beim spanischen Sprachen- und Dolmetscherinstitut; Dozent beim Instituto Cervantes. "Mein Leben in Deutschland war voll von Aktivitäten, die ich in Spanien nie gehabt hätte", sagt er. Bei einem Seminar, das er am Instituto Cervantes hielt, kam einmal König Juan Carlos vorbei, und als er Dozent am Spracheninstitut war, unterrichtete er Silvia Sommerlath, heute Königin von Schweden.

Nachdem Domínguez eine Rheinländerin geheiratet hatte, erübrigte sich auch eine Rückkehr nach Spanien. Aber beruflich hatte er in Deutschland immer mit Spanien zu tun. Bis heute.

Ecos gibt es seit 25 Jahren, das wurde heuer groß gefeiert. "Aber ich bin schon seit 26 Jahren dabei", sagt Domínguez. Er hat schon bei der Planung der Zeitschrift mitgearbeitet. "Der damalige Spotlight-Verleger wollte ein spanisches Magazin herausbringen und hat beim Direktor des spanischen Kulturinstituts angefragt", erzählt er; das spanische Kulturinstitut ist das heutige Instituto Cervantes. "Der Direktor selbst konnte es nicht machen, weil er zurück nach Spanien wollte, aber er war ein Freund von mir und hat mich empfohlen." Das erste Ecos-Heft kam Ende Februar 1991 heraus.

Domínguez hat ein paar aktuelle Ausgaben vor sich liegen. "Hier, im Juni-Heft, schreibe ich was zu unbekannten Gaudí-Werken", sagt er. "Und im August-Heft geht es um Sprache und Kultur." Kultur ist ihm wichtig. Und Bildung, sozusagen eine Schwester der Kultur, ist ihm auch wichtig. Wieder zeigt er sein scheues Lächeln, das aber auch die Freude darüber ausdrückt, dass er gleich über fehlende Bildung eine Geschichte erzählen kann, die lustig ist. "Bei den Festspielen von Galizien", erzählt er, "sagte der Kulturbeauftragte einmal: Empfehlenswert ist die Sängerin Carmina Burana."

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