Wende im Neonazi-Prozess:Wieses Weggefährten packen aus

Eigentlich hätte an diesem Prozesstag eine Erklärung des Neonazis Martin Wiese im Mittelpunkt stehen sollen. Doch dann sorgten die Geständnisse seiner zwei Mitangeklagten für einen Paukenschlag.

Von Alexander Krug

So hatte sich der kahlrasierte Wiese "seinen" Tag nicht vorgestellt. Der 29-Jährige hatte nach mehr als dreimonatigem Schweigen eine bereits mehrmals verschobene "Erklärung" angekündigt.

Im Internet kursierte dazu angeblich ein Aufruf an alle Münchner Neonazis, sich im Gerichtssaal einzufinden. Doch dann kam nicht einmal ein Häuflein von Gesinnungsgenossen, gesichtet wurde lediglich Wieses Nachfolger Norman Bordin, 28, vorbestraft wegen versuchter und vollendeter Körperverletzung. Bordin zog sich zum Gedankenaustausch mit Wieses Anwalt Günther Herzogenrath-Amelung, als Verteidiger rechtsextremer Angeklagter einschlägig bekannt, in eine stille Ecke zurück.

Auch Herzogenrath-Amelung wurde von den Geständnissen kalt erwischt. "Das schafft ja eine neue Lage, ich bitte um 20 Minuten Pause", erklärte er nach der Aussage des angeklagten David Schulz.

"Verräter und Lügner"

Als daraufhin auch noch Alexander Maetzing die Vorwürfe der Anklage einräumte, bat er gleich "um eine Stunde". Maetzing und Schulz ließen über ihre Verteidiger Joachim Schwarzenau und Matthias Trepesch erklären, dass sie einen "Schlussstrich" ziehen wollten. Sie hätten Kenntnis von dem Sprengstoff gehabt und dessen Einsatz bei einem Anschlag "billigend in Kauf genommen". Maetzing gestand, dass er "wiederholt" mit Wiese auch über einen Anschlag auf das Jüdische Zentrum diskutiert habe.

Nach der einstündigen Unterbrechung beschimpfte Wiese die ehemaligen Weggefährten als "Verräter" und Lügner". Wahrscheinlich hätten die beiden einen "Deal" mit der Bundesanwaltschaft gemacht, um eine mildere Strafe zu bekommen. Er habe mit Terrorismus nichts zu tun, sei aber bereit, für seine "Taten" einzugestehen. Dazu zählt er die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff, die er aber nur zum Verkauf habe anbieten wollen. "Ich wollte die nationale Bewegung finanzieren", meinte Wiese. "Ohne Kohle kein politischer Kampf."

Wieses Weggefährten packen aus

Er habe zu "keinem Zeitpunkt" einen Anschlag auf das Jüdische Zentrum geplant. "Auch sonst gab es keine Planungen, unsere Ziele mit Gewalt, geschweige den mit terroristischen Mitteln durchzusetzen."

Wiese räumte ein, dass er eine "Schutzgruppe" (SG) gegründet habe, diese aber nur bei "Übergriffen von Linken" bei Veranstaltungen eingesetzt werden sollte. Man habe im Wald zwar mit Softair-Waffen "gespielt", dies sei aber keinesfalls ein Training für etwaige scharfe Waffen gewesen. "Ab und an wurde im Winter auch eine Schneeballschlacht durchgeführt", meinte Wiese.

Einen ganz anderen Eindruck von diesen sonntäglichen "Waldübungen" hatte dagegen Jessica F., die am Nachmittag als Zeugin aussagte. Die 23-jährige Auszubildende war ebenfalls Mitglied der "SG" und steht derzeit in einem zweiten, parallel laufenden Neonazi-Prozess vor Gericht.

Vorbild "Wehrsportgruppe Hoffmann"

Nach ihrer Aussage sollte sich die "SG" an dem Vorbild der rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" orientieren. Diese Gruppierung war 1980 verboten worden. Unvergessen ist bis heute der Sprengstoffanschlag auf das Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen und 211 schwer verletzt worden waren. Wie sich später herausstellte, hatte der damals ebenfalls getötete Täter, Gundolf Köhler, früher an Übungen der "Wehrsportgruppe Hoffmann" teilgenommen.

Die Zeugin Jessica F. hat sich inzwischen nach eigenen Angaben von der Gruppe distanziert. Sie bestätigte auch ein Treffen der "SG" im August 2003, bei dem Wiese davon gesprochen habe, wie "geil" ein "großer Knall" sei. Wiese zufolge waren solche Sätze nur "Sprüche, wie sie jeder einmal macht". Es sei eben "viel geflachst" worden in der Gruppe. Darunter sei eben auch mal der Spruch gefallen, wie "geil" 2000 Tote auf dem Marienplatz wären.

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