Welt der Faserstoffe:Unerschöpflich

In den Labors der Papiertechnischen Stiftung an der Heßstraße erforschen Ingenieure die Faserstoffe der Zukunft. In den Foyers und Fluren zeigen Künstler, dass sich mit diesem Alltagsmaterial nahezu alles machen lässt

Von Jutta Czeguhn

Da ist dieser Moment in der Ausstellung "Papier autark", in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenkommen, sich alles verdichtet. Der Ort, an dem dies geschieht, ist unspektakulär. Ein Allzweckraum im Untergeschoss der Papiertechnischen Stiftung. Es gibt dort Stehtische, einen Kühlschrank, Regale mit Kaffeetassen - und Kunst. Margareta Hihn zeigt, wie Bücher aussehen könnten, die Archäologen 2000 Jahre nach uns aus der Erde buddeln. Nur mehr verdreckte Klumpen, in denen das Wissen früherer Zivilisationen mit verrottet ist. Gleich neben dieser Assemblage stehen Schaukästen, die nicht zur Ausstellung gehören, aber irgendwie doch. Zu sehen gibt es hoch technisiertes Ingenieurs-Origami: maschinell gefaltetes, extrem stabiles Papier, wie es etwa im Flugzeugbau zum Einsatz kommen kann.

Unerschöpflich scheinen die Anwendungsmöglichkeiten von Papier, das wird einem vorgeführt beim Rundgang durch die Etagen im Neunzigerjahre-Bau an der Heßstraße. In den Büros und Labors forschen die Mitarbeiter an zukunftsfähigen Anwendungen von Fasern für alle nur denkbaren Industriebereiche. An den Wänden der Flure und Foyers wiederum zeigen die Künstler, dass Papier mehr ist als nur Trägermaterial für Schrift, Zeichnung, Malerei oder Druck. Sie machen es zum Hauptakteur, der so ephemer wie robust ist, unendlich wandel- und formbar. Ein Chamäleon, das mit seiner Stofflichkeit gerne hinters Licht führt und doch ein grundehrlicher Allrounder ist.

Erwin Pohlmann ist eigentlich Maschinenbauingenieur im Unternehmen. Seit etwa fünf Jahren organisiert er für die Stiftung ein- bis zweimal im Jahr diese Kunstschauen, fürs Publikum wie für die Mitarbeiter. Die Besucher, das gehört zum sehr entspannten Konzept, können während der Bürozeiten einfach vorbeischauen und herumstreifen. Sie stören nicht, das beteuert auch Ursula Buhl, die am Empfang sitzt und derzeit ein "Goldenes Kalb" vor Augen hat, das dank LED-Technik stetig seine Farbe wechselt. Die dünnhäutige Rinderskulptur mit dem inneren Leuchten hat Traudel Stahl aus handgeschöpftem Papier und Draht gefertigt. Die Künstlerin Helene Tschacher, die heuer die Ausstellung auch kuratierte und ebenfalls im Empfangsraum ausstellt, hat einem Buch "Die letzte Chance" (Titel) gegeben. Dafür zerschnitt sie die Seiten in unzählige, libellenflügelzarte Streifen und arrangierte sie präzise in fächerartigen Formationen. Das Buch ist unlesbar nun, aber wunderschön.

Im Foyer dann trifft man auf ein weiteres sinnliches Geduldsspiel. Es müssen tausende kleine Tütchen sein, die Monika Wellnitz aus dem Papier von Werbeflyern gefaltet und ineinandergesteckt hat. Herausgekommen ist ein schillernd buntes Objekt, das an eine Edelsteindruse erinnert.

Der Mensch, so scheint es, kann gar nicht anders, als Papier zu falten, zu reißen, es zu kleben, zu wässern, zu formen. Manche Künstler der Schau verwenden uralte Techniken, wie sie in China oder Japan Tradition haben. Nicht von ungefähr zitiert der Wandbehang aus weißen, gedrehten Krepp-Papierstreifen mit dem roten Kreis in der Mitte die japanische Nationalflagge. Doch seine innere Spannung bekommt die bodenlange Papierfahne von Maria Schirrmacher-Meitz erst durch das Rot, das sich wie aus einer Blutpfütze nach oben zu saugen scheint. In den oberen Etagen faszinieren drei identische Buddha-Büsten. Eva Wilcke treibt da ihr Spiel mit Leichtigkeit und Schwere, denn was wie Marmor oder Gips aussieht, wiegt nicht mehr als ein Pappkaffeebecher. Die eleganten Köpfe sind aus edlem japanischen Kozo-Papier geformt, das aus der inneren Rinde des Maulbeerbaumes hergestellt wird und wegen seiner sehnigen Fasern eine enorme Stabilität hat.

Papiertechnische Stiftung Heßstraße 134 München

Die Papierfahne von Maria Schirrmacher-Meitz zitiert die japanische Nationalflagge.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Abgesehen vom ästhetischen Genuss, den die Collagen, Plastiken und Schmuckwerke in dieser stillen, nicht sehr großen Schau bereiten, gibt es enorm viel zu erfahren über Techniken und Material. Man verlässt das Haus der Stiftung mit einer großen Lust darauf, wieder einmal gutes Papier in Händen zu halten. Sei es nur, um einen Flieger daraus zu falten.

"Papier autark", Papiertechnische Stiftung, Heßstraße 134, Montag bis Donnerstag 8 bis 17 Uhr, Freitag 8 bis 14 Uhr, sowie nach Vereinbarung: Erwin Polmann, Telefon 121 46-2 30, erwin.polmann@ptspaper.de.

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