Weißhaarige Models:Gesichter mit Geschichten

Christa Höhs betreibt die Agentur "Senior Models" und hat der deutschen Werbeindustrie ein neues Kundensegment erschlossen.

Von Tanja Rest

Manchmal rufen bei Christa Höhs Werbeleute an, die eine Omi buchen wollen. Eine nette Märchenbuch-Großmama mit Goldrandbrille, weißem Dutt und Apfelbäckchen. "So um die sechzig eben", sagen die Werber. - "Eine Sechzigjährige, also wirklich!" Christa Höhs, 64, rollt mit den Augen, ihre Stimme ist zehn Prozent Empörung und neunzig Prozent Amüsement.

Weißhaarige Models: Von wegen Brille und Dutt - diese Dame hat wohl kaum das Zeug zur Bilderbuch-Oma.

Von wegen Brille und Dutt - diese Dame hat wohl kaum das Zeug zur Bilderbuch-Oma.

(Foto: Foto: dpa)

"Wollen Sie mal 'ne Sechzigjährige sehen?" Sie fährt den Rechner hoch und öffnet den Ordner "60 - 69". Porträts flimmern vorüber, "Heidi", "Verena", "Brigitta", "Karin", strahlende Frauengesichter mit salopper oder mondäner Kurzhaarfrisur, mit winzigen Fältchen um die Augen und einem Lächeln, das Lebenslust signalisiert, Aufgeschlossenheit, Mengen von Energie und - Sex. "Sehen Sie irgendwo Apfelbäckchen?"

Das Büro von Senior Models in der Nymphenburger Straße. Ein blendend weiß gefliester Raum im Parterre, Schreibtisch, Rechner, Regale. Das Nötigste halt. Das eigentliche Potenzial der Agentur steckt in den Karteikästen: fast tausend Setkarten von professionellen Models; zwei Drittel Frauen, die meisten sind zwischen 40 und 55 Jahre alt, die Älteste ist 87.

Die Münchner Agentur mit Ablegern in Berlin und Palma de Mallorca ist einer der ganz wenigen Anbieter von reiferen Werbegesichtern in Deutschland und eine der erfolgreichsten ihrer Art weltweit. Längst bedient man nicht nur den so genannten "Zipperlein-Markt" zwischen Kukident, Rheumadecke und Venensalbe.

Senior Models werben für Versicherungen, Autos, Weine, Brillen, Lebensmittel... "Mode ist die einzige Ausnahme, aber selbst da tut sich allmählich was", sagt Christa Höhs.

Mit 50 in New York entdeckt

Die Gründerin der Agentur - eine gebürtige Blankeneserin, die zauberhaft lachen und sehr beherzt "Scheiße" sagen kann - sieht ein bisschen so aus, als sei sie ihrem eigenen Karteikasten entsprungen.

Braunes Woll-Ensemble, elegant frisiertes Grauhaar, dezentes Makeup in einem klassisch schönen Gesicht. "Sophisticated", kultiviert, fand der Model-Scout, der sie auf der New Yorker Lexington East entdeckte. Da hatte sie gerade ihren 50. Geburtstag gefeiert.

Die Geschichte von Christa Höhs ist mehr als die übliche unternehmerische Erfolgsstory nach dem Motto: Eine Frau hatte eine ungewöhnliche Geschäftsidee. Es lässt sich ein behutsam sich wandelndes Bild vom Alter an ihr ablesen, am Ende gar der Paradigmenwechsel einer ganzen Industrie - sagen wir, von der gebrechlichen Alten im Lifta-Treppenlift hin zum graumelierten Freizeitangler mit der Fielmann-Brille.

Als Christa Höhs 1991 in New York entdeckt wurde, war in den USA bereits selbstverständlich, was in Deutschland noch als undenkbar galt: dass Menschen ab fünfzig für Produkte werben, deren Zielgruppe sie sind. "Jede Agentur dort hatte natürlich auch ein Senior-Segment. Sogar Eileen Ford, bei der Topmodels wie Cindy Crawford oder Christy Turlington unter Vertrag waren." Zum Ford Model wurde sie nur deshalb nicht, weil die Agentur bereits eine ganz ähnlich aussehende Frau beschäftigte. Dafür waren 14 andere Agenturen interessiert.

Christa Höhs hatte zuvor als Art Buyerin in einer Werbeagentur gearbeitet, ein Fotostudio aufgebaut, Promotion für die Vogue gemacht, sie war selbstständige Unternehmensberaterin gewesen. In New York lebte sie zwei Jahre lang von ihrem Gesicht. "Es war nicht die rauschende Ballnacht", erzählt sie, "aber ich konnte die Miete zahlen und habe New York irre genossen."

Dass sie mit Anfang fünfzig als Seniorin gelten könnte, wurde ihr erst klar, als sie wieder nach Deutschland zurückkam. "Mitten hinein in den schlimmsten Jugendlichkeitswahn", wie sie heute sagt.

Gesichter mit Geschichten

Christa Höhs landete in München, sie war erst 53, sie sah super aus, und sie hatte Lust auf was Neues. Aber sie war "zu alt". Zu alt für die werberelevante Zielgruppe bis 49, zu alt für Model-Aufträge, zu alt für einen anderen Job. "Ich kriegte sehr schnell mit, was da lief in Deutschland. Dass man Leute ab 50 einfach beiseite schob. Und da wurde ich bockig."

Weißhaarige Models: Zu alt für den Laufsteg? Von wegen!

Zu alt für den Laufsteg? Von wegen!

(Foto: Foto: dpa)

Als ein Bekannter die Idee mit den Senior Models ausbrütete, wusste sie sofort: Das ist es. Im Oktober 1994 mietete sie einen kleinen Raum an der Maximilianstraße, "und da saß ich dann: mit einem Tisch, einem Telefon und mit mir als Model. Nichts tat sich. Und ich dachte: Du musst an die Öffentlichkeit."

"Der graue Star"

Zunächst war es eine reine Mediengeschichte. Nach einem Drei-Minuten-Auftritt in der WDR-Talkshow von Stefanie Tücking meldete sich der Bayerische Rundfunk, dann das ZDF, und von da an klingelte das Telefon nonstop. "Es war so erstaunlich, dass da eine mit Älteren Reklame machen wollte, dass das einen richtigen Aufruhr gab."

Nach einem halben Jahr hatte Christa Höhs 80 Models unter Vertrag, allen voran die 53-jährige Susanne Schöneborn, die als neues Gesicht von Nivea Vital gerade als "Der graue Star" durch die Schlagzeilen rauschte. Eines Tages rief auch RTL Explosiv im Büro an der Maximilianstraße an. "Sie vermitteln doch Greise?", fragte eine Quietschstimme. "An Sie nicht", sagte Christa Höhs und legte auf.

Es hat Jahre gedauert, bis sie nicht mehr als Exotin belächelt wurde. Und streng genommen ist der Erfolg von Senior Models nicht mal ihr alleiniges Verdienst. Es war einfach so, dass die deutsche Werbebranche bei aller Jugendgläubigkeit irgendwann die Zahlen nicht mehr ignorieren konnte. 17,5 Milliarden Euro. Diese Summe geben deutsche Seniorenhaushalte jeden Monat für Konsumgüter aus.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist keine Bevölkerungsgruppe so konsumfreudig wie die der Alten - und so gut bei Kasse. Die 65- bis 80-Jährigen investieren mehr als 80 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens in Waren und Dienstleistungen, das sind sieben Prozent mehr als der Durchschnittsbürger. Und der Markt für ältere Käufer wächst rasant.

Jeder fünfte Deutsche ist schon heute über 60; im Jahr 2050 werden die Alten mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Die Industrie hat sie bereits in "Best Agers" umbenannt und die Hauptzielgruppe für TV-Werbung auf bis zu 59 Jahre heraufgestuft.

"Die heute 60-Jährigen haben den Konsum erfunden", sagt Christa Höhs und lächelt fein. "Trotzdem sind sie von der Werbung lange Zeit gar nicht angesprochen worden." Natürlich weiß auch sie, dass sich Produkte nur mit Hilfe von Illusionen gut verkaufen lassen, dass der Kunde eben vor allem dann zur Hautcreme greift, wenn ihm in der Werbung ein jugendliches Gesicht entgegen lächelt.

Man müsse der Generation 50 plus ja nicht unbedingt die nackte Realität servieren, findet Höhs. "Aber man sollte sie auch nicht für blöde verkaufen." Buttermilch schlürfende Werbe-Twens, na schön. Aber ein klassisches Chanel-Kostüm an einer Siebzehnjährigen, das ärgert sie.

Vorbilder gesucht

Christa Höhs ist überzeugt, dass die Industrie nicht nur deshalb verstärkt auf reifere Gesichter setzt, weil zu diesen Gesichtern oft auch ein strapazierfähiger Geldbeutel gehört. Sie glaubt, dass sich das Verständnis vom Alter insgesamt verändert hat.

In den vergangenen Jahren sind ihre Models immer öfter für Produkt-Kampagnen gebucht worden, in denen mehrere Generationen auftreten und die Alten mit ihrer Lebenserfahrung die Vorbilder sind. "Ältere Menschen haben Geschichten im Gesicht, die es wiederzuentdecken gilt", sagt sie. Die Antwort auf die Frage, wie das Gesicht eines gefragten Senior Models denn beschaffen sein müsse, fällt dann wieder sehr pragmatisch aus: "Positiv, gut aussehend und nicht so voller Persönlichkeit, dass es mir das Produkt erschlägt. Wie bei den Jungen eben auch."

Apropos. Wer je daran gezweifelt hat, dass die Alten immer jünger werden, sollte mal einen Blick in Christa Höhs' Karteikästen werfen. Die 70-Jährigen sehen aus wie sechzig, die 60-Jährigen wie fünfzig, und schon die 40-Jährigen gingen locker als Studenten durch. Eine rotbackige Bilderbuch-Oma findet sich natürlich auch. Sie ist weit über achtzig.

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